Suchen ohne Tunnelblick
Wie wir das Web wahrnehmen, wird erheblich von Suchmaschinen beeinflusst - insbesondere von Marktführer Google. Doch diese einseitige Art der Informationsbeschaffung ist undemokratisch, meint Informationswissenschaftler Bernhard Rieder. Im Gespräch mit ORF.at erklärt er, wie die Websuche besser und vielfältiger werden könnte. Google werden seine Ideen nicht gefallen.
Google ist wie das Tor zum Web. Die Suchmaske ist so simpel, dass sich jeder sofort auskennt. Doch hinter der glatt polierten Oberfläche steckt ein komplexer Suchvorgang. Google durchforstet mit seinen Crawlern das Netz, nimmt die gefundenen Webseiten in seinen Index auf und erstellt dann zu jeder Anfrage ein Ranking.
Google präsentiert quasi das "Best of" des Internets. Und so hat der Marktführer unter den Suchmaschinen einen erheblichen Einfluss darauf, welche Webseiten für User sichtbar sind - und welche nicht.
"Die Reichen werden reicher"
Doch Google hat auch Macken. Einmal ganz abgesehen von den üblichen Datenschutzbedenken und der Tatsache, dass sich Google, was seine Technik betrifft, nicht in die Karten schauen lässt, zeigt die Google-Suche ein Manko: Sie bevorzugt jene Seiten, die eh schon jeder kennt.
Die Suchmaschine stuft eine Webseite dann als besonders wichtig ein, wenn sie von vielen anderen wichtigen Seiten verlinkt wird. Also landen populäre Internet-Portale weit oben im Google-Ranking - und bekommen noch mehr Aufmerksamkeit. Ein Teufelskreis entsteht. "The rich get richer", nennt Rieder das. Die Reichen werden reicher.
Bernhard Rieder, 32, forscht und lehrt an der Pariser Saint-Denis-Universität. In seiner Arbeit beschäftigt sich der gebürtige Klagenfurter damit, wie kognitive und soziale Aufgaben ins Web ausgelagert werden. Es stellt dabei auch die Frage, wie Suchdienste ein pluralistischeres Bild der im Internet auffindbaren Information widergeben könnten.
Vergangenen Samstag war Rieder zu Gast auf der "Deep Search"-Konferenz des World Information Institute, bei der es um die Macht von Suchmaschinen ging. Sämtliche Vorträge sollen in Kürze auf der Website der Konferenz als Video einsehbar sein.
Demokratische Suchmaschinen
Rieder lehrt als Assistenzprofessor an der Pariser Universität Saint-Denis und war vergangene Woche auf der "Deep Search"-Konferenz in Wien zu Gast. Der gebürtige Klagenfurter erforscht, wie man Suchmaschinen demokratischer machen könnte. Ihn stört die Dominanz von Google.
Acht von zehn Webqueries laufen lauf dem Marktforscher Comscore über Google. "Die Frage ist gar nicht, ob das Unternehmen seine Marktführerschaft missbraucht. Es geht darum, wie demokratisch es ist, wenn so viele Menschen nur eine Suchmaschine verwenden", sagt Rieder.
Mehr Pluralität
Er wünscht sich Pluralität: Mehr Suchmaschinen, mehr Suchmethoden. Dass das möglich ist, zeigt in seinen Augen Exalead. Die Suchmaschine soll die französische Antwort auf Google sein. Und im Gegensatz zu Yahoo und Microsofts Live Search hebt sich Exalead laut Rieder auch deutlich vom Marktführer ab. "Wenn man dort etwas sucht, erhält man andere Ergebnisse als bei Google", sagt er. Auch Exalead will sich nicht in die Karten schauen lassen, wie es das genau macht.
Dieses Beispiel zeigt aber, dass es mehr als nur eine Methode geben kann, um ein brauchbares Suchergebnis zu bekommen. Wer sich allerdings auf eine Methode beschränkt, riskiert, mit einem Tunnelblick durchs Web zu surfen. Das zeigt sich schon jetzt: Bei manchen Debatten verlinkt Google tendenziell eher Webseiten, die der Mehrheitsmeinung entsprechen. Der Rest landet weiter unten.
