Wikipedia weiter "offen bis es schmerzt"

24.09.2006

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia hält trotz aller Kritik an ihrem Prinzip der totalen Offenheit fest. Wikimedia-Vorstand Mathias-Schindler spricht mit ORF.at über den typischen Wikipedia-Autor, eine statische Version des Angebots und den Hype-Begriff Web 2.0.

Quo vadis, Wikipedia? Diese Frage stellen sich angesichts der sich häufenden Kritik an der Online-Enzyklopädie immer mehr Menschen. ORF.at nutzte den Internet-Summit in Wien für ein Gespräch mit Mathias Schindler, Vorstandsmitglied des Trägervereins Wikimedia, über den Status quo und die Zukunft des kollaborativen Nachschlagewerks.

470.000 deutsche Artikel

Nach über fünfjährigem Bestehen erfreut sich die Enzyklopädie wachsender Bekanntheit. Immerhin werden die gutgemeinten Nutzermails, die auf eine Sicherheitslücke hinweisen wollen - dass nämlich jeder die Artikel editieren kann - laut Schindler immer weniger.

Die deutsche Version zählt heute rund 470.000 Artikel und sei "größenmäßig ohne Vergleich". "Die Frage ist jetzt: Wie steht es mit der Qualität?", stellt Schindler in den Raum. Die Inhalte seien seiner Meinung nach teilweise unter den besten im Netz, teilweise aber auch Baustellen.

Gründer Jimmy Wales forderte kürzlich auf der Wikimania-Konferenz mehr Qualität statt Quantität für Einträge in der Wissenssammlung.

Artikel bleiben frei editierbar

Auf die in vergangener Zeit immer öfter laut gewordenen Kritikerstimmen zu Falscheinträgen und Vandalismus meint Schindler nur: "Wir konnten immer die Neutralität bewahren." Wikipedia-Gründer Jimmy Wales' Motto "offen bleiben, bis es schmerzt" gelte auch weiterhin.

"Unser Ziel ist es, dass die Artikel weiter von jedem editierbar sind", sagt Schindler klar. Im Moment sei das immer noch die beste Methode. Generell hoffe er aber auf eine Verbesserung der Kommunikation. Die kurzzeitig bei der englischsprachigen Wikipedia eingeführte Registrierungspflicht habe nicht viel Erfolg gebracht.

Statische Version in Planung

Die Idee einer statischen Wikipedia-Version [Wikipedia 1.0] werde dennoch weiterverfolgt und die deutschsprachige Website soll dabei den Anfang machen: Die Aktualität werde dabei gegen ein Gefühl der Sicherheit eingetauscht. "Das ist ein Experiment und steht seit Jahren im Raum", erklärt Schindler.

Die nächste technische Innovation, die bei Wikipedia jedoch ansteht, sei der "Single-User-Account", mit dem grenzüberschreitende Kollaborationen ermöglicht werden.

Zum derzeitigen Hype-Begriff Web 2.0 meint Schindler nur: "Das nehme ich belustigt zur Kenntnis", führt dann aber weiter aus: "Wenn das bedeutet, dass sich fernab der klassischen Firmenlandschaft ein Ökosystem bildet, das Content auf hohem Niveau produziert, dann liebe ich es."

Gedruckte Enzyklopädie

Zum im Frühjahr gescheiterten Versuch einer Wikipedia-Printversion in hundert Bänden meint Schindler: "Das wäre durchaus wünschenswert, der logistische Aufwand ist aber unglaublich groß." Nachfrage wäre bei einem geschätzten Preis von 1.500 Euro genug da. "Ein gedrucktes Lexikon ist mehr als ein Nachschlagewerk - es ist ein Statussymbol".

160 Administratoren

Schindler selbst habe Wikipedia 2003 über Freunde kennen gelernt und habe das Projekt zu Beginn mit viel Skepsis beobachtet. Derzeit habe er rund 1.400 Artikel auf seiner Beobachtungsliste, für die deutschsprachige Version gebe es rund 160 Administratoren. Deren Aufgabe vergleicht Schindler mit einer Gärtnerfunktion.

Generell ortet er im deutschsprachigen Raum eine sehr breite Beteiligung. Während viele einfach nur in Wikipedia lesen, gebe es laut Schindlers Schätzung etwa 2.500 aktive Nutzer, die Zahl der Autoren insgesamt sei sechsstellig.

Demografie der Nutzer

Autor könne praktisch jeder Mensch sein, "ob Professor, Student oder aus handwerklicher Praxis". Die Universität Würzburg habe jedoch in einer Erhebung der demografischen Nutzerdaten herausgefunden, dass diese überwiegend männlich seien, aus dem akademischem Umfeld kämen und altruistische Tendenzen zeigten.

"Viele scheren aus diesem Muster auch komplett aus - und das ist die Stärke von Wikipedia", resümiert Schindler.

(futurezone | Nayla Haddad)