Spielesucht ist wie Alkoholsucht
Studien zufolge spielen jedes zehnte Kind und jeder zehnte erwachsene Internet-Nutzer exzessiv Computerspiele. Dabei entwickeln sie die gleichen Symptome und Reaktionen wie etwa Alkoholiker. Doch nicht jeder Spielefan ist gleich süchtig.
Bei einer Online-Umfrage unter 7.000 erwachsenen Internet-Nutzern seien bei zehn Prozent der Befragten Suchtmerkmale festgestellt worden, so die Leiterin der interdisziplinären Suchtforschungsgruppe Berlin des Krankenhauses Charite, Sabine Grüsser-Sinopoli.
Auch eine Erhebung mit 360 Schülern der 1. und 2. Klasse Unterstufe habe bei zehn Prozent Zeichen einer Abhängigkeit ergeben. Allerdings seien die nicht repräsentativen Studien bei Kindern und Erwachsenen nicht vergleichbar.
Nervosität, Unruhe, Aggression
Die Kinder vernachlässigten Schule, Freunde und andere Interessen und litten bei Entzug unter Nervosität, Unruhe, Verstimmungen und Aggressionen. Das seien typische Merkmale von Sucht.
Folgen könnten nach Berichten betroffener Eltern zu wenig Schlaf, zu wenig Bewegung, Muskelverspannungen und sogar Ernährungsmängel sein - denn selbst das Essen werde zurückgestellt.
Immer mehr und immer jüngere Kinder surfen regelmäßig im Internet. Gibt es für den TV-Konsum meist feste Regeln der Eltern, wird der Nachwuchs im Internet oftmals noch allein gelassen. Experten raten daher zur adäquaten Medienerziehung.
Reaktionen wie Alkoholiker
Im Labor wurde zudem in einem Experiment nachgewiesen, dass der Anblick von Computerspielen bei süchtigen Spielern im Gehirn dieselben Mechanismen auslöse wie bei Alkoholikern der Anblick von Alkohol, so Grüsser-Sinopoli.
Ob die Zahl der computerspielsüchtigen Kinder und Jugendlichen gestiegen sei, könne wissenschaftlich nicht belegt werden, da es keine früheren vergleichbaren Studien gebe.
Abtauchen in eine virtuelle Welt
Bei den Computerspielen sei besonders das völlige Abtauchen in eine andere, virtuelle Welt verführerisch. "Dort hat man das Gefühl: Ich bin jemand, ich kann Entscheidungen treffen, ich habe Macht", erläuterte die Suchtexpertin. "Man bekommt nichts anderes mehr mit."
Am Anfang stehe meist das Ziel, sich mit dem Spiel gute Gefühle zu verschaffen. Später würden damit negative Gefühle wie Schmerz und Angst bekämpft. "Am Anfang macht man es, um ein positives Gefühl zu erreichen, und wenn der Teufelskreis sich zuzieht, um negative zu vermeiden."
Webcams, Instant Messages und Chats haben einer niederländischen Untersuchung zufolge zu einer neuen "sexuellen Revolution" unter Jugendlichen geführt. Längst wird im Netz nicht mehr nur geflirtet, ein Viertel der Jugendlichen hatte bereits "Cyber-Sex", so die Studie.
"Computer darf auch Spaß machen"
Mit zunehmender Gewöhnung müsse wie bei Alkohol, Nikotin und anderen Drogen die Dosis gesteigert werden, um den ersehnten Effekt zu erreichen. Therapien müssten deshalb dazu verhelfen, wieder andere Strategien zur Regulation der Emotionen einzusetzen.
Grüsser-Sinopoli rief Eltern auf, die Computernutzung ihrer Kinder genau zu beobachten. Sie warnte aber davor, Computer grundsätzlich zu verteufeln. "Nicht jedes Kind ist gleich süchtig, weil es viel am Computer sitzt. Der Umgang mit dem Computer darf auch Spaß machen."
Suchtpotenzial auch bei Sport
Wichtig sei ein gesundes Gleichgewicht. Denn süchtig machen könnten viele Verhaltensweisen wie auch exzessives Einkaufen oder Arbeiten. "Sogar Sport hat ein gewisses Suchtpotenzial", so Grüsser-Sinopoli.
(APA | dpa)