Von Walt Disney zur NSA

18.09.2006

Der weltgrößte Event der Biometrie-Branche in Baltimore wartet ab Dienstag mit Vertretern von 60 einschlägig tätigen Behörden auf. Prominentester Keynote-Sprecher ist Eric Haseltine, der von Walt Disney über die NSA zum Co-Direktor im Büro des obersten Geheimdienst-Koordinators John Negroponte aufstieg. Die NSA ist Mitveranstalter der Konferenz.

Die Organisatoren der "Biometric Consortium Conference", die von einer Technologie-Ausstellung begleitet wird, haben mit allerhand Superlativen aufzuwarten.

60 "Federal Agencies" werden mit teils hochrangigen Beamten bzw. Militärs vertreten sein, dazu kommen Biometrie-Forscher von 25 Universitäten.

Heimatschützer, Generäle

Insgesamt werden 100 Vorträge, Präsentationen und Workshops in zweieinhalb Tagen abgehalten.

Unter den Rednern sind vor allem Beamte des Heimatschutz-Ministeriums aber auch Militärs im Generalsrang. Prominentester Keynote-Sprecher ist einer der ranghöchsten Geheimdienstler der USA, "Associate Director for National Intelligence" Eric Haseltine.

Disney, Rüstungsindustrie

Haseltine, der im Büro von Geheimdienst-Koordinator John D. Negroponte für "Wissenschaft und Technik" zuständig ist, kommt wie sein Chef nicht aus dem Militärapparat.

Während Negroponte, der sein Büro mit einer großen Anzahl von Ex-Kollegen besetzt hat, eine Karriere im diplomatischen Dienst hinter sich hat, war Haseltine jahrelang "Executive Vice President" von Disney, davor war er 13 Jahre lang Manager in der Rüstungsindustrie.

Profitabler durch Biometrie

Während seiner Amtszeit hat Disney seit Mitte der 90er Jahre die größte private Biometrie-Installation der Welt aufgebaut und die Disney-Länder damit profitabler gemacht.

Da nämlich Mehrtages-Pauschalen erheblich billiger sind als Tages-Eintrittskarten, hatten sich vor allem größere Familien und Reisegruppen derartige Tickets geteilt. Ende 2004 ging ein neues, einheitliches Fingerprint-Identifikationssystem in allen Disney-Ländern und Themenparks in Voll-Betrieb, das dies unmöglich machte.

Laut Disney werden die Daten der Fingerprints nach 30 Tagen gelöscht.

Die Agency

2002 hatte der Geheimdienst National Security Agency [NSA] Eric Haseltine von Disney geholt, als neuen Leiter der Forschungsabteilung. Die genannte Agency ist auf der Biometrie-Konferenz offiziell nicht vertreten - obwohl die NSA der Co-Veranstalter ist.

Die Kindesweglegung

Geleitet wird das "Biometric Consortium" von einem Zivilisten und einem Militär: Co-Chair Fernando Podio kommt vom National Institute of Standards and Technology [NIST].

Co-Chair Jeffrey S. Dunn ist ein langgedienter Mitarbeiter der NSA, immer noch aktiv in Fort Meade, das ebenfalls im für US-Verhältnisse kleinen Bundesstaat Maryland liegt.

Ein Hoppala

Das 1992 gegründete "Biometric Consortium" ist ein Kind der NSA, auch wenn man jetzt um etwas Distanz bemüht ist.

Der Supergeheimdienst hatte das Konsortium als "Inkubator-Projekt" gestartet, um künftige Zulieferfirmen besonders in den USA heranzuzüchten, dabei aber offenbar sofort etwas übersehen.

1993 wurde mit der Biometriefirma Morpho Systems der wichtigste FBI-Kontraktor vom französischen [Rüstungs]-Konzern SAGEM gekauft.

Die französische Affäre

In den Jahren 2002 und 2003 kassierte die französische Firma an die 300 Millionen Dollar für die elektronische Aufarbeitung des Papier-Fingerprint-Archivs des FBI - sehr zum Missfallen der Meinungsbildner auf der Mailing-Liste des Biometric Consortiums.

