XML über alles
Eintracht in der Computerbranche
Lange genug setzte die Computerbranche auf proprietäre Systeme. Doch auf einmal sollen Inkompatibiltät und "Insellösungen" der Vergangenheit angehören. Das Zauberwort, das die Industrie näher zusammenrücken läßt, heißt XML, "extensible markup language". Daten sollen systemunabhängig austauschbar und verwertbar sein. "Eine Sprache für alle" und "einheitliche Strukturen" lauten die neuen Slogans der Computerindustrie. Vorangetrieben wird dieser neue Standard auch vom W3 Konsortium.
Extensible Markup Language
Im Prinzip wurde mit XML eine generelle Syntax, ein Satzbau, geschaffen, mit dem Daten hierarchisch beschrieben werden können. Die Daten müssen damit nicht mehr für jede Anwendung in eine neue Form gebracht werden. Egal ob jemand zum Beispiel ein Manuskript im Web oder als Buch veröffentlichen oder in ein proprietäres Format konvertieren will. Durch die Trennung von Form und Struktur kann mit Hilfe von XML die Darstellung frei gewählt werden.
Die Prediger sind unterwegs
Visitenkarten, die jemanden als XML-Evangelisten bezeichnen, sind momentan weit verbreitet. David Turner von Microsoft ist so jemand oder Simon Phipps von IBM. Laut David Turner sei es unwahrscheinlich, daß es in Zukunft ein neues Microsoft Produkt ohne XML auf dem Markt geben werde.
Office 2000 wird den internen Datenaustausch basierend auf XML erledigen. Kommende E-Commerce Lösungen werden genauso XML fähig sein wie die nächste MS-SQL Server Version. Letztere soll damit das Ergebnis von Datenbankabfragen nicht nur wie bisher üblich in Form von Tabellen ausgeben können, sondern auch in XML-Strukturen. Und natürlich kommt auch beim Internet Explorer XML zum Einsatz, um einheitliche WebSites zu garantieren.
Ende der Abhängigkeit
Simon Phipps von IBM prophezeit überhaupt gleich einen Paradigmenshift für die gesamte Computerbranche. Denn der Zustand, daß die Software abhängig ist vom Betriebssystem und die wiederum von der Hardware hat keine Zukunft, sondern kann nur zu dem führen was er "entropy death" nennt. Der Begriff Entropie stammt aus der Physik. Er beschreibt die Ungewißheit, die Eintritt, wenn immer mehr Energie in ein System gepumpt wird.
"Mit 'entropy-death' meine ich etwas, das man von seinem PC her kennt: Wenn Du mehr und mehr Programme auf deinen PC installierst, wirst Du eines Tages dazu gezwungen werden das gesamte Betriebssystem neu zu installieren. Denn nur so wirst Du in der Lage sein, alle Abstürze und Bugs los zu werden. Dein PC hat den Zustand "entropy death" erreicht. Das System wurde so komplex, das alles was Du machst unweigerlich zum Abstürz führt. Und dieser Punkt hat mehr damit zu tun, daß Computing an eine Plattform gebunden sein muß und weniger damit, daß es einschränkende Standards gibt."
XML steckt nicht mehr in den Kinderschuhen
Zwar wurde XML erst 1997 am W3 Konsortium präsentiert, die Grundlage dafür, SGML [Standard Generalized Markup Language], existiert jedoch schon seit 30 Jahren.
Standard Generalized Markup Language
Eingesetzt wird SGML vor allem zum Verwalten und Publizieren von
großen Dokumenten wie Handbücher für Flugzeugingeneure. Entwickelt
wurde diese Sprache bereits seit 1969. Beteiligt waren daran Charles
Goldfarb, Ed Mosher und Ray Lorie. Offiziell lautete diese Sprache
damals GML, General Markup Language. Inoffiziell, so Goldfarb, kam
das Kürzel durch die Anfangstbuchstaben der Familiennamen der drei
Beteiligten zustande. GML wurde zu SGML, nachdem es Ende der 70er
Jahre zum Standard erklärt wurde.
Keiner der drei Entwickler, die damals übrigens im Sold von IBM standen, hatte damals an die Entstehung des WorldWideWeb gedacht, als sie begannen, an SGML zu arbeiten. Goldfarb war damals Jurist und wollte einfach eine Struktur finden, die es dem Computer ermöglicht, Informationen kontextbezogen zu verknüpfen. Er wollte sich einfach den mühseligen Vorgang ersparen, bei jedem Rechtsstreit die richtigen Paragraphen aufs neue zu suchen.
Für das Publizieren im Web war dieser Standard vielen allerdings zu kompliziert. Tim Berners Lee entwickelte daher HTML (Hypertext Markup Language). In der SGML Gemeinde, so Charles Goldfarb wurde diese Entwicklung eher skeptisch betrachtet.
"Als HTML populär wurde, waren viele aus der SGML Community nicht gerade erfreut darüber. Denn HTML kann nur das Erscheinungsbild von Daten festlegen. SGML hingegen wurde entworfen um auch den wirklichen Inhalt der Daten einzufangen. Trotzdem sahen viele von uns in der Verbreitung von HTML auch eine Chance, weil damit das Konzept 'markup' einem größeren Publikum näher gebracht wird. Und irgendwann, so dachten wir, würden sie schon erkennen, daß sie mehr vom 'wirklichen Ding' brauchen werden. Und mit XML ist genau das eingetreten."
HTML wurde mit der Zeit immer mehr als Layout Tool mißbraucht. Und trotzdem fehlte den WebDesignern immer etwas, um eine WebSite nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Ein "tag" war immer zuwenig. Auf der anderen Seite träumten Computerspezialisten schon seit Jahren SGML, die Mutter aller Websprachen, zu vereinfachen.
Der Zug ist abgefahren
Für etwas, das bereits 30 Jahre am Markt erhältlich ist und von dem jetzt eine abgespeckte Variante entsteht, ist die Euphorie, die XML entgegen gebracht wird, erstaunlich groß. Daß sowohl Simon Phipps von IBM als auch David Turner von Microsoft alles auf XML setzten ist klar. Schließlich wurden sie von ihren Firmen dazu beauftragt, die Menschheit davon zu überzeugen.
Aber auch Charles Goldfarb muß zugeben, daß diese Metasprache den Durchbruch bereits geschafft hat. Allzu schwer fällt ihm diese Anerkennung nicht. Schließlich gilt er in der Community nicht nur als Vater von SGML, sondern ihm wird auch eine Teil-Vaterschaft bei XML zugestanden.
Vor kurzem hat zum Beispiel IBM die Daten eine Umfrage bekanntgegeben. Danach wollen 71% der kleinen und mittleren Betriebe in den nächsten Jahren auf XML umsteigen. Charles Goldfarb: "Das ist eine beachtliche Zahl. Die wirklichen Auswirkungen von XML werden wir aber erst in ein oder zwei Jahren wahrnehmen. Die werden gewaltig sein und das gesamte Internet verändern."
Alles rund um XML
XML