ÖH: E-Voting kommt "viel zu früh"
Bei der nächsten Wahl zur Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) im Jahr 2009 soll neben der Papierwahl auch die elektronische Wahl erstmals in Österreich getestet werden. Im ORF.at-Interview sprechen Vertreter der ÖH über ihre Bedenken gegenüber dem neuen System und kündigen Konsequenzen an.
Prinzipiell ist für den ÖH-Bundesvorsitzenden Samir Al-Mobayyed E-Voting vorstellbar, jedoch bedürfe es viel mehr Zeit, um vor allem die Sicherheit des neuen Systems zu prüfen. Für Aufregung sorgte auch der Umgang des Wissenschaftsministeriums mit den Studentenvertretern. Die ÖH-Bundesvertretung plane, in Kürze eine Kampagne gegen E-Voting zu starten, so Al-Mobayyed.
Zusammenfassender Bericht zur Enquete "Politische Teilhabechancen durch neue Medien":
Im Oktober ließ Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) die rechtliche Voraussetzung für den Einsatz des E-Votings bei der ÖH-Wahl 2009 per Erlass in der Hochschülerschaftswahlordnung festschreiben - gegen den Willen der ÖH. Bei der vergangenen Mittwoch vom Ministerium durchgeführten Enquete "Politische Teilhabechancen durch neue Medien" wurde die Öffentlichkeit erstmals über Details informiert.
Neben einer möglichen Manipulierbarkeit des Programms, "wenn nicht heute, dann vielleicht in zehn Jahren", kritisierten Vertreter der TU Graz den gedrängten Zeitplan. Es seien gerade einmal ein bis zwei Monate, die den IT-Spezialisten zur Überprüfung des Programmcodes zur Verfügung gestellt würden. Um ein qualifiziertes Urteil über die Sicherheit der Software abgeben zu können, brauche auch der IT-Profi einige Monate. Es sei auch noch nicht gelöst, wie eine technisch unkundige Person in der Wahlkommission künftig den rechtmäßigen Ablauf der Wahl kontrollieren solle.
ORF.at hat mit Al-Mobayyed, dem stellvertretenden ÖH-Vorsitzenden an der TU Graz, Markus Hauser, und Michael Gissing, Studienvertreter in der Abteilung Telematik und im EDV-Referat der TU Graz, gesprochen.
ORF.at: Wie steht die ÖH-Bundesvertretung (BV) dazu, bei der nächsten Wahl auch die Teilnahme via E-Voting zu ermöglichen?
Samir Al-Mobayyed: Die BV spricht sich gegen E-Voting aus. Es verstößt gegen das geheime, freie und persönliche Wahlrecht, und wir haben massive Bedenken, was die technische Umsetzung betrifft. Jetzt ist es mehr oder weniger schon zu spät, weil wenn man ein System einführt, und danach macht man erst den Diskussionsprozess. Das ist eine Farce. Wenn man sagt, man führt sie für die Wahlen einer Interessensvertretung ein, dann sollte die Einführung auch nicht gegen den Willen der Betroffenen passieren. 2009 ist meiner Meinung nach viel zu früh. Da hätte viel mehr Aufklärungsarbeit passieren müssen, aber davor.
Samir Al-Mobayyed, Vorsitzender der Österreichischen Hochschülerschaft, steht dem E-Voting eher skeptisch gegenüber. Die Bundesvertretung hat einen Beschluss gefasst, wonach eine Informationskampagne gegen E-Voting gestartet werden soll.
ORF.at: Haben Sie Gegenmaßnahmen geplant?
Samir Al-Mobayyed: Ich bin mir sicher, dass es Anfechtungen geben wird. Ich kann mir vorstellen, dass es Fraktionen gibt, die das machen.
ORF.at: Was ist der nächste Schritt der Bundesvertretung?
Samir Al-Mobayyed: Es ist in der Bundesvertretung ein Beschluss gefasst worden, dass man eine Informationskampagne gegen E-Voting startet. Wir haben in knapp einer Woche Bundesvertretungssitzung, dort wird sie präsentiert.
ORF.at: Welche Bedenken haben Sie bezüglich der Umsetzung, wie soll beispielsweise die Wahlbeobachtung funktionieren?
Markus Hauser: Die jetzige Papierwahl kann jede und jeder einfach nachvollziehen. Es ist sehr einfach, nachzusehen, ob das Kreuzerl bei der einen oder bei der anderen Fraktion gemacht wurde. Dafür brauche ich keine Ausbildung. Für dieses E-Voting-System brauche ich ein Informatikstudium, plus zehn Leute, plus ein halbes Jahr, um nur ansatzweise zu verstehen, um was es bei dem System geht und ob das System wirklich das macht, was der Hersteller sagt. Und das ist für uns einfach ein riesengroßes Problem. Ich habe keine Ahnung, wie die Wahlkommissionen diese Aufgabe erledigen sollen. Das sind alles ehrenamtliche Leute, die meistens wenig mit Informatik zu tun haben, außer vielleicht auf einer technischen Universität, und die sollen das verstehen.
Samir Al-Mobayyed: Das Hauptproblem für uns ist, dass die BV von den Studenten mehrmals indirekt gewählt werden kann. Und wenn man da bald nicht wieder das direkte System einführt, dann kann man nicht sagen, dass diese Wahl wirklich die Wahl ist, die die Leute getroffen haben. Man kann sich auf 21 Universitäten nur einfach so inskribieren und mit E-Voting mehrmals die BV wählen, diese wird dann "irgendwie" gewählt. Wenn sie die HSWO (Hochschülerschaftswahlordnung, Anm.) so schnell ändern, dann hätten sie zumindest auch die Direktwahl einführen müssen, weil man dann wirklich sagen kann, dass jeder Studierende nur eine Stimme hat.
