USA: Satte Panik auf dem Zeitungsmarkt
Die Auflagenzahlen der US-Zeitungen sinken immer noch. Schuld daran ist, wie immer, das Internet. Unterdessen liegen die durchschnittlichen Profitraten der US-Blätter bei 15 bis 20 Prozent.
"Künftig erhalten die Menschen ihr Weltbild von irgendwelchen irren Bloggern, die aus ihrer Unterwäsche schöpfen", malte der US-Publizist Michael Kinsley im "Time"-Magazin die düstere Zukunft der US-Medienszene an die Wand. In der "Washington Post" sorgte sich der Kommentator, dass bald "die vorderste Front" im Kampf gegen die Korruption im Staat zusammenzubrechen drohe.
Zeitung vs. Internet
Und Kolumnist Tim Rutten beschwörte in der "Los Angeles Times" ["LAT"] die "Gefahren für die Demokratie". Die Journalisten sehen in der Krise der US-Zeitungen weit mehr als die Probleme einer Branche - sie fürchten um die politische Kultur im Land. Während sich Internet-Medien wie Slate über die "Selbstüberschätzung" der Zeitungsleute lustig machen, befinden sich die Verlage selbst auf der fieberhaften Suche nach der "Zeitung von morgen".
Dringender Handlungsbedarf scheint angesichts dramatischer Auflagenverluste geboten. Galt bisher die unangenehme Faustregel, nach der die Gesamtauflage der US-Zeitungen jährlich um etwa ein Prozent sinkt, schrillten nach den jüngsten Zahlen die Alarmglocken.
Sinkende Auflagen
Denn zwischen April und Ende September verloren die US-Zeitungen laut dem Fachinstitut Audit Bureau of Circulations im Vergleich zum Vorjahr 2,8 Prozent ihrer Auflage - die der besonders auflagenstarken Sonntagsausgaben sank sogar um 3,4 Prozent. Das bedeutet die größte Einbuße seit 15 Jahren. Die Gesamtauflage der US-Tageszeitungen beträgt derzeit rund 44 Millionen - 1984 gab es mit über 63 Millionen Zeitungen pro Tag den US-Rekord, seither geht es ständig bergab.
Gewinner dieser Entwicklung ist das Internet. Viele US-Zeitungen haben es versäumt, früh in die Web-Welt zu investieren und damit die Verluste von Lesern und im Anzeigengeschäft teilweise aufzufangen. Denn nicht nur die wirtschaftlich interessante Gruppe der 19- bis 29-Jährigen findet das Internet attraktiver als die traditionelle Papier-Zeitung.
Manche US-Zeitungen sind zwar auch im Internet erfolgreich: Insgesamt nutzen laut dem US-Zeitungsverband bereits 57 Millionen Amerikaner die Websites der Zeitungen. Die "New York Times" hat eigenen Angaben zufolge im Internet bereits mehr Leser als Blatt-Käufer. Allerdings verlangen nur wenige Zeitungen im Internet von den Usern Geld, und selbst die Erlöse der Online-Werbung befinden sich nach Expertenangaben noch auf niedrigem Niveau.
Zahlenspiele
Der Präsident des Zeitungsverlegerverbands, John Sturm, verweist dennoch auf die ungebrochene Bedeutung der Zeitung. Das belege die Rekordzahl an Online-Lesern von nunmehr 56 Millionen. "Das einfache Starren auf die Auflagenzahlen" sei irreführend. Schließlich hätten auch viele Verlage die wenig Gewinn bringende Abgabe von Zeitungen an Großkunden [beispielsweise Luftfahrtgesellschaften] und die kostenlose Verteilung [in Hotels] eingestellt.
Die US-Zeitungshäuser befinden sich dennoch seit langem auf der verzweifelten Suche nach neuen Konzepten. Überall wurden Kosten beschnitten, Redaktionen verkleinert, Verwaltung, Produktion und Vertrieb rationalisiert. Der "LAT"-Besitzer, die "Tribune"-Zeitungsgruppe, suchte dem achtprozentigen Auflageneinbruch mit mehreren Entlassungswellen zu begegnen - was auf erbitterten Widerstand im Haus stieß und nun jüngst sogar zur Entlassung des Herausgebers Jeffrey Johnson führte.
"Manhattan Project"
Zudem wird nach neuen redaktionellen und verlegerischen Konzepten gesucht. Der Ex-Präsident von "Knight Ridder Digital" und Direktor der "Innovationswerkstatt Neue Medien" an der Universität Arizona, Tim Mohr, forderte gar einen "Marshall-Plan" für die Branche und die Vernetzung aller US-Blätter untereinander, damit sie lebensfähig bleiben können. Die krisengeschüttelte "LAT" startete eine Arbeitsgruppe "Manhattan Project", die stärkere Regionalisierung, mehr Einbindung von Lesern und Bloggern, Investitionen in den multimedialen und interaktiven Auftritt empfahl.
Zumindest Internet-Medien bezweifeln, dass die Print-Probleme die US-Gesellschaft besonders bewegen müssten. Slate-Kolumnist Jack Shafer lästerte über den Versuch, "Arbeitsplatzgarantien für Journalisten mit dem öffentlichen Wohl" zu verwechseln. Zudem sei die Zahl der Zeitungsjournalisten seit 1971 um 70 Prozent gestiegen. Wenn jetzt wieder Redaktionen zurückgestutzt würden, könne ja wohl "nicht mit der Ermordung der Demokratie" argumentiert werden.
Journalisten feuern, Rendite einstreichen
Die Auflageneinbrüche signalisieren nach Ansicht vieler Experten weniger den drohenden Tod der Branche als vielmehr einen noch länger währenden Strukturwandel. Beleg dafür scheint auch, dass es für zum Verkauf anstehende Zeitungshäuser reichlich zahlungskräftige Interessenten gibt - laut "Wall Street Journal" wollen gleich drei kalifornische Milliardäre die "Los Angeles Times" erwerben.
Schließlich liegt die jährliche Profitrate der US-Zeitungshäuser seit langer Zeit trotz aller Krisen nach Angaben des "Wall Street Journal" nach wie vor bei 15 bis 20 Prozent des eingesetzten Kapitals.
(dpa)