© Bild: RjDj/Reality Jockey, RjDj - Screenshot

Musik als Software

Sounds
01.12.2008

Die iPhone-Applikation RjDj des österreichisch-britischen Unternehmens Reality Jockey erzeugt Soundcollagen aus Alltagsgeräuschen und gibt Ausblick auf die digitalen Musikformate der Zukunft. ORF.at hat mit RjDj-Erfinder Michael Breidenbrücker über Musik als Software und reaktive Musikformate gesprochen.

"Musik ist mehr als die digitale Kopie einer Aufnahme", heißt es auf der Website von RjDj. Die Musik-Software RjDj, die seit Mitte Oktober als iPhone-Applikation verfügbar ist, zeigt interaktive Möglichkeiten im Umgang mit Musik auf. "Wir verstehen Musik als Software", sagt Breidenbrücker zu ORF.at.

Echtzeit-Soundcollagen

RjDj nimmt über das iPhone-Mikrophon Umweltgeräusche auf und verarbeitet sie zu Echtzeit-Soundcollagen, die sich je nach Geräuschkulisse ständig ändern. Aus Baustellengeräuschen werden so funky Tracks, Straßenlärm verdichtet sich zu brummenden Beats. Daneben können die Sounds auch durch den Bewegungssensor und Touchscreen modifiziert werden.

RjDj-Erfinder Michael Breidenbrücker hatte auch schon bei einer anderen Innovation im Musikbereich die Hände mit im Spiel. Er zählte zum Gründungsteam des Online-Radio- und Musikempfehlungsdienstes last.fm.

Im Mai 2007 wurde der in London ansässige Online-Musikdienst für rund 280 Millionen Dollar an CBS verkauft. Breidenbrücker verabschiedete sich bereits 2005 - vor dem lukrativen Deal mit dem US-Medienkonzern - aus dem last.fm-Team, um sich seiner Software-Firma in Vorarlberg zu widmen. Heute leitet Breidenbrücker Reality Jockey Ltd., das Unternehmen hinter RjDj.

Die Formatvorlagen für die Verarbeitung der Alltagssounds bilden Scenes - Programme, die dem RjDj-Player vorgeben, wie er mit dem Audio- und Bewegungsinput verfahren soll. Sie wurden von verschiedenen Künstlern und Entwicklern erstellt.

Die RjDj-Scenes werden gebündelt mit einem Player über den iTunes App Store angeboten. RjDj ist dort derzeit in einer kostenlosen Version (Single - mit einer Scene) und für etwas mehr als zwei Euro (Albumversion mit sechs Scenes) erhältlich. An RjDj-Versionen für andere Plattformen, etwa Googles Android, wird gearbeitet.

ORF.at: Im experimentellen Bereich und in der Medienkunst wird seit geraumer Zeit mit interaktiven und reaktiven Musikformaten experimentiert. Auch Sie hatten die Idee zu RjDj schon vor längerer Zeit. Warum haben Sie sie erst jetzt realisiert?

Breidenbrücker: Die Idee zu RjDj hatte ich schon 1999. Eine Software wie RjDj wäre jedoch damals für viele Leute völlig unverständlich gewesen. Ich war außerdem zu dieser Zeit in London mit last.fm beschäftigt. Mittlerweile ist jedoch sehr viel passiert. Vor allem aus dem Gaming-Bereich sind Impulse gekommen. Es gibt Spiele wie "Guitar Hero" und "Singstar", bei denen Musik gemeinsam mit den Nutzern entsteht und viele Spiele, bei denen Leute Musik selbst produzieren. Daneben haben sich auch neue Interfaces etabliert, etwa bei der Nintendo Wii. Bewegungen aus dem realen Raum werden in virtuelle Bewegungen umgesetzt. Das hat die Akzeptanz für neue Interfaces erhöht. Im Musikbereich ist hingegen seit Techno nichts wirklich Neues passiert. Auf ein neues Hörerlebnis warten wir schon seit Jahren. Die Leute sind daher dafür offen, Neues auszuprobieren und ihren Zugang zu Musik neu zu definieren. Wir haben sehr positives Feedback bekommen und glauben, dass RjDj als Format funktionieren kann.

Musik-Software von Brian Eno

Anfang Oktober veröffentlichte der britische Ambient-Pionier Brian Eno gemeinsam mit dem Musiker und Software-Designer Peter Chivas Musik-Software für das iPhone und den iPod touch. Bloom ist ein Ambient-Instrument, generativer Kompositionsgenerator und Lichtinstallation im Taschenformat. Mit dem Finger lassen sich Noten auf dem Touchscreen setzen, die nach einiger Zeit wiederholt werden. Alternativ erzeugt das Programm selbst Tonfolgen und springt ein, wenn Bloom nicht aktiv genutzt wird. So entstehen immer neue Klangfolgen, Variationen und Visualisierungen.

ORF.at: Sind Anwendunge wie RjDj und Bloom von Brian Eno, das mit ähnlichen Mitteln arbeitet, ein neues Vertriebsformat? Ist Software die neue Single?

