Bundestag verabschiedet BKA-Gesetz
Der deutsche Bundestag hat nach einer wütenden Debatte das lange umstrittene Gesetz verabschiedet, das dem Bundeskriminalamt (BKA) umfangreiche Überwachungsbefugnisse einräumt. Das Gesetz, das unter anderem erlaubt, Ärzte, Journalisten und Anwälte abzuhören, erntete heftige Kritik von Bürgerrechtlern, Berufsverbänden und Opposition.
Der deutsche Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist damit am Ziel. Der Bundestag verabschiedete das umstrittene BKA-Gesetz mit den Stimmen der meisten Abgeordneten der Regierungskoalition.
375 Parlamentarier stimmten am Mittwoch für das Gesetz, 168 dagegen, sechs enthielten sich. Insgesamt 20 Abgeordnete der Regierungskoalitonspartei SPD stimmten mit der Opposition. Der deutsche Bundesrat muss noch zustimmen. Auch dort haben Union und SPD eine solide Mehrheit. Die Entscheidung ist für dieses Jahr geplant.
Der deutsche Bundestag hat das verabschiedete Gesetz in der Vorab-Fassung bereits auf seiner Website publiziert.
Keine Angst vor Verfassungsklage
In einer turbulenten Bundestagsdebatte verteidigte Schäuble das Gesetz gegen scharfe Kritik der Opposition. "Wir reagieren auf neue technologische Entwicklungen - mit der Bewahrung unserer freiheitlichen Grundrechte", sagte Schäuble.
Er sehe dem von der Opposition angedrohten Gang zum Bundesverfassungsgericht "mit großer Gelassenheit und Sicherheit entgegen". Der Innenexperte der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), sekundierte Schäuble; das Gesetz entspreche "Punkt für Punkt" den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.
Die BKA-Befugnisse :
Online-Durchsuchung:
Die verdeckte Online-Durchsuchung von Computern von Verdächtigen wird dem Gesetzesentwurf zufolge dann erlaubt, wenn die Unversehrtheit einer Person oder der Bestand des Staates gefährdet sind. Die Beamten müssen das Spionageprogramm für den umstrittenen "Bundestrojaner" allerdings per E-Mail oder über einen anderen technischen Weg installieren. Die Wohnung des Verdächtigen dürfen sie dazu nicht betreten.
Grundsätzlich ordnet ein Richter die Durchsuchung an, wenn der Präsident des BKA sie beantragt hat. Die richterliche Anordnung kann aber bei "Gefahr im Verzug" vorerst entfallen. In diesem Fall kann der BKA-Präsident die Maßnahme anweisen, muss die richterliche Genehmigung aber innerhalb von drei Tagen nachträglich einholen. Geschieht das nicht, tritt die Anordnung außer Kraft.
Werden Daten mittels Online-Durchsuchung erhoben, muss sichergestellt werden, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt wird. Zur Sicherung der Privatsphäre sieht das Gesetz vor, dass der nicht weisungsgebundene Datenschutzbeauftragte des BKA und zwei Beamte der Behörde die erhobenen Daten auf Privates hin überprüfen. Einer der BKA-Beamten muss die Befähigung zum Richteramt haben.
Lausch- und Spähangriff:
Die BKA-Beamten dürfen künftig die Wohnungen Verdächtiger akustisch und optisch überwachen. Auch hier gilt, dass grundsätzlich eine richterliche Anordnung erforderlich ist, auf die bei "Gefahr im Verzug" vorerst verzichtet werden kann. Dasselbe gilt auch für die Telefonüberwachung. Reden die Überwachten über private Themen, muss die Observation grundsätzlich unterbrochen werden. Bestehen Zweifel über den Charakter der Gespräche, kann die Aufnahme im "Automatikmodus" fortgeführt werden. Das Gericht muss dann diese Aufzeichnungen auswerten und entscheiden, ob sie verwertet werden dürfen oder nicht.
Rasterfahndung:
Die Rasterfahndung, die dem Abgleich von Daten unterschiedlicher Stellen dient, ist im BKA-Gesetz ebenfalls vorgesehen. Allerdings strich die Koalition die Möglichkeit, diese Methode bei "Gefahr im Verzug" auch ohne richterliche Anordnung anzuwenden.
Geschützte Berufsgruppen:
Generell ausgenommen von der Überwachung sind Geistliche, Abgeordnete sowie Strafverteidiger von Beschuldigten, die von der Überwachung betroffen sind. Bei den anderen als schützenswert eingestuften Berufen - wie etwa Journalisten - ist eine Überwachung hingegen grundsätzlich zulässig. Verweigern sie bei einer Befragung die Aussage oder die Herausgabe von Materialien, können sie sogar unter Androhung von Zwangsgeld und Beugehaft dazu gezwungen werden.
Informantenschutz unterlaufen
Zu den umstrittenen Maßnahmen zählen die Computerdurchsuchung übers Internet, die akustische und optische Wohnraumüberwachung und die Telekommunikationsüberwachung. Der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss teilte mit, er stimme wegen der Online-Durchsuchung, der "Vermengung geheimdienstlicher und polizeilicher Aufgaben" sowie "mangelnden Schutzes" von Journalisten gegen das Gesetz.
