Last.fm zündet die nächste Stufe
Am Dienstag präsentiert das Musikempfehlungsservice Last.fm zahlreiche neue Features. ORF.at hat mit Martin Stiksel, dem aus Österreich stammenden Mitbegründer des Online-Musikdienstes, über einen möglichen Verkauf, die internationale Expansion und die Zukunft des Online-Musikmarktes gesprochen.
Last.fm ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Das Musikempfehlungsservice und Online-Radio zählte im September weltweit rund 15 Millionen aktive Nutzer. Am Dienstag stellt das in London ansässige Unternehmen zahlreiche neue Features vor.
Neue Features
Darunter sind ein Event-Kalender für Veranstaltungstipps rund um Musik, ein Flash-Musikplayer, der auch ohne Registrierung benutzt werden kann, und eine "Taste-o-Meter" genannte Applikation, die durch den Abgleich von Geschmacksprofilen die musikalische Kompatibilität der Nutzer untereinander errechnet.
Gratis-Downloads
Daneben sollen über Last.fm auch rund 100.000 Gratis-Downloads im MP3-Format verfügbar sein, die von Labels und Musikern zur Verfügung gestellt wurden.
"Soziale Musikrevolution"
In einem zunehmend breiter und unübersichtlicher werdenden Angebot an Musik im Internet sorgt Last.fm dafür, dass die richtige Musik die richtigen Leute findet. Dazu werden die Hörgewöhnheiten der Nutzer aufgezeichnet.
"Scrobbling"
Das geschieht mit Hilfe der Software Audioscrobbler. Diese meldet Songs, die auf den Computern der Nutzer abgespielt werden, an den Server von Last.fm.
Die so gewonnenen Daten dienen als Ausgangsmaterial für personalisierte Online-Radiostreams und Musikempfehlungen, die mit Hilfe kollaborativer Filtermethoden aus dem Abgleich der Hörgewohnheiten der Community gewonnen werden.
ORF.at: Ende der 90er Jahre haben Sie das Net-Label Insine.net gegründet. Wie hat sich daraus Last.fm entwickelt?
Stiksel: Insine war eine Plattform für junge Musiker und Bands ohne Plattenvertrag, die wir 1999 gegründet haben. Damals wurden wir innerhalb kürzester Zeit von großartiger Musik überflutet.
Für uns hat sich die Frage gestellt, wie wir die richtige Musik an die richtigen Ohren bringen können. Die Antwort darauf war, dass es wohl am besten ist, wenn das die Nutzer selber machen. Wir haben also damit begonnen, die Hörgewohnheiten unserer User aufzuzeichnen und miteinander in Beziehung zu setzen.
ORF.at: Wie groß ist das Repertoire von Last.fm?
Stiksel: Über die Software Audioscrobbler nehmen wir rund 65 Millionen verschiedene Titel wahr. Die können wir aus lizenzrechtlichen Gründen aber nicht alle im Online-Radio spielen.
Das Repertoire unseres Online-Radios umfasst derzeit Songs von rund 24.000 Labels weltweit.
Viele Unternehmen sind auch erst seit kurzem bereit, unser Modell zu unterstützen. Wir sind derzeit in Verhandlungen mit Rechteinhabern, auch mit den Majors. Wir diskriminieren nicht.
Last.fm ist vor kurzem auch in Japan gestartet. Ist auch eine deutschsprachige Version geplant?
Stiksel: Ja, es werden zahlreiche weitere lokale Last.fm-Versionen folgen. Die deutschsprachige Version wird, wenn alles klappt, noch heuer verfügbar sein.
Eigentlich sollten wir auch eine eigene österreichische Version von Last.fm starten.
ORF.at: Wie wird Last.fm finanziert?
Stiksel: Als wir 2002 angefangen haben, hatten wir kein Geld. Damals wollte uns auch niemand Geld geben. Viele Leute haben uns damals gesagt: Ihr seid ja verrückt. Das hatte auch mit den Klagen rund um die Online-Tauschbörse Napster zu tun.
Wir haben Last.fm aus dem Wohnzimmer gestartet. Die Programmierer haben zeitweise in Zelten auf der Dachterrasse geschlafen.
Last.fm wurde aber schon sehr bald sehr populär und so konnten wir uns über Google-Advertising, Amazon-Partnerprogramm und auch über Spenden von unseren Usern finanzieren. Wir haben sogar schon einmal schwarze Zahlen geschrieben.
