E-Voting zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Bei einer Enquete des Wissenschaftsministeriums haben am Mittwoch österreichische und internationale Experten die Chancen politischer Teilhabe durch neue Medien erörtert. Im Zentrum stand dabei die elektronische Stimmabgabe über das Internet. Die Diskussionen verliefen durchaus kontroversiell.
"Wir müssen darüber nachdenken, wie zu Beginn des 21. Jahrhunderts Fragen der Mitbestimmung weiterentwickelt werden können", sagte Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) zur Eröffnung der Enquete "Politische Teilhabechancen durch neue Medien", die am Mittwoch im Wiener Palais Harrach stattfand. E-Voting sei ein wichtiger Aspekt der politischen Teilhabe über das Internet. Durch elektronische Wahlen würden zusätzliche gesellschaftliche Gruppen in Wahlentscheidungen miteinzubezogen, so der Minister.
Bei der Wahl zur Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) im Frühjahr 2009 soll E-Voting in Österreich erstmals bei einer politischen Wahl zum Einsatz kommen. "Universitäten haben die Funktion des Motors der Gesellschaft", meinte Hahn.
Viele Studierende wollen den E-Voting-Enthusiasmus ihres Ministers aber nicht teilen. Bei der Rede Hahns gab es Buhrufe. Die Art und Weise, wie das E-Voting für die ÖH-Wahl durchgesetzt wurde, lässt zumindest Zweifel aufkommen, ob sich das Ministerium tatsächlich um mehr Mitbestimmung für die Studierenden bemüht.
Die Ausschreibung für das E-Voting-System war im September geplatzt. Das Wissenschaftsministerium beauftragte daraufhin das Bundesrechenzentrum (BRZ) mit der Abwicklung der elektronischen Stimmabgabe. Man wolle rechtliche Auseinandersetzungen und die damit verbundenen Verzögerungen vermeiden und habe sich deshalb für die Inhouse-Vergabe entschieden, sagte ein Sprecher des Wissenschaftsministeriums am Mittwoch zu ORF.at.
E-Voting per Erlass
Im Oktober ließ Hahn die rechtliche Voraussetzung für den Einsatz des E-Votings bei der ÖH-Wahl 2009 per Erlass in der Hochschülerschaftswahlordnung festschreiben - gegen den Willen der ÖH. Die Studierendenvertretung hatte sich in den vergangenen Jahren wiederholt gegen die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe ausgesprochen. Die Sicherheit elektronischer Wahlen sei nicht gewährleistet. Das freie, geheime und persönliche Wahlrecht könne durch die Wahl über das Internet nicht garantiert werden, hieß es.
"Umfassende Möglichkeiten der E-Partizipation"
"Es ist sinnvoll, über die elektronische Partizpation jetzt nachzudenken", meinte der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier: "Das Internet ist in Österreich weit verbreitet." Vor allem unter den Studierenden gebe es eine hohe Anzahl von Intensivnutzern und auch ein hohes Interesse an der Thematik.
Filzmaier plädierte für eine Versachlichung der Diskussion. Argumenten für die elektronische Wahl, etwa die Erleichterung des Wahlzugangs und die Vereinfachung der Verwaltung, stünden Manipulationsgefahr, verfassungsrechtliche Bedenken und die mangelnde Transparenz des E-Votings gegenüber. Sachpolitisch sei E-Voting als zusätzliche Option durchaus sinnvoll. E-Voting habe jedoch nur dann Sinn, wenn gleichzeitig auch umfassende Möglichkeiten der E-Partizipation geschaffen werden.
"Zusätzlicher Kanal"
Die Wahl über das Internet sei ein zusätzlicher Kanal, für den sich die Studierenden optional entscheiden könnten, sagte Robert Krimmer vom Kompetenzzentrum für elektronische Wahlen und Partizipation, E-Voting.cc.
Durch das E-Voting bei der Wahl zur Hochschülerschaft erhoffe man sich eine höhere Wahlbeteiligung, zuverlässigere und schnellere Ergebnisse sowie langfristig auch eine Reduktion der Kosten, so der E-Voting-Experte.
Bürgerkarte und Lesegerät
Konkret sind zur Teilnahme an der elektronischen Stimmabgabe eine Bürgerkarte und ein Lesegerät erforderlich. Mit der Signaturkarte samt elektronischem Chip werden die Wähler über den Abgleich mit dem elektronischen Melderegister identifiziert. Da gleichzeitig Identifizierung und Anonymität gewährleistet werden sollen, tritt bei der elektronischen Stimmabgabe ein kompliziertes Verschlüsselungsverfahren in Kraft.
Eine detaillierte schematische Darstellung des elektronischen Wahlprozesses bei der ÖH-Wahl 2009 kann ebenso wie ausgewählte Präsentationen der Fachenquete vom Diskussionsforum Onlinewahlen.at heruntergeladen werden.
Analog zum Kuvertieren des Stimmzettels bei der Briefwahl wird der elektronische Stimmzettel mit dem öffentlichen Schlüssel der Wahlurne verschlüsselt. Der ausgefüllte verschlüsselte Stimmzettel wird vom Wähler elektronisch signiert. Bei der Auszählung entfernt die Wahlkommission die Signaturen und mischt die verschlüsselten Stimmen, die anschließend - analog zum Öffnen des Stimmkuverts - von der Wahlkommission entschlüsselt und ausgezählt werden. Die E-Voting-Software soll vor der ÖH-Wahl 2009 von der Wahlkommisson der Hochschülerschaft eingesehen werden können, kündigte Krimmer an.