Wikia mit Schwachstellen
Im Vorjahr sorgte Wikipedia-Gründer Jimmy Wales für Aufsehen, als er verkündete: "Search is broken." Die Suche sei kaputt. Er startete daraufhin seinen eigenen Dienst Wikia Search, bei dem die User selbst entscheiden, welche Webseiten oben im Ranking landen. "Es ist sicher wichtig, dass der Mensch wieder stärker eingebunden wird", meint Rieder. Aber ob der Zugang von Wales zielführend ist, hinterfragt der Forscher.
Wer bei Wikia nach dem US-Präsidentschaftskandidaten John McCain sucht, wird keine ausgewogene Auflistung, sondern hauptsächlich Pro-Obama-Seiten finden. So eine verzerrte Darstellung ist eine der Schwachstellen, wenn die Community alles bestimmt.
Google-Alternativen
Wer nicht immer nur googeln möchte, könnte zum Beispiel auch folgende Suchmaschinen ausprobieren:
Exalead: Einmal etwas anderes als Yahoo, Microsofts Live Search und Google. Die französische Suchmaschine listet über acht Milliarden Webseiten in ihrem Index auf und bietet sehr übersichtlich vielfältige Suchmodi an, zum Beispiel phonetische Suche und Wortstammsuche.
Clusty: Die Meta-Suchmaschine zeigt nicht nur Suchergebnisse an, sondern liefert auch zur Anfrage passende Themengebiete (Cluster). Wer zum Beispiel nach "Pizza Wien" sucht, wird auch "Pizzaservice" als Cluster angeboten bekommen. Diese Serviceleistung kann dabei helfen, andere hilfreiche Suchbegriffe zu finden, ohne sich lange den Kopf über die Suchanfrage zu zerbrechen.
Shmoogle: Eigentlich ein Kunstprojekt der Mediendesignerin Tsila Hassine, aber ganz witzig zum Ausprobieren. Der Google-Randomizer verwendet die Suchergebnisse von Google, ändert aber nach dem Zufallsprinzip die Rangfolge der Treffer. So kann es passieren, dass das Google-Suchergebnis Nummer eins auf Platz 53 landet - und umgekehrt.
Der Konkurrenz voraus
Der größte Stolperstein für neue Suchmaschinen ist allerdings, dass Google ihnen meilenweit voraus ist. Erst im Juli gab der Marktführer bekannt, die einbillionste URL im Web gefunden zu haben. Kein Start-up-Unternehmen kann sich die Unmengen an Servern leisten, mit denen Google all diese Daten speichert und auf Knopfdruck für User verarbeitet.
Gleichzeitig wird aber kein User auf eine neue Search-Engine umsteigen, wenn diese viel länger lädt. Extrem hohe Infrastrukturkosten und bestehende User-Gewohnheiten hindern die Konkurrenz daran, an Googles Marktanteilen zu knabbern.
"Google aufsplitten"
Deswegen soll der Staat eingreifen, empfiehlt Rieder. "Die radikalste Variante wäre, Google aufzusplitten. Bei Unternehmen wie AT&T ist das im 20. Jahrhundert auch passiert." Er weiß sehr wohl, wie unwahrscheinlich und kompliziert eine Zerschlagung von Google ist.
Aber er hat sich auch andere Möglichkeiten überlegt. Einerseits könnten Staaten lokale Suchmaschinen subventionieren. Ähnlich wie bei der heimischen Presseförderung könnte das die Pluralität fördern. Andererseits könnte Google dazu gezwungen werden, einen Teil seiner Infrastruktur für andere zugänglich zu machen. Die "Google Sandbox" nennt der Forscher dieses Konzept. "Open-Source-Programmierer könnten eigene Rankingmechanismen für Google schreiben", meint er. Denkbar wäre beispielsweise, dass die Organisation Reporters sans frontieres (Reporter ohne Grenzen) unter Rfs.google.com dann eine eigene Suche für Online-Zeitungen anbietet, die auch nach anderen Kriterien ein Ranking der besten Treffer erstellt.
Google aufsplitten, sich dort einnisten und andere Suchmaschinen fördern: Diese drei Möglichkeiten könnten laut Rieder zu einer Demokratisierung der Suche führen. Das Wichtigste sei allerdings, dass User und Politiker zu verstehen beginnen, wie viel Macht Suchmaschinen als Schwellenhüter von Information besitzen. Wenn dieses Verständnis gegeben sei, werde auch Google die Konkurrenz zu spüren beginnen.
(Ingrid Brodnig)