Bubblegum 2.0

wirtschaft
22.09.2006

Kein Tag ohne Hype-Meldung um YouTube, MySpace und Konsorten. Das Internet ist plötzlich wieder etwas wert. Das Retro-Investoren-Motto: Party like it's 1999!

Zittern Kleinanleger hier zu Lande mit dem Kurs der bwin-Aktie um die Wette, so geht es in den USA um Zahlen einer anderen Größenordnung.

Die am Donnerstag von der "New York Post" kolportierte Summe von 1,5 Milliarden Dollar, die Unternehmen wie Viacom, Disney, AOL und eBay angeblich für die Video-Site YouTube zu zahlen bereit sind, taugt auf jedem Boulevard zur Schlagzeile.

News Corp. startet durch

Die "New York Post" muss es wissen, gehört sie doch zu Rupert Murdochs News Corp., der noch im Juli 2005 die garstige Community-Site MySpace zum Schnäppchenpreis von 580 Millionen Dollar erwarb und dabei gleich eine Medienrevolution mit ausrief. Das brachte Murdoch prompt ein Titelbild bei "Wired" ein - das ihm nicht einmal gehört.

Selbstverständlich schielt Murdoch auch auf den bunten YouTube-Pixelsalat, dessen quietschfarben flimmernde Kompressionsartefakte perfekt den Rausch bebildern, in den sich die Schwergewichte des internationalen Mediengeschäfts angesichts der Nutzerzahlen von YouTube, MySpace und digg hineinsteigern.

Round-up wie in Texas

Ein unvorstellbarer Druck weicht von den Medienmanagern beim Anblick dieser wuselnd lebendigen Sites. Endlich hat man sie gefunden, die jungen, hippen Konsumenten, die den Gang zum Kiosk ebenso verweigern wie den Blick in die Glotze! Und zusammengetrieben sind sie auch schon! Jetzt, so der Manager-Gedankengang, braucht man nur noch den Stall zu kaufen, ihn innen und außen mit Werbung zu bekleben und die Herde weiter zu bewirtschaften.

Und das scheint wirklich einfach zu sein. Jeder hört sich gern unter der Dusche singen. Jetzt ist auch noch die Welt dabei. Die Communities erzeugen ihre Nachrichten selbst. Pseudo-Events wie die "Enttarnung" von "lonelygirl15" halten den Hype am Brodeln, wobei der Höhepunkt dann erreicht ist, wenn "Numa-Numa"-Nerd Gary Brolsma sich in einem YouTube-Video selbst beim Hampeln zusieht.

Consultants, heizt die Beamer an

Sogar knochentrockene Tech-Sites wie digg regen die Fantasie der Analysten und Wirtschaftsjournalisten an. Kevin Rose, der 29-jährige Gründer von digg, sei schon 60 Millionen Dollar schwer, titelte "BusinessWeek" Mitte August. Rose beeilte sich, die Zahl auf seiner Site zu dementieren. Willkürlich angestellte Hochrechnungen sehen nun mal besser aus als Geek-Büros mit leeren Pizzaschachteln. Man fühlt sich an die PowerPoint-Prosa der späten 90er Jahre erinnert, als die Internet-Userzahlen vor schlechten Farbverläufen steil in den Himmel schossen.

Im September gab sich "BusinessWeek" schon nüchterner. In einer knallharten Analyse des Geschäftsmodells von YouTube errechnete das Blatt, dass allein die Bandbreite für die Videoübertragungen das Unternehmen monatlich zwischen 900.000 und 1,5 Millionen US-Dollar kostet. Nur mit Werbung und halbherzigen Deals mit der Musikindustrie lässt sich diese Summe nicht decken.

Lauf, Cowboy, lauf!

Zurück bleibt der Verdacht, dass das wahre Geschäftsmodell von Web 1.0 und Web 2.0 identisch ist, und das heißt "Hit'n'Run", also die Fieberkurve hochjagen und, kurz bevor das Risikokapital endgültig verbrannt ist, an einen jener großen Medienkonzerne verkaufen, die auf ihre eigene Propaganda hereingefallen sind.

Sind die Sites erst einmal verkauft, ist auch der Gründergeist dahin. Die geschätzten 30 bis 50 Millionen Dollar, die Yahoo Anfang 2005 in den Foto-Sharing- und Web-2.0-Pionier Flickr investierte, führten gerade einmal zu einer halbherzigen Interface-Renovierung und zu einem Deal mit Hubert Burda, der nun in "Max" Flickr-Fotos abdrucken darf. Flickr kommt jetzt eher farblos daher.

Fluchtpunkt Peking

MySpace verfügt dagegen über den gewaltigen Vorteil, nach dem Kauf durch Murdoch ganz einfach nicht mehr schlechter aussehen zu können als vorher auch schon. Der News-Corp.-Gründer verkündete diese Woche auf einer Pressekonferenz von Goldman Sachs, seine chinesischstämmige Ehefrau Wendi Deng sei gerade dabei, den Markt der Volksrepublik für sein liebstes Web-Vehikel zu erschließen.

Ein schönes Bild, in dem sich die zwei zentralen Phantasmen der Weltwirtschaft im frühen 21. Jahrhundert vereinen: Eine Milliarde Chinesen bloggen endlos kostenlosen Trash-Content, posten Katzenvideos auf YouTube und wir verkaufen ihnen Klingeltöne. Projektname: Perpetuum Mobile Phone.

(Günter Hack)