Breidenbrücker: Wir verstehen Musik als Software. In den vergangenen zehn bis 20 Jahren hat Software im Musikbereich an Bedeutung gewonnen - in der Produktion, aber auch im Vertrieb. In einem nächsten Schritt hört nun die Software nicht mehr im Studio auf. Die Musik bleibt im Software-Format und wird vom Hörer auch als Software genutzt.

ORF.at: Hat sich Musik als Tonkonserve überlebt?

Breidenbrücker: Das glaube ich nicht. Ich höre selbst sehr gerne Musikaufnahmen. Zuletzt habe ich eine Fuge von Bach gehört. Das war wirklich sensationell. Aufnahmen werden sicher auch weiterhin ihre Berechtigung haben. Das Verständnis von Musik als Software eröffnet jedoch viele neue Möglichkeiten. Viele Musiker werden diese auch ausschöpfen, um Musik zu komponieren. Der Umgang mit Musik verändert sich dadurch natürlich auch. Ich glaube, dass viele Leute Musik künftig eben auch in Formaten wie RjDj nutzen werden. Wie groß der Anteil sein wird, ist schwierig zu sagen. Es wird auf jeden Fall interessant.

ORF.at: Wie oft wurde RjDj eigentlich bisher heruntergeladen?

Breidenbrücker: Wir hatten nach zehn Tagen rund 50.000 Downloads. Nach einem Monat waren es etwa 150.000. Rund 20 Prozent davon entfallen auf die kostenpflichtige Albumversion. Wenn man bedenkt, dass die Scenes von Künstlern und Entwicklern stammen, die nicht sehr bekannt sind, ist das eine erstaunlich hohe Zahl.

ORF.at: Wie kommt eigentlich der Preis für eine Applikation wie RjDj zustande?

Breidenbrücker: Die Preisgestaltung war schwierig. Wir wollten RjDj zuerst völlig frei anbieten. Wir wollen aber auch eine Plattform für Künstler sein. Die stecken sehr viel Arbeit in die Erstellung der Scenes und wollen natürlich dafür bezahlt werden. Wir haben uns schließlich auf 2,99 Dollar (2,39 Euro) pro Album geeinigt.

Pure Data ist ein Programmiersprache und Entwicklungsumgebung, die zur Erstellung von interaktiver Multimedia-Software eingesetzt wird.

ORF.at: Scenes können von den Nutzern auch selbst programmiert werden.

Breidenbrücker: Als Composing-Framework verwenden wir Pure Data (PD). Damit kann jeder Scenes programmieren. Wir versuchen natürlich, die Entstehung von neuen Inhalten zu fördern. Dazu veranstalten wir etwa sogenannte Sprints. Das sind Treffen der Pure-Data-Community, bei denen Know-how und Scenes ausgetauscht werden. Im September war ein Sprint in Wien. Demnächst wird es einen RjDj-Sprint in Berlin geben.

ORF.at: Wir sind die Reaktionen der "traditionellen" Musikindustrie auf das Format?

Breidenbrücker: Wir arbeiten auch mit Labels und Künstlern zusammen, die ihre Musik parallel zur CD-Veröffentlichung als RjDj-Variante veröffentlichen wollen. Etwa mit dem US-Technoproduzenten Carl Craig, der britischen Rockband Pete and the Pirates und dem Indie-Künstler David Frost. Daneben haben auch andere große Namen Interesse signalisiert. Die darf ich aber noch nicht nennen.

Handy als Instrument

Reaktive und interaktive Musikanwendungen wurden im vergangenen Frühjahr auch beim Mobile Music Workshop auf der Universität für angewandte Kunst präsentiert. Dort stellten etwa Amnon Dekel und Gilly Dekel ihr Projekt Mobile Gesture Music Instrument (MoGMI) vor, das aus Mobiltelefonen Instrumente macht, denen über Bewegungen in Echtzeit Töne entlockt werden können. Gezeigt wurde auch das Audioscape Project des Kanadiers Mike Wozniewski. Es erlaubt mit Hilfe mobiler Computer, die mit GPS ausgestattet sind, die Interaktion mit Sounds im Raum.

ORF.at: Die reaktive Musik kann über RjDj auch aufgezeichnet werden. Es gibt aber noch keine Möglichkeit, die Tracks vom iPhone zu bekommen und weiterzugeben.

Breidenbrücker: Wir wollen das auf jeden Fall ermöglichen und hoffen, dass wir ein entsprechendes Update noch vor Weihnachten veröffentlichen können. Die Tracks werden dazu voraussichtlich in das MP3-Format umgewandelt werden können.

ORF.at: Derzeit ist RjDj nur für das iPhone erhältlich. Arbeiten Sie auch an Versionen für andere Plattformen?

Breidenbrücker: Ja. Wir sehen uns erst einmal an, was möglich ist. Die Entwicklung ist sehr ressourcenintensiv und die Applikation würde auch nicht auf jedem Mobiltelefon funktionieren. Wir sehen uns etwa Googles Android an. Apple hat mit dem App Store den Takt vorgegeben. Viele ziehen jetzt nach. Wir sind guter Dinge, dass wir RjDj auch bald auf anderen Plattformen anbieten können.

(futurezone/Patrick Dax)