Gipfelgespräche zum "unregierbaren Netz"
Am Montag startet das Internet Governance Forum [IGF] in Athen. Vertreter von Regierungen und Organisationen aus aller Welt verhandeln dort auf Einladung der UNO Netzthemen von Zensur über Spam-Bekämpfung bis hin zur Kontrolle über die zentralen Root-Server des Internet.
"1.800 Teilnehmer haben sich registriert", sagt der Schweizer Markus Kummer, der als 'Executive Coordinator' das IGF organisiert, "Das sind viel mehr, als wir erwartet haben."
Bis zum 2. November sprechen die IGF-Teilnehmer aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik auf der Veranstaltung, die 2005 auf dem World Summit on the Information Society [WSIS] ins Leben gerufen wurde, über die wichtigsten Probleme rund um das Internet. Dabei sollen nicht nur Techniker und Politiker zu Wort kommen. Das Forum steht auch engagierten Bürgern und NGOs offen.
Verschiedene Welten
"Das IGF ist der Beginn eines Dialogs zwischen verschiedenen Welten", sagt Markus Kummer. Da die Internet-Technologien in immer mehr Lebensbereiche vordringen und dabei ständig neue politische Fragen auf internationaler Ebene aufkommen, hat die UNO mit den Foren einen Verständigungsprozess ins Leben gerufen, an dem Vertreter von Regierungen beteiligt und auch Experten aus Nichtregierungsorganisationen [NGOs], Zivilgesellschaft und Industrie teilnehmen.
Zentrale Themen der Internet-Regulierung
"Im Vorlauf des Gipfels haben sich bestimmte Themen herausgeschält", berichtet Markus Kummer: "Sicherheit, Phishing und andere Formen der Internet-Kriminalität, Datenschutz, freier Informationsfluss und Menschenrechte."
Staaten und Bürger auf Augenhöhe
"Die Regierungen sind nicht mehr unter sich", sagt Kummer. "Sie mussten sich eingestehen, die vom Internet aufgeworfenen Probleme nicht alleine lösen zu können."
Markus Kummer, ein Kollege von der ITU in Genf sowie eine 45-köpfige Beratungsgruppe organisieren mit dem IGF einen bemerkenswerten internationalen Dialog. "Wir versuchen, offen zu sein und die wichtigsten Themen zu bündeln. Die UNO hat absichtlich keine Prozeduren geschaffen, sondern gesagt: Geht alle hin und setzt euch zusammen."
Das IGF-Sekretariat finanziert sich durch Spenden, die unter anderem vom österreichischen Registrar NIC.at kommen.
Offizielles
WSIS und IGF werden von der International Telecommunication Union [ITU] veranstaltet. Die ITU ist die für Telekommunikation zuständige Organisation der Vereinten Nationen.
Der Kampf um die Root-Server
"Wir üben da die Realisierung eines so genannten Multi-Stakeholder-Prozesses", sagt die deutsche Sozialwissenschaftlerin Jeanette Hofmann, Mitglied der internationalen Beratungsgruppe, die auch dem amtierenden UNO-Generalsekretär Kofi Annan zuarbeitet, "Das erfordert viel Geduld und Umdenken von allen Seiten."
Beherrschendes Thema auf dem letzten WSIS in Tunis war die Kontrolle der US-Regierung über die zentralen Ressourcen des Internet, vor allem der Root-Server, der zentralen Adressverwaltung des Netzes. China und Europa drängen darauf, die Kontrolle über diese Server zu internationalisieren, sie etwa der ITU zu unterstellen.
Dieses Problem wird auch auf dem IGF angesprochen werden, zum Beispiel im Workshop "DNS Root Zone File Management", auf dem sich unter anderem hochrangige Experten der Internet-Adressverwaltung ICANN, des .com-Registrars VeriSign und der US-kritischen brasilianischen Regierung über die Zukunft des DNS austauschen werden.
