Nachrichten aus dem zweiten Leben
Das Online-Spiel "Second Life" wird zunehmend für Unternehmen interessant. Der jüngste Zugang ist die Nachrichtenagentur Reuters, die am Mittwoch ein Büro in der virtuellen Welt eröffnet und auch seine Berichterstattung über das Metaversum forcieren will.
Als Bürochef der Reuters-Niederlassung in der Spielwelt fungiert der Medienjournalist Adam Pasick, der zuvor im Londoner Büro der Nachrichtenagentur tätig war. Im Online-Spiel wird er über einen Avatar als "Adam Reuters" präsent sein und über kulturelle und wirtschaftliche Themen aus der Spielwelt berichten.
"Auch wenn es etwas seltsam klingt, mein Job unterscheidet sich nicht sehr von dem, was ich bisher gemacht habe", sagte Pasick.
Daneben will die Nachrichtenagentur die "Second Life"-Bewohner auch mit Nachrichten aus der realen Welt versorgen. Im "Reuters Atrium" können "Second Life"-Bewohner darüber hinaus über die Nachrichten aus der virtuellen und der realen Welt diskutieren.
Glaubwürdigkeit im Metaversum
"Mit unserer Präsenz in 'Second Life' sprechen wir eine neue Generation an", sagte Reuters-Geschäftsführer Tom Glocer.
Edward Castronova, Autor des Buches "Synthetic Worlds: The Business and Culture of Online Games", zeigte sich über den Schritt der Nachrichtenagentur in die virtuelle Welt erfreut: "Reuters kann als traditionelles Unternehmen damit auch in virtuellen Welten an Glaubwürdigkeit gewinnen", sagte er der "New York Times".
Run auf Online-Spiele
Reuters ist nicht das erste Medienunternehmen, das mit einer eigenen Niederlassung im Online-Spiel präsent ist. Seit Ende September unterhält auch das US-Technologiemagazin CNet ein "Medien-Center" im Online-Spiel.
Auch zahlreiche andere Unternehmen sind bereits in der virtuellen Welt vertreten. So setzen etwa der Autohersteller Toyota, der Musikkonzern Sony-BMG und das Technologieunternehmen Sun Microsystems auf den virtuellen Kundenkontakt.
Handel mit virtuellen Gütern
Der Sportartikelhersteller adidas und der T-Shirt-Shop American Apparel verkaufen bereits virtuelle Kleidung für Avatare im Online-Universum.
Die US-Hotelkonzern Starwood Hotels erprobt in der virtuellen Welt derzeit ein Konzept für eine neue Hotelkette. "Aloft" soll nach der Testphase in der Spielwelt ab 2008 auch in der "richtigen" Welt durchstarten.
Virtuelle Welt mit "realer Ökonomie"
"Second Life" ist eine virtuelle 3-D-Welt, die vom kalifornischen Unternehmen Linden Lab. betrieben wird und seit 2003 öffentlich zugänglich ist. Derzeit tummeln sich die Avatare von rund 900.000 Nutzern in "Second Life". Die Mitgliederzahl wächst jeden Monat um fast 30 Prozent.
Reger Handel
Die Spieler des Massive Multiplayer Online Games [MMOG] können ihre "Welt" weitgehend selbst gestalten. Um Grundstücke und Einrichtungsgestände im Metaversum hat sich ein reger Handel entwickelt. Bewohner von "Second Life" kaufen und verkaufen virtuelle Immobilien, Einrichtungsgegenstände, Juwelen und sogar Flugzeuge.
Linden-Dollars
Als Währung fungieren Linden-Dollars, die auch gegen US-Dollars umgetauscht werden können. Täglich wechseln auf diese Art rund 135,5 Millionen Linden-Dollar [500.000 US-Dollar] ihren Besitzer. Die Wirtschaft der virtuellen Welt wächst monatlich um zehn bis 15 Prozent.
Virtuelle Steuerfahnder
Virtuelle Welten werden auch zunehmend zum Wirtschaftsfaktor im realen Leben. Ein Untersuchungskomitee des US-Kongresses sucht bereits nach Möglichkeiten, die Einnahmen aus dem Handel mit virtuellen Gütern zu besteuern.
Früher oder später, meint der Spiele-Designer Sam Lewis, werden wohl auch die ersten Steuerfahnder in "Second Life" auftauchen.
200.000 Dollar pro Jahr
Nach Schätzungen von Beobachtern gibt es auf "Second Life" mittlerweile mehr als 3.000 Spieler, die in der virtuellen Welt mehr als 20.000 Dollar im Jahr verdienen. Das Einkommen der Top-Ten-Unternehmer in "Second Life" wird auf mehr als 200.000 Dollar pro Jahr geschätzt.
Werden die Gewinne aus den virtuellen Tranksaktionen in reales Geld umgetauscht, besteht nach Meinung von Steuerexperten schon heute Steuerpflicht. Wie mit Geldern verfahren werden soll, die im Wirtschaftskreislauf der virtuellen Welt verbleiben, ist vorerst unklar.
Bis Jahresende will das Untersuchungskomitee des US-Kongresses erste Diskussionsvorschläge unterbreiten, sagte der Ökonome Dan Miller, der dem Komitee vorsitzt.
(futurezone | Reuters)