Journalisten, die ihre Informanten schützen wollen, können künftig vom BKA unter Androhung von Zwangsgeld und Beugehaft dazu gezwungen werden, kompromittierende Materialien herauszugeben. Nur Abgeordnete, Geistliche und Strafverteidiger von überwachten Personen bleiben geschützt.
Michael Konken, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalistenverbands (DJV), sieht die Arbeit investigativer Journalisten damit bedroht: "Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass Journalisten, Rechtsanwälten und Ärzten nur ein eingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht zugestanden wird, während Strafverteidiger, Geistliche und Abgeordnete den vollen Schutz genießen." Auch Elke Schäfter, Geschäftsführerin der Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen, kritisierte: "Grundprinzipien der Pressefreiheit, der Informantenschutz und das Redaktionsgeheimnis, sind gefährdet."
Opposition: Richter ausgehebelt
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast kritisierte im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), die Online-Durchsuchungen seien verfassungswidrig, weil sie keinen Freiheitsraum für den unbescholtenen Bürger ließen. Ziel Schäubles sei es, "ein deutsches FBI zu schaffen". Die Grünen haben bereits angekündigt, gegen die Online-Durchsuchung vor das Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen.
Der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Max Stadler (FDP), sagte im Deutschlandradio Kultur: "Wenn man eine heimliche Online-Durchsuchung anordnen will, (...) dann ist doch das Mindeste, was in einem Rechtsstaat verlangt werden kann, dass ein unabhängiger Richter diese Entscheidung trifft."
FDP-Expertin Gisela Piltz kritisierte einen "uferlosen Anwendungsbereich" des Gesetzes. Wie die Grünen will auch die FDP Verfassungsbeschwerde führen. Aus Sicht der Linke-Innenexpertinn Ulla Jelpke ist das Gesetz eine "Lizenz zur Willkür", wie sie während der Bundestagsdebatte sagte.
CDU-Politiker verteidigen Gesetz
Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) dagegen sagte dem Sender n-tv, die neuen Befugnisse des BKA hätten die Landespolizeibehörden längst. Sie seien nötig, da das Amt auch entsprechende Aufgaben in der Terrorabwehr übertragen bekommen habe. Daten privater Lebensgestaltung dürften bei der Online-Durchsuchung nicht erhoben werden.
Auch Schäuble erläuterte: "Die meisten Leute, die das kritisieren, haben gar nicht begriffen, dass das Bundeskriminalamt keine anderen Befugnisse im Prinzip bekommt als jede Landespolizei seit 50 Jahren hat." Der Kernbereich des privaten Lebens werde bei Verhaftungen und Hausdurchsuchungen immer berührt. Dass die Polizei unter engen Voraussetzungen auch einmal ein Telefon abhören könne, sei nichts Neues, sagte der Minister. Nach der Bundestagsentscheidung soll der Bundesrat voraussichtlich noch vor Weihnachten entscheiden.
Anwälte und Ärzte protestieren
Scharfer Protest kam vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger, dem Deutschen Anwaltverein, vom Bundesverband Informationswirtschaft (BITKOM) und der Bundesärztekammer. Sie sehen vor allem das Zeugnisverweigerungsrecht gefährdet.
BITKOM-Präsident August-Wilhelm Scheer etwa findet es problematisch, dass es den BKA-Mitarbeitern selbst überlassen sei zu prüfen, ob unter den im Rahmen der Online-Durchsuchung erfassten Daten besonders geschütztes Material aus dem Kernbereich der Privatsphäre ist. Scheer: "Das BKA soll in der Praxis allein entscheiden - das darf nicht sein. Wenn es eilt, sollte mindestens ein Staatsanwalt die PC-Überwachung genehmigen, so wie es auch für Telefongespräche gilt. Und die Frage, welche intimen Daten von der Polizei nicht verwendet werden dürfen, muss Sache eines Richters sein."
Polizeigewerkschaft verlangt Änderungen
Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) sprach sich in einer Aussendung vom 7. November dafür aus, das BKA-Gesetz nochmals zu überarbeiten. Der Bundesvorsitzende der Organisation, Rainer Wendt, kritisierte vor allem, dass sich das BKA bei der Online-Durchsuchung selbst kontrollieren soll, und räumte den angekündigten Klagen gegen das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht "beste Chancen" ein. Das deutsche BKA-Gesetz ähnelt in dieser Hinsicht dem österreichischen Sicherheitspolizeigesetz, das bei "Gefahr im Verzug" auch nur Kontrollen durch den internen Rechtsschutzbeauftragten des Innenministeriums vorsieht.
Netzpolitik.org: Materialsammlung zum BKA-Gesetz
Die deutschen Bürgerrechtler, die die Vorgänge rund um die Entstehung des BKA-Gesetzes auf dem Weblog Netzpolitik.org seit Monaten dokumentieren und kritisch mitverfolgen, haben ihrerseits zahlreiche negative Kommentare aus Verbänden und Medien gesammelt und fragen abschließend: "Wer findet eigentlich außer BKA, Bundesregierung, CDU und SPD das BKA-Gesetz toll?"
(dpa/AFP/futurezone)