"Reversible Voting" in Estland
Fabian Breuer vom European University Institute (EUI) in Florenz berichtete von Erfahrungen beim E-Voting-Vorreiter Estland. Dort kam E-Voting bereits bei regionalen Wahlen im Jahr 2005 und bei der nationalen Parlamentswahl 2007 zum Einsatz. Estland habe den elektronischen Wahlprozess Schritt für Schritt umgesetzt. Ebenso wie bei der ÖH-Wahl wählt auch die estnischen Bevölkerung mittels Bürgerkarte und PIN-Code.
Anders als bei der österreichischen Hochschülerschaftswahl können die Wähler in "E-Stonia", wie sich das baltische Land gerne nennt, ihre Stimme innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums auch ändern. Gültig ist die jeweils jüngste Version. Mit dem "Reversible Voting" soll verhindert werden, dass von Dritten auf die Stimmabgabe Einfluss genommen wird.
Kein Einfluss auf Wahlbeteiligung
Von der Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe machten in Estland vor allem jüngere Wähler Gebrauch, sagte Breuer: "Alter spielt eine große Rolle." Auf die Wahlbeteiligung hatte das E-Voting hingegen keinen Einfluss. 2005 habe ein Prozent der esthischen Wahlberechtigten über das Internet gewählt, so Breuer: "Die Leute wären aber auch ohne E-Voting zur Wahl gegangen."
Bei der Einführung der elektronischen Stimmabgabe sei vor allem wichtig, dass die technische Infrastruktur gegeben sei und der Source-Code der Software der Überprüfung durch unabhängige Experten offenstehe.
"Wahlrechtliche Probleme"
Der Verfassungsrechtler Heinz Mayer betonte bei einer Expertensession zu rechtlichen Fragen am Nachmittag , dass die Stimmabgabe über den Computer viele wahlrechtliche Probleme aufwerfe. Neben der Identifizierbarkeit der Person und der Geheimhaltung sei vor allem die Nachvollziehbarkeit des Vorgangs durch den Wähler schwierig. "Das Vertrauen in die Korrektheit des Wahlvorganges muss sichergestellt sein", sagte Mayer: "Das ist derzeit nicht der Fall."
Die ÖH-Wahl gilt als wichtiger Testlauf für ein österreichisches E-Voting-Konzept, das Wahlen mit Bürgerkarten-Identifikation über das Internet vorsieht. Reinhard Posch, CIO der Bundesregierung, erwartet den Einsatz von E-Voting bei Nationalratswahlen frühestens 2018.
"Für Forschungstätigkeiten sehr gelegen"
"Für Forschungstätigkeiten kommt die ÖH-Wahl sehr gelegen", meinte Robert Stein, Leiter der Abteilung für Wahlrechtsangelegenheiten im Innenministerium. Die Hochschülerschaftswahl solle als Referenzmodell für ein österreichisches E-Voting-System dienen. Laut Stein ist dafür auch eine E-Voting-taugliche Wählerevidenz eine wesentliche Rahmenbedingung. Diese fehle jedoch noch, so der Experte.
Sicherheitsfragen
Hunderprozentige Sicherheit bei der Wahl über das Internet könne es nicht geben, war der Tenor eines Expertenpanels zum Thema "Technische Sicherheit für E-Voting". "Sicherheit ist nicht nur eine Frage der Software. Sicherheit ist eine Frage des gesamten Wahlsystems", sagte Thomas Grechenig von der Technischen Universität (TU) Wien. Sicherheitsprobleme könnten an jeder Schnittstelle komplexer E-Voting-Systeme auftreten.
"Transparenz geht verloren"
Peter Purgathofer, TU-Professor für Gestaltungs- und Wirkungsforschung, kritisierte die fehlende Transparenz beim Wählen über das Internet. Das momentane Wahlverfahren könne jeder verstehen und nachvollziehen. Beim E-Voting hingegen gehe die Transparenz des Wahlvorgangs verloren und könne nur durch das Vertrauen in die Organisatoren und Techniker ersetzt werden. Die Systeme seien zwar in der Theorie einwandfrei, so Purgathofer: "In der praktischen Implementierung sind Sicherheitsschwachstellen aber nicht zu verhindern."
Es gebe immer Manipulationsmöglichkeiten, sagte der IT-Spezialist Gerald Fischer (TU Wien). Sicherheitsprobleme seien jedoch mit technischem und organisatorischem Aufwand bewältigbar. Erfahrungen mit solchen Systemen und ihrer Verbreitung würden die Sicherheit heben, so Fischer: "Erfahrung ist der einzige Motor, der ein sicheres System schaffen kann."
"Wie ein Nuklearsprengstoff"
Man müsse sich dem E-Voting mit demselben Respekt nähern "wie einem Nuklearsprengstoff", meinte der Software-Entwickler und E-Voting-Experte Alexander Prosser von der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. Schließlich stehe damit auch der Kernprozess der demokratischen Gesellschaft auf dem Spiel.
Sicheres E-Voting sei möglich, so Prosser: "Man muss das Thema aber mit der nötigen Seriosität behandeln." Das demokratische Wahlrecht sei zu schade, um zu sagen: "Ich mach jetzt einmal eine elektronische Wahl und lern daraus."
(futurezone/Patrick Dax)