Wirtschaftsspionage mit EU-Finanzdaten

17.07.2006

Bisher wurde nur vermutet, die USA könnten ihr Überwachungssystem im Namen der Terrorabwehr auch dazu nutzen, Europas Wirtschaft auszuspionieren. Mit dem Abhören der Finanzdaten habe sich das nun betätigt, so ein Experte der Internationalen Handelskammer.

"Für mich kommt diese Wendung nicht überraschend. Vom Überwachen des internationalen Telefonieverkehrs bis zur Kontrolle des Finanzverkehrs ist es ja nur ein kleiner Schritt. Was im ECHELON-Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments noch Vermutung war, hat sich damit bestätigt", sagt Maximilian Burger-Scheidlin von der Internationalen Handelskammer [ICC] in Wien.

ECHELON lässt grüßen

Die Vermutungen im Untersuchungsausschuss, die USA würden ihr elektronisches Überwachungssystem ECHELON auch gezielt dazu benutzen, Europas Wirtschaft auszuspionieren, sind für Burger-Scheidlin mit der Affäre SWIFT nun real geworden.

Man könne eigentlich dankbar sein, denn nun lägen handfeste Indizien vor, dass US-Geheimdienste die europäischen Finanztransfers systematisch durchsuchten. "Wir hoffen nun, dass die Regierungen Europas endlich aktiv werden, nachdem sie nun seit vielen Jahren Bescheid wissen", sagt Müller-Scheidlin, dessen Spezialgebiet bei der ICC die Abwehr von Wirtschaftsspionage ist.

Von SWIFT zur CIA

An der Tatsache, dass die aus Belgien stammende SWIFT [Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication] seit Ende 2001 150 Millionen Datensätze von internationalen Überweisungen an den US-Geheimdienst CIA weitergegeben hat, besteht kein Zweifel.

Dirigiert wird die Aktion vom US-Finanzministerium, gearbeitet wird nicht mit gerichtlichen Durchsuchungsbefehlen, sondern mit administrativen Verfügungen [Subpoenas] des Finanzministers.

150 Millionen Überweisungen

Die Zahl von 150 Millionen errechnet sich aus den Aussagen von Günther Gall von der Raiffeisen-Zentralbank, der als SWIFT-Aufsichtsrat von der Überwachungsaktion seit 2001 gewusst hat.

"Weniger als ein Prozent des Transaktionsvolumens" sei weitergeleitet worden, so Gall, ob und welche Transaktionen aus oder nach Österreich davon betroffen waren, könne er nicht sagen.

Nach eigenen Angaben werden von SWIFT im Durchschnitt täglich 11,5 Millionen Transaktionsvorgänge abgewickelt. Wenn "weniger als ein Prozent" 100.000 Datensätze pro Tag bedeuten, dann kommt man bei einer Laufzeit von über fünf Jahren auf 150 Millionen.

"Einverständnis wurde abgepresst".

Da SWIFT ein europäisches Unternehmen ist - alle österreichischen Banken sind angeschlossen -, ist davon auszugehen, dass ein beträchtlicher Teil von rein europäischem Zahlungsverkehr in diesen Datensätzen abgebildet ist.

Laut Gall hatten die US-Behörden gedroht, den gesamten Datenverkehr in der US-Zentrale von SWIFT zu beschlagnahmen, falls SWIFT nicht freiwillig eine bestimmte Zahl von Datensätzen liefere - "das Einverständnis wurde abgepresst".

Datenschutzkommission Österreich

Waltraut Kotschy von der österreichischen Datenschutzkommission, die Österreich in der Artikel-29-Gruppe der EU vertritt, betont, dass im Konsens aller nationalen EU-Datenschutzbeauftragten ein umfangreicher Fragenkatalog an SWIFT übermittelt wurde. Man warte nun auf Antworten der internationalen Abrechnungszentrale für weltweite Geldtransfers in dieser "äußerst unerfreulich" verlaufenen Angelegenheit.

Über die genossenschaftlich organisierte SWIFT mit Sitz im belgischen La Hulpe tauschen weltweit über 8.000 Geld- und Investmenthäuser vertrauliche Finanzdaten aus.

Die internationale Datenschutzorganisation Privacy International, deren Rechtsexpertise zum Fall SWIFT am 7. Juli Anlass zu einer Protestresolution des EU-Parlaments geführt hatte, hatte die Datenschutzbehörden von 33 Staaten alarmiert.