"Der E-Book-Markt entsteht jetzt"
Bei der Messe Buch Wien wurde über die Möglichkeiten elektronischer Bücher für Buchhandlungen und Verlage diskutiert. Darüber, dass E-Books auf kurz oder lang eine gewichtige Rolle im Buchgeschäft spielen werden, herrschte unter Branchenvertretern Einigkeit. Auch Buchpiraterie und Kopierschutz kamen zur Sprache.
Schon einmal waren E-Books das nächste große Ding. Im Jahr 1998 sollte der E-Book-Reader Rocket eBook den Buchmarkt revolutionieren. Kaum drei Jahre später war das klobige Lesegerät schon wieder Geschichte.
Mit neuen E-Book-Readern, die auf die lesefreundliche E-Ink-Technologie setzen, dem Einstieg großer Player wie Amazon in das E-Buch-Geschäft sowie neuen Vertriebskonzepten schrillt in der Branche nun neuerlich der Hype-Alarm.
Die neu konzipierte Wiener Buchmesse Buch Wien findet noch bis Sonntag auf dem Wiener Messegelände statt und ist mit 270 Ausstellern die bisher größte Bücherschau Österreichs.
Warum E-Books diesmal tatsächlich vor dem Durchbruch stehen könnten, erläuterten am Donnerstag deutsche und österreichische Buchmarktexperten bei der Buch Wien.
"Ein erster Flop bedeutet nicht, dass sich eine Technologie nicht durchsetzen wird", sagte Ronald Schild, Geschäftsführer der deutschen Marketing- und Verlagsgesellschaft des Buchhandels (MVB), die das Buchportal Libreka betreibt. "Auch elektronische Organizer haben mehr als zehn Jahre gebraucht, bis sie sich letztlich am Markt etabliert haben." Das werde auch mit dem E-Book passieren, ist Schild überzeugt.
"1A-Lagen werden heute verteilt"
"Der E-Book-Markt entsteht jetzt", mahnte Schild. Die Branche müsse elektronische Bücher als Zukunftsoption akzeptieren: "Die 1A-Lagen in dem neuen Markt werden heute verteilt." Für den Buchhandel sei es wichtig, schon jetzt E-Books und elektronische Lesegeräte anzubieten. Sonst würden die Händler Gefahr laufen, überrannt zu werden.
Die 2006 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels gegründete Online-Plattform Libreka bietet eine Volltextsuche für mehr als 80.000 Bücher. Ab 2009 sollen über Libreka in Kooperation mit dem Buchhandel. auch E-Books zum Download angeboten werden.
Von Amazon an die Wand gedrückt
In den USA werde der neue Markt für elektronische Bücher bereits mit dem Online-Buchhändler Amazon gleichgesetzt, der im vergangenen Jahr seinen E-Book-Reader Kindle samt umfangreichen Katalog mit elektronischen Büchern präsentierte.
Der Buchhandel spiele im Geschäft mit den elektronischen Büchern in den Vereinigten Staaten keine Rolle mehr und auch die Verlage hätten es angesichts der Marktmacht des Online-Einzelhandelsriesen schwer, eigene Preise für elektronische Bücher festzusetzen, so Schild.
"Überleben als Antiquariat"
Der Mehrzahl der Kunden sei es egal, ob es ein Buch in elektronischer Form oder auf Papier in den Händen halte. "Ein Buch ist ein Buch", sagte Schild: "Werden E-Books in Buchhandlungen nicht angeboten, dann gehen die Kunden eben woanders hin", warnte Schild. Der Buchhandel würde zwar auch dann überleben, jedoch lediglich als Antiquariat.
"Schnell akzeptiert"
Die konkreten Marktchancen für elektronische Bücher seien schwer zu beurteilen, meinte der MVB-Geschäftsführer. Es deute jedoch vieles darauf hin, dass elektronische Bücher sehr schnell vom Kunden akzeptiert werden.
Bei Amazon würde schon heute jedes zehnte Buch, das sowohl in elektronischer als auch in Papierform verfügbar sei, als E-Book verkauft, gab Schild zu bedenken.
74 Prozent Wachstum in den USA
In den USA sei der E-Book-Markt im dritten Quartal des laufenden Jahres um 74 Prozent gewachsen, rechnete Nina Kreutzfeld vom Digitalisierungsdienstleister Kreutzfeld Electronic Publishing vor. Ähnliche Wachstumsraten seien mit Zeitverzögerung auch in Europa zu erwarten.