Jeanette Hofmann:
"Die Chance, dass die ITU oder eine andere UN-Organisation jemals die Kontrolle über die DNS-Wurzel übernimmt, halte ich für verschwindend gering. Andererseits glaube ich auch nicht, dass die gegenwärtigen Zuständigkeitsstrukturen in Stein gemeißelt sind. Es wird sich irgendwann etwas ändern. WSIS und vielleicht auch das IGF mögen dazu beitragen. Aber die US-Regierung wird sicherlich mindestens so lange warten, bis diesen Zusammenhang keiner mehr sieht."
Dialoge, Entscheidungen
Im Gegensatz zu den WSIS-Gipfeln wird das Forum keine Abschlussdokumente verabschieden. "Das Produkt des Forums ist, zumindest vorläufig, das Forum selbst - dokumentiert in einer vielfältigen Konferenzberichterstattung", sagt Jeanette Hofmann. "Langfristig erhoffen sich die Beteiligten, dass die Diskussionen dort befruchtend auf andere nationale und internationale Organisationen mit Entscheidungskompetenzen wirken werden."
Spam, Zensur, DNS
Für Hofmann ist es wichtig, dass Fragen der Internet-Regulierung damit aus engen Zirkeln weniger Experten herausgeführt werden: "Weltgipfel und Forum zusammen etablieren eine neue internationale Öffentlichkeit, die weit über die schmale, bisweilen geradezu technokratisch verengte Öffentlichkeit um einzelne Problemlagen wie Spam, Zensur oder DNS-Verwaltung hinausreichen."
Neuanlauf zur Demokratie
Auf dem Forum kommen aber nicht nur solche Mega-Themen zur Sprache. Das Pacific Islands Chapter der Internet Society [PICISOC] etwa erwartet zu seinem Athener Workshop zum Einsatz von IT-Technologien auf kleineren Inselstaaten immerhin ICANN-Chef Vint Cerf persönlich. Solche Details zeigen, wie wichtig die Internet Governance Forums für die Vernetzung von Experten aus verschiedensten Fachgebieten und Weltgegenden sind.
Könnte auf Grundlage des IGF auch jener basisdemokratische Prozess wieder aufleben, der nach den ersten Wahlen zum ICANN-Direktorium im Jahr 2000 von US-Regierung und der ICANN selbst jäh abgebrochen wurde?
Direkte Willensbildung
"Je mehr Menschen sich beteiligen - aus diesem Dilemma hilft auch das Internet nicht heraus -, desto stärker werden Entscheidungsprozesse dann wieder formalisiert. Die direkte Willensbildung transformiert sich dann erneut in Delegations- und Repräsentationsmechanismen", sagt Jeanette Hofmann skeptisch.
Trotzdem sei es lohnend, betont Hofmann, sich politisch für das Netz zu engagieren: "In den meisten, wenn nicht allen Politikbereichen ist es so, dass man sich selbst einbringen muss, wenn man Einfluss gewinnen möchte. Das ist im Internet nicht anders."
Grundlagen des IGF
Grundlegende Dokumente für das IGF sind die Tunis-Agenda von 2005 sowie der Aktionsplan des ersten WSIS in Genf aus dem Jahr 2003.
Identitätsfindung
Im Gespräch mit Markus Kummer klingt durch, dass es nicht einfach ist, die Netzwelt an einen Tisch zu bringen. "Es gibt da keine Prozeduren, auf die man zurückfallen könnte. Es gibt auch keine Mitglieder und keine Abstimmungen. Wir müssen versuchen, unsere eigene Identität zu finden."
In einem Jahr soll in Rio de Janeiro das nächste Internet Governance Forum stattfinden. "Das Bedürfnis nach offenen Treffen ist groß", sagt Markus Kummer, "Wir gehen davon aus, dass die Foren im Ein-Jahres-Rhythmus stattfinden werden."
(futurezone | Günter Hack)