Flugdaten-Prügel für den EU-Kommissar
Abgeordnete aus allen Fraktionen des EU-Parlaments haben gestern Abend das Passagierdaten-Abkommen mit den USA teilweise vernichtend kritisiert. Vor allem die Frage, welche nachprüfbaren Datenschutzgarantien die USA gegeben hätten, konnte nicht wirklich beantwortet werden.
EU-Kommissar Franco Frattini hatte gestern Abend einen schweren Stand, als er das Abkommen mit den USA zur Weitergabe von Flugpassagierdaten vor dem EU-Parlament verteidigen musste.
Die Vertreter des Rats, der das Abkommmen eigentlich verhandelt hatte, verließen nach einem kurzen Statement das Plenum.
"Haarsträubend absurd"
Der österreichischen Abgeordnete Johannes Voggenhuber [Grüne] kommentierte den Auftritt als keineswegs "Oscar-reife Vorstellung", der Deutsche Alexander Alvaro [Liberale] warf den Ratsmitgliedern vor, keine Ahnung zu haben, was in dem Abkommen eigentlich stehe.
Mit ganz wenigen Ausnahmen kritisierten Abgeordnete aus allen im EU-Parlament vertretenen Fraktionen das Abkommen, und das zum Teil vernichtend. Die Argumentation der Kommission, die persönlichen Daten europäischer Flugpassagiere seien geschützt, sei "haarsträubend absurd" bzw. "skandalös", hieß es.
Garantien, Vielfliegerprogramme
Gefragt wurde von liberalen, grünen und sozialdemokratischen Abgeordneten im Zweiminutentakt, welche Garantien die USA denn gegeben hätten, dass die Daten nicht zum Beispiel bei der CIA landen würden.
Von den Konservativen, die das Abkommen mittragen, ergriff nach der Fraktionsprecherin im Lauf der Debatte kaum jemand das Wort. Nur der griechische konservative Abgeordnete Ioannis Varvitsiotis sorgte sich darum, zu welchem Zweck die USA auch noch die Daten aus Vielfliegerprogrammen haben wollen.
Rückendeckung aus Großbritannien
Rückendeckung erhielt Frattini nur vom britischen Sozialdemokraten Michael Cashman. Der applaudierte Rat und Kommission für das "sehr gute Abkommen" mit den USA, das ein guter Anfang sei, und plädierte für eine Ausweitung des Schengen-Abkommens auf die USA als "transatlantische Schengen-Zone".
"Ausverkauf"
Nach zwei Minuten ging es weiter mit "Europa hat sich erpressen lassen". "Die Kommission hat ein noch schlechteres Abkommen ausgehandelt als SWIFT", hieß es. Der Liberale Alvaro kommentierte das Abkommen als "Ausverkauf".
Frattini antwortet
Am Ende trat Frattini an das Rednerpult und verteidigte das Abkommen. Frattini berief sich auf Garantien der USA, dass die Daten nach europäischem Recht behandelt würden.
Die Daten würden explizit beim US-Heimatschutz verbleiben und nicht an die CIA weitergegeben. Im Übrigen sei das Abkommen "nicht schlechter als das vorige".
Das österreichische Datenschutzgesetz
Der österreichische Abgeordnete Hubert Pirker [EVP] vertritt ebenso wie Frattini die Position, dass ohne das Abkommen Chaos im Flugverkehr ausbrechen würde. Nach Pirkers Meinung stehen die an den US-Heimatschutz gelieferten Daten unter europäischem Recht.
Laut Abkommen müssten die USA damit Anfragen z. B. nach dem österreichischen Datenschutzgesetz beantworten, so Pirker zu ORF.at nach der Sitzung.
Abstimmen nicht, ...
Fragen durften die Abgeordneten, die nach dem ersten Abkommen den Europäischen Gerichtshof [EuGH] angerufen hatten, aber abstimmen nicht.
Das zwischen der EU-Kommission, dem Ministerrat und der US-Regierung 2003 ausgehandelte Abkommen zur elektronischen Übermittlung der Daten von EU-Flugpassagieren an die US-Behörden war vom EuGH Ende Mai 2006 für nichtig erklärt worden.
... nur konsultieren
Der Grund war ein formaler: Nach Rechtsansicht des EuGH war das EU-Generaldirektorat Binnenmarkt nicht das richtige Gremium, um mit den USA einen Vertrag in dieser Angelegenheit abzuschließen.
Laut EuGH ist es eine "äußere Angelegenheit", dafür sind Ministerrat und Kommission zuständig. Das Parlament wird nur konsultiert.
Ob die vorherige Praxis EU-Recht entsprach, wird nicht nur von Datenschützern bezweifelt. Der EuGH hatte das ausgelaufene Abkommen allein auf Grund formaler Fehler verworfen und keinerlei inhaltlichen Kommentar abgegeben. Die EU-Kommission wertet diese Nicht-Kommentierung als Zustimmung.
Die Datenlieferungen an die US-Behörden von 34 Datenfeldern pro Passagier und Flug, geplante Speicherdauer dreieinhalb Jahre, fanden bis zur Einigung zwischen EU und USA Anfang Oktober 2006 im rechtlichen Niemandsland statt.
(futurezone | Erich Moechel)