Soziale Software wird erwachsen

03.10.2006

Bei der Konferenz "Blogtalk reloaded" diskutieren Macher und Anwender die gesellschaftlichen Herausforderungen sozialer Software. Zwischendurch zitieren sie Wynton Marsalis und denken darüber nach, wie sich die erwachsen gewordenen Blogs und Wikis in der Geschäftswelt bewähren könnten.

Dass Weblogs kein Hype-Thema mehr sind, zeigt das spärliche Medieninteresse zum Auftakt der Konferenz Blogtalk, die nach 2003 und 2004 diesen Montag und Dienstag im Tech Gate Vienna zum dritten Mal stattfindet. Lediglich zwei Journalisten sitzen Thomas N. Burg, dem Organisator der Konferenz, und seinem Stargast, der US-Soziologin Danah Boyd, gegenüber.

Weites Feld

"Blogtalk reloaded" soll einen Überblick über das weite Feld der sozialen Software geben, sagt Burg. Neben Software-Präsentationen werden Forschungs- und Erfahrungsberichte vorgetragen. Diskutiert wird unter anderem über Soziale Netzwerke, über Weblog- und Wiki-Software und über den Einsatz der sozialen Technologien in der Bildung und in Unternehmen.

Was aber ist Social Software und warum ist sie wichtig? Dieser Frage geht Danah Boyd nach, die den Auftakt zum Konferenzprogramm bestreitet. Unterdessen füllt sich das Auditorium. Rund 100 Interessierte haben den Weg ins Vienna Tech Gate gefunden.

Kommunikation mit den Anwendern

Im Gegensatz zu Anwendungen wie Newsgroups, E-Mail, aber auch Multi User Dungeons [MUDs] werde die jüngste Generation sozialer Software eng im Zusammenspiel mit ihren Nutzern entwickelt, erläutert Boyd. Wie viele Beispiele, darunter auch das soziale Netzwerk MySpace, zeigen, finden die oft notdürftig programmierten Anwendungen erst durch die Gebrauchsweisen und Bedürfnisse ihrer Nutzer ihre Form.

Wenn Netze zu schnell wachsen

Soziale Netzwerke wachsen zunächst auch nur langsam, erklärt Boyd. Häufig sind es Freunde der Entwickler, die sich mit Hilfe der Software austauschen. Durch die Kapitalisierung der Unternehmen und das Marketing komme es zu schnellem Wachstum. Hier käme es bei vielen Anwendungen zur Zerreißprobe, weil der soziale Kontext unüberschaubar wird. Außerdem verändere sich auch das soziale Verhalten vieler Nutzer, die erst nach geeigneten Ausdrucksweisen für den nun weniger intimen Rahmen suchen müssten.

Technologie und Regeln im Gebrauch der vernetzten Software seien letztlich Verhandlungssache zwischen Nutzern und Entwicklern, meint der Medienwissenschaftler Jan Schmid von der Universität Bamberg, der Faktoren untersucht, die das Verhalten in Sozialen Netzwerken bestimmen.

Soziale Software in Unternehmen

Während die Anwendung sozialer Technologien im privaten Bereich in den vergangenen Jahren geradezu explodierte, ist das Interesse von Unternehmen und Organisationen am Gebrauch sozialer Software vergleichsweise verhalten.

Konkrete Anwendungen dieser Software präsentierten Dieter Rappold von der Wiener New-Media-Agentur Knallgrau, die der BMW-Gruppe das Podcasting beibrachte und der französische Computerwissenschaftler Alexandre Passant, der über die Tücken des Gebrauchs von Weblogs und usergenerierten Klassifizierungen [so genannten Tags] in Unternehmensnetzwerken referierte.

Wikis für Investmentbanker

Die britische Beraterin und Journalistin, Suw Charman erklärt, wie man Investmentbankern Wikis näher bringt: "Wichtig ist, dass mit Hilfe sozialer Software konkrete Prozesse innerhalb von Unternehmen erleichtert werden." Auch Fachbegriffe wie Wikis oder Blogs sollten vermieden werden, sagt Lee Bryant, der einer global operierenden britischen Anwaltskanzlei den Gebrauch sozialer Technologien schmackhaft machte: "Wir nennen Wikis einfach Groupspace und es funktioniert."

Einen frühen Höhepunkt des Wiener Blogger-Treffens liefert am frühen Montag Nachmittag Matt Mullenweg, Mitbegründer der Weblog-Software WordPress. Anhand prägnanter Zitate von Jazzgrößen von Miles Davis bis zu Thelonious Monk gibt er Einblick in die Praxis der Entwicklung der Weblog-Software WordPress.

Neben bedeutungsschweren Aussprüchen wie "Gotta be original" [Lester Young] und "Try to find the best teachers" [Wynton Marsalis] projiziert er auch einen Satz seines Trompeten-Lehrers Warren Sneed aus dem texanischen Houston an die Wand. "Two hips make an ass" heißt es da in Anspielung auf die jargonverliebte Tech-Community. Das Schlagwort "Web 2.0" wurde beim Wiener Blogger-Treffen übrigens nicht einmal erwähnt.

(futurezone | Patrick Dax)