Insgesamt hatte der Biometrie-Weltmarkt in den zitierten Jahren keinesfalls mehr als 400 Mio. USD umgesetzt. Das FBI unterhält die größte Fingerprint-Datenbank der Welt.

Auf der "BC-List" des Biometric Consortium wurden seit 2002/3 die Berichte des Rechnungshofs [General Accounting Office] tagesaktuell veröffentlicht, der das Ministerium für Heimatschutz in puncto Effizienz im Zweiwochen-Abstand großteils vernichtend kritisierte.

Alles begann 1992

Von Anfang an hatte die NSA ihre Kompetenz zum Thema Biometrie halb-öffentlich, aber zunehmend unübersehbar angemeldet.

Die "BC-Mailing-List" bestand seit 1994 und wurde in den Jahren danach vorsichtig geöffnet. Waren es zuerst fast ausschließlich Militärs aus dem Hochsicherheitsbereich wie die NSA, das Atomlabor Los Alamos, verschiedene Forschungslabors von Luftwaffe und Navy, so sammelten sich nach und nach universitäre Forscher und praktisch die gesamte weltweite Biometrie-Branche darauf.

Offene Geheimnisse

Nach "9/11" kam man sogar als "Wissenschafts-Journalist" bei der manuellen Kontrolle der Anmeldungen durch.

Die "BC-List" verfügte über ein vollständiges Online-Archiv, in etwa 10.000 E-Mails sind Strategie und Vorgehensweise der NSA in puncto Biometrie sehr plastisch abgebildet - erstaunlich für die als Ober-Geheimnskrämer geltenden Einwohner von Fort Meade.

Explodierende Mailinglists,...

Noch erstaunlicher war nur der offenkundige Dilettantismus, der bei der Administration der Liste waltete.

Wie die Analyse des Mailverkehrs ergab, ist die Mailing-List mindestens zweimal durch "Out-of-Office-Replies" explodiert. Beim ersten Mal war man mehrere Tage unfähig, sie wieder zu starten, dazu kamen Aktionen, die man nur als "merkwürdig" bezeichnen kann.

...neue Moderatoren...

Hatten bis dahin deklarierte NSA-Angehörige - unter anderem Jeffrey S. Dunn - die Moderation der Liste des "Biometric Consortiums" innegehabt, so tauchte ausgerechnet am 12. September 2001 ein neuer Moderator der Liste auf.

Ein engagierter Zivilist - deklariert nicht aus dem Umfeld der NSA - bombardierte die Liste jahrelang mit erstklassigen Tagesüberblicken der Weltereignisse zum Thema Biometrie. Tagesaktuelle Zitate aus ein paar Dutzend weltweiten Medien waren keine Seltenheit - verfasst von einem einfachen Anwalt aus New York.

...und angewandter Dilttantismus

2004 schickte dieser Moderator seine Antwort auf eine private Anfrage versehentlich an die 3.000 Abonnenten der BC-List.

Der Inhalt: Er habe deshalb eine so große Lücke in seiner Biographie, weil er mehr als ein Jahrzehnt bei einem [nicht genannten] Unternehmen, das sich mit Radio-Kommunikation beschäftigte, in Europa tätig war.

Österreichische Pässe

Überhaupt nicht dilettantisch hat die NSA hingegen ihren Einfluß bei der nationalen Standardisierungsbehörde NIST genützt, um ihre Anforderungen in der internationalen Behörde für Zivilluftfahrt [ICAO] durchzusetzen.

Der natürlich auch für die österreichischen Pässe gültige Standard der Datenfelder für den Funkchip im Pass sieht neben solchen für Quersummen ["Hashes"] von Fingerprint und Irisscan noch weitere, von jedem Staat zukünftig zu definierende Biometrie-Datenfelder vor.

Die bevorzugte biometrische Methode der NSA sind so genannte Voice-Prints, individuelle "Stimmabdrücke", die das ermöglichen, was Iris-Scan und Fingerprint nicht ermöglichen: eine Person von Ferne, zum Beispiel am Telefon zu identifizieren.

(Erich Moechel)