Markus Hauser (li.), stellvertretender ÖH-Vorsitzender an der TU Graz, und Michael Gissing (re.), Studienvertreter in der Abteilung Telematik und im EDV-Referat der TU Graz.
ORF.at: Welche Bedenken haben die Techniker an der TU Graz?
Markus Hauser: Auch die HochschülerInnenschaft an der TU Graz stellt sich grundsätzlich gegen E-Voting, weil wir massive technische und auch verfassungsrechtliche Bedenken haben. Wir sagen nicht, dass es in 15 bis 20 Jahren nicht möglich sein wird, das sicher durchzuführen. Aber zum derzeitigen Zeitpunkt sind wir dagegen.
Michael Gissing: Wir als Studierendenvertreter an einer technischen Universität sollten uns in unserem Fachbereich - in dem wir uns auskennen - auch über die sogenannte Technikfolgenabschätzung Gedanken machen. Nicht alles, was technisch machbar ist, sollte man machen.
ORF.at: Was sind die konkreten Probleme aus technischer Sicht?
Michael Gissing: Ein sicheres E-Voting-System muss auf Kryptografie basieren. Und jeder Kryptologe oder jemand, der in diesem Gebiet forscht, weiß, dass ein Algorithmus nur derzeit, das heißt jetzt, sicher ist. Der ist nicht auf Ewigkeiten sicher. Es kann keiner garantieren, dass die Basis eines kryptografischen Algorithmuses nicht morgen durch ein Paper, das irgendein Wissenschaftler veröffentlicht, widerlegt ist - und damit so eine Verschlüsselung innerhalb von Sekundenbruchteilen knackbar macht. Wir bezeichnen das als "Wahlgeheimnis mit Ablaufdatum". Wenn ich heute den kompletten Datenverkehr, der über das Internet gehen muss, bei einer solchen Distanzwahl aufzeichne, dann kann ich den vielleicht nicht morgen, vielleicht nicht in einem Jahr, aber vielleicht in zehn Jahren entschlüsseln. Es geht ja auch in zehn Jahren niemanden etwas an, was ich gewählt habe. Das ist mein Wahlgeheimnis.
ORF.at: Haben Sie Informationen zu den technischen Details dieses E-Voting Systems? Ist es Ihrer Meinung nach möglich, in dieser kurzen Zeit den Code so zu prüfen, dass man ein seriöses Urteil darüber abgeben kann?
Michael Gissing: Bis zum heutigen Tag waren wir im Unklaren, welches System kommt, wer das System macht, wie die Bedingungen aussehen. Die Offenlegung des Quellcodes ist für Ende des ersten, Anfang des zweiten Quartals 2009 geplant. Das sind dann ein bis zwei Monate vor der Wahl, wo wir ein hochkomplexes System vorgelegt bekommen. Ich schätze, für die Überprüfung brauche ich ein paar Leute, die das Studium schon fertig haben und den Katalog IT-Security gemacht haben. Die kann ich dann einmal sechs Monate hinsetzen, und dann können die vielleicht sagen: Ja, wir glauben, dass es sicher ist. Den Beweis, dass ein System sicher ist, kann man nicht führen. Es ist in dieser Zeitspanne unmöglich, qualifiziert zu sagen, dass das System keine Sicherheitslücken hat.
ORF.at: Was wäre Ihr Vorschlag?
Michael Gissing: Das Ganze wirklich reifen zu lassen. Ich bin der Letzte, der sagt, wir sollen nicht auf diesem Gebiet forschen. Forschung ist wichtig, auch auf diesem Gebiet. Wenn ich als Techniker sagen würde, ich bin gegen technischen Fortschritt, dann wäre das Irrsinn.
ORF.at: Also pro E-Voting, aber erst bei der übernächsten Wahl, das heißt 2011?
Michael Gissing: Ich wäre dafür, die Entwicklung zu starten, aber mit einem Feldversuch bei einer realen demokratischen Wahl erst dann zu starten, wenn man zumindest die gröbsten Bedenken ausgemerzt hat.
Samir Al-Mobayyed: Was E-Voting betrifft: Ich bin nicht gegen Fortschritt. Ich bin dafür, wenn die Technik passt. Wenn es Missbrauchsmöglichkeiten gibt, dann bin ich dagegen. Sie haben eine Testwahl geplant, die sie hacken lassen wollen. Wenn die wirklich manipulierbar ist, dann hoffe ich schon, dass sie dann sagen, sie lassen es.
ORF.at: Wie realistisch ist es, dass der E-Voting-Plan bis Mai umgesetzt wird?
Michael Gissing: Es gibt eine Frist in der Wahlordnung, nach der 60 Tage vorher die Software vom A-SIT (österreichische Zertifizierungsstelle, Anm.) zertifiziert sein muss. Und sobald diese Zertifizierung erfolgt ist, steht rechtlich und damit auch technisch der Durchführung nichts mehr im Wege. Die A-SIT hat noch nie ein Wahlsystem zertifiziert, das heißt wir wissen auch nicht, in welchem Prozess das wie genau erfolgt. Wir wissen auch nicht, wie lange sie dafür braucht. Die treibende Kraft dahinter ist das Ministerium, das das Projekt betreibt. Und wenn das Ministerium den Willen hat, die elektronische Wahl durchzuführen, dann wird sie kommen, das ist meine persönliche Einschätzung. Und was man beim technischen Vortrag gehört hat, es sind ja tatsächlich Testwahlen und sie erwarten ja Fehler und sie nehmen halt ein bisschen mehr Fehler in Kauf, um es beim nächsten Mal besser zu machen, sagen sie. Aber ich glaube bei einer demokratisch legitimierten Wahl sollte man keine Experimente machen.
(futurezone/Claudia Glechner)