"Bild" rüstet Leserreporter mit Video auf
Die deutsche Boulevardzeitung "Bild" und die Handelskette Lidl vermarkten gemeinsam Videokameras. Diese werden mit einer Software ausgeliefert, mit der die Nutzer ihre Videos direkt auf das Online-Portal Bild.de hochladen können.
Das Portal der deutschen Boulevardzeitung wird wohl bald auf etliche Amateurreporter mit Videokameras zurückgreifen können. Am 4. Dezember bringt die Handelskette Lidl eine Bild.de-Leserreporterkamera auf den Markt. Wenn der Nutzer das Gerät an einen Computer anschließt, öffnet sich ein Programm, mit dem die Filme zum Online-Portal der auflagenstärksten Zeitung Deutschlands geschickt werden können. Damit wird die Debatte über den Bürger-Journalismus wieder angeheizt. Für "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann ist das eine wichtige "Medienevolution". Dagegen warnt der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) vor einer Entwertung der professionellen Arbeit.
Die nur 86 Gramm wiegende Kamera hat eine Aufnahmezeit von bis zu zwei Stunden. Die Hobbyfilmer können damit privat arbeiten und auch mit ihren Aufnahmen in die Öffentlichkeit gehen. Bild.de gehört zu den großen Internet-Portalen in Deutschland und hatte im Oktober rund 880 Millionen Seitenabrufe. Die Filme können auch auf Googles Videoportal YouTube geladen werden.
Bedenken des Journalistenverbands
Damit entwickelt "Bild" die Aktion Leserreporter weiter. Seit Mitte 2006 hat das Blatt rund 9.000 Bilder von Lesern in der Zeitung veröffentlicht und mehrere 10.000 Fotos im Internet - von einem freilaufenden Wolf in Sachsen über Eisbär Knut, der mit einer Hose des gestorbenen Pflegers Thomas Dörflein kuschelt, bis zum dunklen Rauch aus einer Linienmaschine auf dem Flughafen München. "Wir erhalten bis zu 4.000 Fotos am Tag. Insgesamt hat uns das fast 1.000 Aufmacherstorys gebracht", betont Diekmann. Professionelle Fotografen könnten nicht überall sein. Für jedes gedruckte Bild erhält ein Amateur 500 Euro. Ob auch Videos honoriert werden, ist noch nicht entschieden.
Für den DJV-Bundesvorsitzenden Michael Konken wird mit dem Verkauf der Videokameras eine neue Dimension erreicht. "Das bringt uns im Journalismus nicht weiter und es ist eine Aufforderung, Grenzen zu überschreiten", sagt er. "Viele werden unter Missachtung aller Persönlichkeitsrechte versuchen, Prominenten aufzulauern." Diese Art von Sensationsjournalismus könne leicht außer Kontrolle geraten. Bei Autounfällen würden zu allererst Kameras gezückt und damit Hilfskräfte sowie professionelle Journalisten behindert.
Die Grenze zwischen Bürgerjournalismus, also der Arbeit von Menschen, die sich in gemeinnützigen Projekten oder als Blogger journalistisch engagieren, und "Crowdsourcing", also der Nutzung von Arbeitskraft aus dem Publikum für kommerzielle Zwecke, ist oft nicht einfach zu bestimmen.
Panoptikum Deutschland
Diekmann hält solche Einwände nicht für stichhaltig. "Leser-Reporter sind eine sinnvolle Ergänzung und machen den Journalismus interessanter und besser", meint er. Paradebeispiel ist für Diekmann: eine Leserreporter-Aufnahme vom Machtwechsel bei der SPD-Klausur Anfang September am Schwielowsee bei Potsdam.
Ein Amateur fotografierte Kurt Beck kurz nach dessen Rücktritt bei einem gemeinsamen Spaziergang mit seinem Nachfolger Frank-Walter Steinmeier. "Es war das einzige Foto und ist ein historisches Dokument geworden." Diekmann verweist darauf, dass viele bedeutende Aufnahmen zufällig entstanden sind, von der Ermordung des US-Präsidenten John F. Kennedy 1963 bis zum Absturz der Concorde in Paris. Auch Pannen könnten schlechter vertuscht werden.
Interne Kontrolle
Diekmann betont auch die strenge Prüfung der Aufnahmen. "Wir hatten bisher nur drei bis vier rechtliche Auseinandersetzungen in zwei Jahren." Auch der Berliner Medienanwalt Christian Schertz, der drei Leserfotos von Joschka Fischer, David Odonkor und Lukas Podolski unter Hinweis auf Persönlichkeitsrechte verbieten ließ, kommt inzwischen zu dem Schluss: "Die Praxis hat gezeigt, dass stringenter als früher versucht wird, Rechtsverstöße zu vermeiden."
(dpa/futurezone)