"Teenager bleiben auf MySpace unter sich"

05.10.2006

Die Mediensoziologin Danah Boyd setzt sich in ihrer Forschungsarbeit mit sozialen Netzwerken auseinander. ORF.at hat mit ihr über den Reiz von MySpace für Teenager, 14-Jährige, die Porno-Divas verehren, und Zugangsbeschränkungen für Online-Communitys gesprochen.

Bei der Konferenz "Blogtalk Reloaded", die Anfang dieser Woche in Wien stattfand, erläuterte Boyd die Bedeutung sozialer Software.

In den USA erregte Boyd, die auch für das Yahoo Research Laboratory in Berkeley tätig ist, vor allem mit ihren Arbeiten zu sozialen Netzwerken Aufsehen. Darin geht sie der Frage nach, wie sich Jugendliche in medialen Räumen inszenieren.

ORF.at: In ihrer Arbeit befassen Sie sich mit sozialer Software. Was wird damit erfasst?

Boyd: Die Bezeichnung "soziale Software" ist nicht unumstritten. Sie wurde vom Soziologen Clay Shirky ins Spiel gebracht, um aktuelle Spielarten sozialer Technologien zusammenzufassen. Old-School-Software wie etwa Groupware und Ähnliches hat er dabei nicht berücksichtigt.

Soziale Software beschreibt Software,die neue Formen der sozialen Interaktion unterstützt: Blogs, Wikis, Soziale-Netzwerke-Sites, Tagging, Mash-ups - solche Dinge.

ORF.at: Was unterscheidet diese Anwendungen von älteren Spielarten sozialer Technologien?

Boyd: Es hat im Bereich sozialer Technologien drei markante Änderungen gegeben. Die erste betrifft die Entwicklung der Software. Soziale Netzwerke wie MySpace und Friendster werden rund um die Bedürfnisse der Leute und in Kommunikation mit den Anwendern entwickelt.

Die zweite Änderung betrifft die Verbreitung der Software. Diese geschieht heute organischer. Freunde laden Freunde ein. Werbung spielt dabei zunächst nur eine untergeordnete Rolle.

Und schließlich haben sich die Motive verändert, warum soziale Technologien von Leuten verwendet werden. Es ist nicht mehr das Interesse an bestimmten Themen, das etwa noch für die Nutzung von Newsgroups entscheidend war. Leute wollen in sozialen Netzwerken vor allem andere Leute treffen.

ORF.at: Sie setzen sich intensiv mit dem sozialen Netzwerk MySpace auseinander. Wer nutzt eigentlich MySpace und was macht die Attraktivität solcher Online-Communitys aus?

Boyd: MySpace wird derzeit vor allem von drei Gruppen benutzt: US-Teenager, Bands und Musiker und schließlich die urbanen 20- bis 30-Jährigen, die den Bands auf MySpace gefolgt sind. Musik spielt auf MySpace eine immer größere Rolle.

ORF.at: Was macht den Reiz von sozialen Netzwerken für Teenager aus?

Boyd: Die Teenager-Kultur ist eine "Kultur der Angst". Teenager haben heute nicht mehr allzu viel Zugang zu Orten, an denen sie gemeinsam mit ihren Freunden herumhängen können. Sie werden eigentlich den ganzen Tag über kontrolliert, in der Schule und auch anderswo. Also kommunizieren sie online miteinander.

So entsteht eine Community, in der sie sich untereinander austauschen und Spaß haben können. Wo sie einfach Sachen machen, die für jede Peer-Group wichtig sind. Sie lernen dort natürlich auch soziale Verhaltensweisen und Rollen.

ORF.at: Warum treffen sich Teenager heute auf MySpace und nicht etwa im Kino oder in Einkaufszentren?

"Teenager" ist ein konstruierter Begriff, der zum ersten Mal, glaube ich, vor dem Zweiten Weltkrieg aufkam. Damals konnte der Arbeitsmarkt 14-Jährige nicht mehr aufnehmen, also wurden sie in die Schule geschickt. Die Jugendlichen haben damals begonnen, sich über gemeinsame Aktivitäten, etwa Sport, zu definieren. In den fünfziger Jahren kamen auch kommerzielle Aspekte dazu. Teenager begannen sich an Orten wie Kinos und Burger-Restaurants zu treffen.

Viele dieser Orte wurden jedoch bald zur No-Go-Zone für Jugendliche. Einerseits hatte man Angst, dass sie dort gefährlichen Einflüssen ausgesetzt sind und Schaden erleiden. Andererseits wurden den Teenagern sehr viele Regeln auferlegt, weil man Jugenkriminalität und Gewalt unterbinden wollte. Die Eltern waren besorgt.

ORF.at: Diese Sorgen haben sich in den USA ja nun auch auf soziale Netzwerke übertragen. Es wurde diskutiert, den Zugang zu sozialen Netzwerken per Gesetz einzuschränken, aus Furcht vor sexuellen Übergriffen auf Jugendliche. Treten Teenager und Erwachsene auf MySpace eigentlich in Kontakt?

Boyd: Teenager tauschen sich auf MySpace vor allem untereinander aus. Sie treffen sich dort mit Leuten, die einander kennen aus der Schule oder von anderen sozialen Aktivitäten, etwa Sport oder auch Kirchengruppen.

Wenn sie mit Fremden in Kontakt treten, hat das unterschiedliche Gründe. Zum einen suchen sie Kontakt zu Musikern, weil sie die für cool halten. Es gibt auch sehr viele 14-Jährige, die von Porno-Divas fasziniert sind und versuchen, auf deren "Freundesliste" zu kommen. Aber auch schon früher haben Burschen damit geprahlt, "Playboy" zu lesen.

Es gibt natürlich auf MySpace auch Leute, die an Sex interessiert sind und nach Dates Ausschau halten. Das sind aber ältere Leute. Teenager bleiben auf MySpace vorwiegend unter sich.

(futurezone | Patrick Dax)