Weblogs als "digitaler Nihilismus"
In seinem jüngsten Buch "Zero Comments", das seit kurzem auch auf Deutsch vorliegt, unterzieht der niederländisch-australische Netzaktivist und Medientheoretiker Geert Lovink das Web 2.0 einer kritischen Bestandsaufnahme. Dabei spürt er auch dem "nihilistischen Impuls" von Weblogs nach.
Geert Lovink ist seit 15 Jahren im Internet aktiv und hat es in dieser Zeit vom Netzaktivisten zum Uniprofessor für Media Studies und Hochschul-Institutsleiter für Netzkultur in Amsterdam gebracht. Im letzten Jahr erschien sein Buch "Zero Comments", das nicht nur im Web, sondern auch im Feuilleton vieldiskutiert wurde.
Vor allem seine kritische Betrachtung der Blogosphäre als "digitalen Nihilismus" sorgte mitten im großen Web-2.0-Hype für Aufsehen. Nun liegen Lovinks "Elemente einer kritischen Internetkultur", so der Untertitel des Buches, auch auf Deutsch vor.
Die deutsche Fassung von "Zero Comments. Elemente einer kritischen Internetkultur", ist im Bielefelder transcript Verlag erschienen. Auf der Website des Verlags findet sich auch eine Leseprobe.
Weitere Texte von Lovink finden sich auf seinem Weblog net critique.
Einige Internet-Beispiele lassen erkennen, dass die zeitverzögerte Veröffentlichung einer Buchübersetzung mitunter von der virtuellen Welt überholt wird. Geert Lovink hatte das Manuskript zu dem Buch schon im September 2006 abgeschlossen, findet aber, dass die Fragestellungen noch immer dieselben sind: "Es geht um Unternehmenskontrolle, Überwachung und Zensur, geistiges Eigentum, Filterung, ökonomische Nachhaltigkeit und 'Governance'".
Ruf nach "tiefgehender Kommunikationsrevolution"
Ein großes Thema um das Web 2.0 war und ist der Bürgerjournalismus. Mehrmals wurde in den letzten Jahren der Niedergang der klassischen Medien vorhergesagt. Diese würden durch Berichterstattung und Analyse der Masse von Online-Publizisten, von denen immer jemand an Ort und Stelle und involviert sei, abgelöst.
Das Informationsmonopol der Medien werde so gebrochen, und die breite Masse der Inhaltsproduzenten praktiziere Emanzipation und Teilhabe. Lovink sieht diese Entwicklung etwas anders: Um hier wirklich eine Veränderung zu bewirken, müsse zuerst eine tiefgehende Kommunikationsrevolution stattfinden, die die gesamte Infrastruktur und die Eigentumsverhältnisse der Medien verändere, so Lovink.
Basis im Alltag
Aber hat das Internet selbst die Kraft, die Welt zu verändern, oder nicht? Konspirative Energie entsteht nach Meinung von Geert Lovink nicht im virtuellen, sondern im echten Leben - das Netz ist ein Hilfsmittel zur Weiterführung und Kommunikation, aber ohne Basis im Alltag, im "Real Life", enstehen auch keine effektiven Online-Netzwerke - zumindest nicht mehr.
"Zero Comments" setzt sich mit vielen Themen der Netzkultur auseinander - neben dem vielbachteten Blogging-Kapitel und den Möglichkeiten des Medienaktivismus geht es auch um die deutsche Medientheorie im Besonderen, um Medienkunst, um neue Medienkultur in Indien, um den Zusammenhang von Architektur und Netz und einiges mehr.
Geistige Eigentumsrechte
Ein Aspekt, der auch in "Zero Comments" immer wieder auftaucht, ist jener der geistigen Eigentumsrechte und der kommerziellen Verwertung von Netzinhalten, ohne dass die Produzierenden davon je einen finanziellen Nutzen hätten. Freie Inhalte zu produzieren, hält Lovink für eine gute Sache, aber es sollte kein Zwang sein, sondern eine Möglichkeit. "Creative Commons" würde er in diesem Sinne um eine Stufe erweitern, die auch eine Form der Abgeltung zulässt.
Mehr dazu am Sonntag um 22.30 Uhr im Ö1-Netzkulturmagazin "matrix".
Wie das genau aussehen könnte definiert er nicht. Geert Lovink hat keine Patentlösungen parat, aber: Die richtigen Fragen zu stellen, ist bekanntermaßen der wichtigste Schritt auf dem Weg zu einer guten Antwort. Und die Analysen des niederländisch-australischen Medientheoretikers sind zweifellos fundiert und anregend.
(matrix/Eva Schmidhuber)