Gängige Formate
Kreutzfeld gab in ihrem Vortrag Einblick in die heute gängigen E-Book-Formate. EPUB, PDF und mobipocket hätten sich aus einer Vielzahl verfügbarer Formate "herauskristallisiert", so die Digitalisierungsdienstleisterin. Alle haben Vor- und Nachteile. So würde sich etwa der vom International Digital Publishing Forum (IDPF) vor rund einem Jahr ins Leben gerufene offene Standard EPUB besonders für lineare, in Kapitel organisierte Werke wie Romane und Sachbücher eignen. Für Nachschlagewerke würden noch wichtige Funktionen, etwa eine Indexfunktion, fehlen.
Bei PDF sei auf kleineren Bildschirmen die Darstellung unbefriedigend. Auch die Navigations- und Suchfunktion seien vergleichsweise eingeschränkt, erörtere Kreutzfeld.
Das Format mobipocket biete für Wörterbücher und Nachschlagewerke die beste Unterstützung, da verschiedene Suchfunktionen problemlos integrierbar seien. Mobipocket könne unverschlüsselt auch am (allerding hierzulande noch nicht erhältlichen) Amazon-Reader Kindle genutzt werden, ergänzte Kreutzfeld.
Während heute Verlage zur Erstellung von E-Books vielfach noch externe Dienstleister beauftragen würden, sei es nur eine Frage der Zeit, bis die Erstellung von E-Books in den Workflow der Verlage integriert werde.
E-Books in öffentlichen Bibliotheken
Holger Behrens vom deutschen Biobliotheksdienstleister DiViBib verwies auf die Rolle öffentlicher Bibliotheken für die Akzeptanz elektronischer Bücher. Bibliotheken seien "Entwicklungshelfer für Neue Medien", sagte Behrens.
So hätten etwa die Verkäufe von DVDs und Hörbüchern spürbar angezogen, nachdem sie in öffentlichen Bibliotheken angeboten wurden. "Wenn die Grundversorgung mit E-Books in der öffentlichen Bibliothek sichergestellt ist, gibt man vielleicht eher 300 Euro für ein Lesegerät aus", meinte Behrens.
Behrens Unternehmen DiViBib versorgt derzeit rund 50 deutsche öffentlichte Bibliotheken mit elektronischen Büchern. Mehr als 100.000 Leute machen nach Angaben Behrens bereits von der Möglichkeit des virtuellen Medienverleihs Gebrauch. In Österreich soll die "Onleihe" Anfang nächsten Jahres in Linz starten. Im Laufe des Jahres sollen auch in Graz und Salzburg E-Books ausgeliehen werden können.
Paradoxes DRM
Im Bibliotheksgebrauch sei der Einsatz von Kopierschutztechnologien (Digital Rights Management, DRM) obligatorisch, sagte Behrens. Dabei stellt DRM auch sicher, das jedes Exemplar zu jedem beliebigen Zeitpunkt nur von einem Benutzer entlehnt werden kann.
"Das ist 1:1 vergleichbar mit der physikalischen Welt", beschrieb Behrens die paradoxe Situation. Wenn die Bibliothek wolle, dass ein Exemplar gleichzeitig von mehreren Nutzern "entlehnt" werden kann, müsse sie auch mehrere Lizenzen kaufen.
Urheberrechtsverletzungen
Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, brachte schließlich die E-Book-Piraterie zur Sprache. Diese sei ein "ganz großes Thema" beim Lobbying der Industrieverbände.
Sprang beklagte, dass es "fast nicht möglich" sei, gegen den nicht autorisierten Vertrieb digitaler Bücher vorzugehen: "In Deutschland geht der Datenschutz über alles."
"Piraterie ist Problem des 'analogen' Buches"
Man solle nicht den Trugschluss aufsitzen, dass E-Books etwas mit Piraterie zu tun hätten, meinte Libreka-Betreiber Schild in der anschließenden Diskussion. "Niemand ist so blöd, digital gekaufte Bücher in Tauschbörsen zu stellen, weil man davon ausgehen muss, dass sie in irgendeiner Form markiert sind."
Die Piraterie sei ein Problem des "analogen" Buches. Dieses werde gescannt und danach im Netz zur Verfügung gestellt: "Wenn man die Piraterie verhindern will, muss man aufhören, Bücher zu drucken."
"Psychologisches DRM"
Die Frage der Piraterie sei auch über Kopierschutz nicht zu lösen. Restriktives Digital Rights Management führe allenfalls dazu, dass Piraterie begünstigt werde.
Schild sprach sich für "relativ wenig Restriktion" beim Vertrieb elektronischer Bücher aus: So könnten etwa über Wasserzeichen, in den die Kundenummer vermerkt wird, nicht lizenzierte Kopien wirksam bekämpft werden: "'Psychologisches DRM' reicht vollkommen aus."
(futurezone/Patrick Dax)