Piratenflotte setzt die Segel
Am Sonntag gründet sich in Berlin die deutsche Piratenpartei. Weltweit folgen schon 16 Organisationen dem Vorbild der schwedischen Piratpartiet. Politik als Hobby von Nerds oder ernst zu nehmender politischer Ausdruck der Netzkultur?
"Unsere Themen - so eingegrenzt sie auf den ersten Blick scheinen - sind Schlüsselentscheidungen über den Verlauf der menschlichen Entwicklung", sagt Jan Huwald, Sprecher der, wie sie offiziell noch heißt, "Initiative zur Gründung der Piratenpartei Deutschland".
Die Ideologie der politischen Freibeuter lässt sich wohl am besten mit der alten Hacker-Maxime "Information wants to be free" zusammenfassen. Und auch auf Einschränkungen der Bürgerrechte im "Kampf gegen den Terror" reagieren die Piraten allergisch. Sie halten es, wie ihre historischen Vorbilder, mit Gleichberechtigung und Basisdemokratie.
Rasantes Wachstum
Die erste Piratenpartei wurde am 1. Jänner in Schweden gegründet. Ihre Website verzeichnete allein im vergangenen August neue Gründungsversuche in acht verschiedenen Ländern von Brasilien bis Neuseeland. Im Forum der deutschen Partei sind über 650 Mitglieder registriert, die Huwald zum engeren Interessentenkreis zählt.
Die Piratenpartei Österreichs ist bekanntlich schon einen Schritt weiter. "Wir haben mittlerweile um die 100 Mitglieder", berichtet deren Sprecher Florian Hufsky. Die Anmeldung zur Nationalratswahl verpasste die Partei knapp, weil sie kurzfristig nicht ausreichend viele Unterschriften für die Zulassung sammeln konnte.
Nahziel Europawahl
Jetzt bereitet sie sich nach dem allzu stürmischen Start auf die nächsten Europawahlen vor. "Die sind zwar noch drei Jahre entfernt, aber die Parteien in den verschiedenen Ländern sind erst noch dabei, sich zu formieren", sagt Hufsky. In der Tat bestehen etliche Piratenparteien bisher nur aus ein, zwei Postings im Forum von pp-international.net, in dem die Piraten einander in Gründungs- und Sachfragen gegenseitig unterstützen.
"Hauptsächlich koordinieren sich zurzeit die USA, Deutschland, Schweden und Österreich. Hierzu gibt es eine eigene Konferenzschaltung, in der jeweils drei Leute dieser Länder miteinander täglich in Kontakt treten, um allfällige Fragen zu klären", sagt Hufsky. Auch die französische "Parti Pirate" ist im Web sehr aktiv und verzeichnet seit ihrer Gründung im Juni 2006 schon gut 1.500 im Forum registrierte Mitglieder. "Leider gibt es zwischen uns und den Franzosen eine Sprachbarriere, denn unsere Verhandlungssprache ist Englisch", ergänzt Hufsky bedauernd.
Koordination über Netz-Tools
Die Piratenparteien versammeln sich zwar auch offline und veranstalten Demonstrationen, aber sie leben vor allem im Netz. "Wir haben ein internationales Forum, telefonieren per VoIP und chatten", sagt Jan Huwald. "Ein interessanter Aspekt dabei ist, dass in der Kommunikation kaum auf privaten Dialog gesetzt wird, sondern die meisten Gespräche öffentlich oder in größeren Gruppen stattfinden. Diese Art der Kommunikation funktioniert in der Regel schneller und zuverlässiger als verkettete Zwiegespräche." Vor allem Wikis mit ihrer basisdemokratischen Offenheit scheinen den Piraten zu gefallen.
Am 17. September wird es ernst. Die schwedische Mutterpartei wird dann bei der Parlamentswahl antreten und muss mehr als vier Prozent holen, um in den dortigen Reichstag einzuziehen. Hufsky ist optimistisch: "Wir haben dort schon mehr Mitglieder als die Grünen."
Die Grünen des Netzzeitalters?
A propos Grüne. Warum bringen sich die Piraten mit ihren Ideen nicht in bereits bestehende Parteien ein oder treten Vereinen wie dem Chaos Computer Club bei? "Die Verbände treten gegen finanziell wesentlich mächtigere Lobbyorganisationen an und müssen zusätzlich Politiker, die ideologisch statt rational handeln, überzeugen. Verbände sind in die Passivität gezwungen. Sie können beraten, aber sie können nicht entscheiden. Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, das sich einige wichtige Politiker lieber von denen beraten lassen, in deren Aufsichtsrat bereits ein Sitz für sie reserviert ist", sagt Huwald und spielt damit auf den ehemaligen deutschen Innenminister und Biometrie-Fan Otto Schily an.
"Die traditionellen politischen Parteien vertreten uns einfach nicht mehr", ergänzt Hufsky. "Die Politik wurde in den letzten Jahren immer mehr zu einem Spielball der Wirtschaft. Man muss sich hier nur die Vorgehensweise in den Bereichen Softwarepatente und Urheberrecht ansehen."
Den Piratenparteien geht es um Ökologie im Datenraum. So gesehen sind sie – mit 25 Jahren Abstand – so etwas wie die Nachfolger der Grünen. Aus den verschiedenen Gründungstexten und Programmen ist herauszulesen, dass sie die politische Stimme der Menschen sein möchten, die mit dem Internet leben.
Freeloader und Netizens
Obwohl die erste Piratenpartei aus dem in der Grauzone des Gesetzes angesiedelten Konflikt um den Torrent-Tracker "Piratebay" hervorgegangen ist und in etlichen Kommentaren auf den Partei-Sites mitunter eine naive Freeloader-Mentalität aufscheint, finden sich unter den Diskutanten mehr als genügend Netizens, die die ehrliche Sorge um ihr Medium und ihre Bürgerrechte umtreibt.
Dass sich die Piratenparteien rasant in verschiedenen Ländern replizieren und ihre Stimmen erheben, dürfte der interessanteste netzpolitische Vorgang seit den ICANN-Wahlen im Jahr 2000 sein. Es ist nach oberflächlicher Betrachtung leicht, die Piratenparteien als randständige Nerd-Veranstaltungen abzutun. Die technologischen und bürgerrechtlichen Fragen, die sie aufwerfen, sind jedoch umso wichtiger.
Piratenparteien mit eigenen Websites
(futurezone | Günter Hack)