Ballerspiele und Internet auf der Anklagebank
Im Zuge des Erfurt-Massakers, bei dem ein 19-Jähriger in seiner ehemaligen Schule 16 Menschen und sich selbst tötete, ist die Diskussion über Gewalt in Computerspielen neu entbrannt.
Nach Einschätzung eines Bremer Psychologen können gewaltbetonte Computerspiele jedoch kaum der alleinige Auslöser für einen Gewaltausbruch wie das Massaker in Erfurt sein.
Hunderttausende Jugendliche, die sich mit Gewalt im Internet, am PC, auf Video oder im Fernsehen befassten, würden niemals gewalttätig.
"Entscheidend ist das, was sonst aus der Lebensumwelt mitgebracht wird", sagte am Montag Ralf E. Streibl vom Studiengang Informatik der Universität Bremen.
Die Ursachensuche auf Gewaltspiele zu reduzieren, wäre viel zu einfach.
Spieler ist noch lange nicht gleich Täter
"Nur weil jemand gewaltbetonte Computerspiele spielt, wird er
nicht zu solchen Taten getrieben", sagte Streibl, der auch
Vorstandsmitglied des Forums InformatikerInnen für Frieden und
gesellschaftliche Verantwortung [FIfF] ist.

Reaktionsgeschwindigkeit
Für die meisten Spieler von Ego-Shootern und ähnlichen Games stehe nicht das aggressive Geschehen im Vordergrund, sondern die Herausforderung, so schnell wie möglich reagieren zu müssen.
"Das schließt aber nicht aus, dass dieselben Spiele von anderen ganz anders gesehen werden", sagte Streibl. So könnten Ego-Shooter auch Teil einer allgemeinen Faszination von Gewalt sein, die dann auch mit der Fixierung auf Waffen, einer Vorliebe für brutale Filme oder dem einseitigen Konsum von aggressiver Musik einhergehen könne.
"Je weniger eine Vielfalt im Erleben da ist, desto weniger kann auch eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Umwelt stattfinden", erklärte der Wissenschaftler.

Töten wird unbewusst eingeübt
Die meisten Kinderpsychologen stimmen nach den Worten Streibls in der Auffassung überein, dass Kinder auch Aggression im Spiel erleben müssten, um den Umgang damit zu erlernen.
Psychologe Harald Ackerschott, Mitglied im Berufsverband der Deutschen Psychologen ist jedoch der Ansicht, Gewalt verherrlichende Filme oder Spiele trügen mit dazu bei, dass unbewusst Gewalt und Töten eingeübt werde.
"Vor allem Spiele für den Computer oder auch Spielkonsolen haben den Charakter einer Simulation." Durch diese Tötungssimulation wird - ähnlich wie am Flugsimulator - eine Kompetenz erarbeitet und trainiert." Deshalb seien solche Spiele so gefährlich.
Emotionen kochen hoch
"Die Emotionen kochen derzeit verständlicherweise hoch", sagte
VUD [Verband der Unterhaltungssoftware Deutschland]-Geschäftsführer
Hermann Achilles. Der Ruf nach Gesetzesänderungen sei im ersten
Moment verständlich. Das würde aber das Gesamtproblem nicht lösen.
Im Gegenteil, dadurch würde vieles in die Illegalität verschoben und
wäre dann noch weniger greifbar. Zum anderen müsse man auch sehen,
dass der Todesschütze von Erfurt bereits 19 Jahre alt und somit in
der Lage gewesen sei, sich zum einen indizierte Spiele und zum
anderen Waffen zu besorgen.

Regulierung von Web-Inhalten
Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder [SPD] hat sich nach dem Amoklauf von Erfurt neben einer Verschärfung des Waffenrechts auch für eine bessere Kontrolle von Internet-Angeboten ausgesprochen.
Schröder kündigte zudem an, mit Internet-Providern über Möglichkeiten einer Regulierung von Inhalten zu sprechen.
"Die gegenwärtige Situation kann so nicht bleiben", sagte der Bundeskanzler und fügte hinzu: "Fast alles, was es an Schmutz und Schund gibt, lässt sich problemlos aus dem Internet besorgen."