Web-Kaufwahn: Wer will mich?
Alle wichtigen Websites der zweiten Welle, darunter MySpace, YouTube, del.icio.us und Flickr, sind mittlerweile von Google, Yahoo oder Rupert Murdochs News Corp. geschluckt worden. Wirklich alle?
Keineswegs! Denn es gibt noch viele Möglichkeiten für kaufwütige Manager überkapitalisierter Firmen, ihr Börsenspielgeld loszuwerden. Wir schlagen schon einmal fünf Websites zur Akquise vor.
1. Last.fm
Das austro-britische Neo-Radio bietet nach wie vor den intelligentesten Ansatz in Sachen Musikstreaming im Netz.
Obwohl die Website nach eigenen Angaben die "größte soziale Musikplattform" der Welt ist und immerhin zehn Millionen Playlist-Tipps pro Tag erhält, hat immer noch kein Mega-Investor den Herren Miller, Stiksel und Jones jene Milliarden hinterhergeworfen, die sie eigentlich verdient hätten.
Dabei wäre die Site vom Konzept her mindestens so viel wert wie YouTube. "Google Radio" klingt doch schon ganzgut, oder?
2. Meebo
Meebo bietet über ein feines AJAX-Interface Zugang zu den wichtigsten Instant-Messenger-Diensten. Die Site feierte vergangene Woche ihr 500.000. Mitglied. Wahrscheinlich hat sie nur deshalb noch niemand gekauft, weil Google und Yahoo selbst schon IM-Dienste anbieten, die allerdings längst nicht so praktisch sind wie Meebo und - pfui! - noch mit lokal installierter Client-Software daherkommen.
Da gilt doch: Warum selbst mühsam programmieren, wenn man das Ding für ein paar lausige Aktienmilliarden kaufen kann?
Gegenüber den anderen ungeküssten Unternehmen in dieser Liste hat Meebo außerdem einen entscheidenden Trumpf in der Tasche: Es wird von Sequoia Capital unterstützt, jener Risikokapital-Firma, die auch beim YouTube-Deal im Hintergrund tätig war und ihre Schäfchen genauso wenig verkommen lässt wie die Beteiligungen ihrer prominenten Mitglieder.
3. Zimbra
Zimbra ist einer der Pioniere in Sachen Web-basierte Office-Anwendungen. Noch scheinen die Zimbra-Features, die sich hauptsächlich um Kooperation und Koordinierung verteilter Arbeitsgruppen drehen, eher für Profis interessant zu sein als für das breite Publikum.
Dass aber in Zeiten der Du-AG ["Ich verdiene, Du arbeitest"] jeder seine eigene Teleworker-Gruppe ist, muss nicht nur professionellen Dilberts klar sein. Google macht es vor und verklebt die frisch zugekaufte Online-Textverarbeitung Writely mit seiner Spreadsheet-Anwendung zu einem provisorischen Web-Büro.
Yahoo muss nun bei Zimbra [oder woanders, zum Beispiel bei Zoho.com] zugreifen, um mit Google gleichzuziehen. Und Rupert Murdoch könnte sich in einer ruhigen Minute einfach vorstellen, was passiert, wenn eine Milliarde Chinesen mit seiner Online-Office-Software arbeitet.
Live-Zensur von Dissidenten-Pamphleten und Geheimdienst-Verpfeif-o-Matik selbstverständlich inbegriffen.
4. Flyspy.com
Flyspy hängt nach einem starken Start zwar immer noch arg im Alphastadium fest und ist auf den ersten Blick keine "soziale Software", weil die Website ihren Nutzern eigentlich nur mittels einer schlauen grafischen Oberfläche dabei hilft, den billigsten aller billigen Billigflüge zu finden.
Aber auf den zweiten Blick ermöglicht sie es Menschen, sich im wirklichen Leben zu treffen und schlägt damit Tele-Beziehungsarbeit via MySpace in Sachen Netzwerken um Längen. Google könnte Flyspy trefflich mit Google Maps und Google Earth verheiraten ["Danke für Ihren One-Click-Kauf des letzten Tickets nach Königin-Maud-Land, verehrter Kunde!"- "Ogottogottogott!"].
Yahoo würde den Dienst wohl in Flickr einbauen, um in einem ganz tollen Mashup mit Geotags Flüge an tolle Foto-Locations verhökern zu helfen. Und Murdoch könnte Flyspy-Programmierer Robert Metcalf anheuern, um endlich ein MySpace-Design zu entwickeln, bei dem es einem nicht die Augäpfel nach innen dreht.
5. OpenBC/Xing.com
OpenBC zählt 1,5 Millionen mehr oder weniger aktive netzwerkende Business-Mitglieder und wurde seltsamerweise bisher weder von Google noch von Yahoo geschluckt. Vielleicht ist das der eigentliche Grund, weswegen sich die Site derzeit von ihrem bestens eingeführten Namen trennt und unbedingt "Xing" heißen möchte.
Google würde mit OpenBC seinen eher glücklosen Einkauf Orkut quasi überschreiben und in Sachen Profi-Networks einen Neustart hinlegen. Yahoo wüsste mit OpenBC unmittelbar wahrscheinlich nichts anzufangen, würde mit einem Kauf aber plötzlich über eine viel besser organisierte Profi-Community als Google verfügen, was an und für sich schon ein paar Milliarden Bubble-Money wert sein sollte.
Rupert Murdoch könnte OpenBC kaufen, um dessen User durch eine Integration mit MySpace schachmatt zu setzen. Ein aufstrebender IT-Tycoon, der plötzlich 10.000 Teenie-"Friends" bei Laune halten muss, ist freundlich isoliert und stellt keine Gefahr für die eigenen Weltbeherrschungspläne mehr dar.
(futurezone | Günter Hack)