Das ist jetzt nicht mehr der Fall, weil wir sehr stark auf den Ausbau unseres Services und auf die Erweiterung des Repertoires setzen.
Wir haben mittlerweile Kapital von der Venture-Capital-Firma Index Venture bekommen, die unter anderem auch an Skype beteiligt ist. Das stecken wir zu hundert Prozent in die Weiterentwicklung.
ORF.at: In den vergangenen Monaten wurden teils lukrative Deals in Zusammenhang mit Web-2.0-Firmen verlautbart. Haben Sie auch Angebote bekommen?
Stiksel: Angebote haben wir schon vor Jahren bekommen. Wir wollen Last.fm aber zu dem machen, was auch im Namen steckt: die letztgültige Anlaufstelle für Musik im Netz.
Bevor wir unsere diesbezüglichen Visionen nicht umgesetzt haben, ist jede Spekulation über einen Verkauf sinnlos.
ORF.at: Sie kooperieren mit Amazon beim CD-Verkauf. Links zu Online-Musikshops finden sich in Ihrem Service jedoch kaum. Warum?
Stiksel: Der Download-Markt ist zur Zeit sehr fragmentiert und ist mit den vielen Formaten, die derzeit im Umlauf sind, im Prinzip ein Misthaufen.
Wir lehnen die Verwendung von Digital-Rights-Management-Systemen [DRM] eigentlich ab, und Online-Musikshops, die Downloads im MP3-Format anbieten, haben meist ein sehr spezielles Repertoire.
Wir arbeiten aber mit einigen Online-Musikshops zusammen und wollen noch vor Weihnachten weitere Kooperationen bekannt geben.
Wir wollen aber auch mit Second-Hand-Läden und Vinylanbietern zusammenarbeiten.
Der Online-Musikmarkt befindet sich derzeit im Umbruch. Wie wird es weitergehen und welche Rolle wird Last.fm darin spielen?
Stiksel: Die Leute hören mehr Musik und mehr verschiedene Musik als jemals zuvor. Auch das Distributionsproblem von Musik über das Netz wurde weitgehend gelöst. Es wird also bald die gesamte Musik im Netz verfügbar sein.
Nun stellt sich die Frage, wie ich aus dem Angebot das finde, was für mich interessant ist. Empfehlungen werden in einem solchen Umfeld immer wichtiger und Last.fm bietet dafür gute Lösungen.
Was den Online-Musikmarkt betrifft, so glaube ich, dass es künftig eher darum gehen wird, Zugang zur Musik zu haben, als sie zu besitzen.
Das Modell, das Musik-Abodienste wie Napster oder Rhapsody derzeit anbieten, ist dafür aber nicht der richtige Weg. Ich halte auch werbefinanzierte Downlaod-Angebote für eine gute Lösung.
ORF.at: Wie stehen Sie zu einer Pauschalabgabe für Inhalte aus dem Netz? Die wird ja bereits seit längerem diskutiert.
Stiksel: Die Leute bezahlen ja bereits für den Zugang zu Musik, indem sie für Breitbandverbindungen bezahlen und etwa Online-Tauschbörsen nutzen.
Das Geld dafür wurde ja bereits ausgegeben. Bekommen haben es die Telekommunikationsunternehmen und Infrastrukturanbieter.
Nur haben die nichts an die Inhalteanbieter weitergegeben, mit deren Produkten die ganze Maschine am Laufen gehalten wird.
ORF.at: Wäre ein Projekt wie Last.fm auch in Österreich möglich?
Stiksel: Das ist schwer zu sagen. Ich bin seit 1995 in London. Ich habe auch Felix Miller, der aus Deutschland kommt, und Richard Jones, der Engländer ist, hier getroffen. Insofern konnte Last.fm nur in London entstehen.
Von der Infrastruktur ist London sicherlich die beste Stadt der Welt, um etwas mit Musik zu machen.
Ein Beispiel mit Lokalkolorit: Unser Büro befindet sich ziemlich genau in der Mitte zwischen dem BBC World Service, dem weltweiten Radioprogramm der BBC, und den zahlreichen Piratensendern in Ostlondon, da gibt es mehr als 120 Piratensender. Das ist sehr inspirierend.
Wenn man hingegen in Österreich einen Piratensender macht, kommt gleich die Post.
(futurezone | Patrick Dax)