Europa fürchtet US-Wirtschaftsspionage
In der europäischen Wirtschaft wächst die Sorge, dass die USA die Überwachung des internationalen Finanzverkehrs zur Industriespionage nutzen könnten. Die EU-Datenschutzbeauftragten haben SWIFT nun mit einem umfangreichen Fragenkatalog konfrontiert.
Seit fünf Jahren kontrollieren die US-Behörden die Geldflüsse zwischen 7.800 Bankinstituten, indem die Datenflüsse über SWIFT [Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication] angezapft werden.
Begründet wird die Abzapfaktion damit, Geldquellen von Terrororganisationen aufspüren zu wollen.
Ein Spitzenmanager eines Weltkonzerns mit strategischer Bedeutung für die USA müsse davon ausgehen, dass er und sein Unternehmen von den US-Behörden durchleuchtet werden, so ein hochrangiger deutscher Manager eines US-Konzerns, der anonym bleiben wollte, gegenüber dem "Handelsblatt" [Montag-Ausgabe].
20 Millionen Datensätze pro Jahr
Das Ausmaß der Abhöraktion soll dabei etwa ein Prozent des Transaktionsvolumens betragen haben.
Laut SWIFT werden im Durchschnitt täglich mehr als elf Millionen Transaktionsvorgänge abgewickelt. Konservativ umgelegt heißt das, die US-Geheimdienste kontrollieren via SWIFT 20 Millionen Finanztransaktionen weltweit pro Jahr.
Da SWIFT ein europäisches Unternehmen ist - alle österreichischen Banken sind angeschlossen -, ist davon auszugehen, dass ein beträchtlicher Teil des europäischen Zahlungsverkehrs in diesen Datensätzen abgebildet ist.
12.742.181 Buchungen
Am bisherigen Spitzentag des Jahres, dem 28. April, wickelte SWIFT 12.742.181 Buchungsvorgänge weltweit großteils über die Infrastruktur von AT&T ab.
Sensible Firmeninformationen
Bei der Internationalen Handelskammer heiße es: "Die Weitergabe vertraulicher Firmendaten kann auch darin münden, dass staatliche Stellen sensible Unternehmensinformationen erhalten, die sie für einen unlauteren Wettbewerb benutzen", berichtete das "Handelsblatt" weiter.
In der Internationalen Handelskammer sind 7.500 Unternehmen aus 130 Ländern organisiert.
Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie [BDI], Ludolf von Wartenberg, sagte der Zeitung: "Wir hören von vielen Seiten die Befürchtungen, dass diese Daten auch für die Wirtschaftsspionage genützt werden könnten."
Der BDI beobachte das "mit großer Sorge". Das deutsche Finanzministerium erklärte laut "Handelsblatt" auf Anfrage, es werde den Vorwürfen nachgehen und die US-Regierung "im Rahmen der G-7 um Aufklärung bitten".
"Äußerst unerfreulich"
"Wir sind mitten im Fact-Finding begriffen", sagt Waltraut Kotschy von der österreichischen Datenschutzkommission, die Österreich in der Artikel-29-Gruppe der EU vertritt.
Der belgische Repräsentantant in diesem Gremium aller nationalen EU-Datenschutzbeauftragten habe bereits einen umfangreichen Fragenkatalog an SWIFT übermittelt, so Kotschy, die im Bundeskanzleramt als geschäftsführendes Mitglied der Datenschutzkommission agiert. Man warte nun auf Antworten der internationalen Abrechnungszentrale für weltweite Geldtransfers.
Es sei "äußerst unerfreulich", wie hier schon wieder von außen Einfluss auf europäische Belange genommen werde, so Kotschy weiter. Die Datenweitergabe durch SWIFT sei mit der Problematik der systematischen Übermittlung von EU-Flugpassagierdaten an die USA zu vergleichen.
Datenlieferung geht weiter
Über die genossenschaftlich organisierte SWIFT mit Sitz im belgischen La Hulpe tauschen weltweit knapp 8.000 Geld- und Investmenthäuser vertrauliche Finanzdaten aus.
SWIFT selbst könne offenbar nicht garantieren, dass die an die US-Behörden übermittelten Daten tatsächlich nur der Abwehr von Terrorgefahren dienen, berichtete das "Handelsblatt".
Auf Anfrage habe die Gesellschaft erklärt, auch künftig persönliche Daten von Bankkunden an die US-Behörden aushändigen zu wollen.
(AFP | futurezone)