Sexy, erfolgreich und hässlich
Guck mal, wer da hämmert! Eine ganze Branche von Ästheten muss von MySpace lernen, dass im Heimwerker-Web Schönheit nicht gleich Attraktivität bedeutet.
Das Social-Software-Expertenblog Mashable hat kürzlich untersucht, welche Foto-Hosting-Dienste von MySpace-Nutzern bevorzugt werden.
Eigentlich, so würde man meinen, müsste Flickr, der frühe Superstar unter den Community-Websites, in der Rangliste ganz weit vorne liegen. Aber keineswegs: Von den 1,2 Millionen untersuchten MySpace-Accounts nutzten nur 0,38 Prozent diesen Dienst, der bis hin zum verschluckten "e" im Namen für Websites der neuen Generation als stilbildend gilt.
Alles im Foto-Eimer
Favorit der MySpace-Gemeinde ist vielmehr mit satten 68,02 Prozent Marktanteil der Hoster photobucket. Photobucket? Ein Blick auf das Projekt genügt dem Kenner, um sich spontan um zehn Jahre jünger zu fühlen, nämlich wie ein Besucher auf einer Kurt-Cobain-Fansite bei Geocities, die von ihrem Gestalter ähnlich liebevoll behandelt wurde wie der Nirvana-Frontmann von sich selbst.
Warum sollte jemand eine Site wie Photobucket verwenden wollen, wenn es doch das wunderschöne Flickr gibt? Es ist, als hätten die Leute die Wahl zwischen einem Gratis-Ferrari und einem kostenlosen Wartburg, Baujahr 1976, und würden sich samt und sonders für letzteren entscheiden. Haben MySpace-Nutzer einen Zweitakt-Geschmack?
Das Knarzen im Gebälk
Die durchschnittliche MySpace-Seite sieht schließlich auch aus wie ein von ungnädigen Zwölftonnern hart ins Zweidimensionale konvertierter Spongebob. Man wird als Betrachter dort das Gefühl nicht los, dass es zwischen den Codezeilen zieht. Man will den Hammer zücken, aber es nützt nichts. Die Handwerker haben versagt. Jakob Nielsens Leben war umsonst. Trotzdem fühlen sich Tausende User auf MySpace wohl.
Trotzdem? Oder doch eher: Deswegen? Elegantes Design scheint dem Erfolg von Community-Websites eher im Weg zu stehen, als dass es weiterhelfen würde. Eleganz zwickt im Schritt und eigentlich haben wir es doch alle lieber ausgebeult gemütlich als bauhausig korrekt.
Eine gute Community-Site ist wie ein Fingerfarbentopf im Kindergarten. Alle dürfen reingreifen und was damit machen. Und keiner soll Angst bekommen dürfen, dass das Ergebnis nicht in die edle Umgebung passen könnte. Im MySpace-Land steht Hamburger auf dem Drop-Down-Menü, nicht Kaviar.
Form follows Frankenstein
Ist diese Entwicklung schlecht? Höchstens für Designer, die Schönheit mit Attraktivität gleichsetzen. Nach dem alten Bauhaus-Credo hat die Form der Funktion zu folgen und wenn die Funktion einer Website nun mal darin besteht, Proberaum und Hobbykeller zu sein, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn MySpace und Konsorten mit Frankenstein-Design ordentlich Punkte machen.
Das Web der Zukunft wird also nicht aussehen wie Hugh Hefners Cool Jazz Lounge, sondern eher wie Nachbar Knödlingers Kellerbar. Eine rustikale Landschaft aus Laminat und falscher Eiche, in der ziegenbärtige Bierbauch-Satyrn auf Laubsägen und Blockflöten spielen, die sie gerade für einen Euro auf Ebay ersteigert haben. Und sie alle werden schunkeln und singen: "Auf und nieder - gerne wieder!"
(futurezone | Günter Hack)