Twitter ohne Anfang und Ende
Wer ab sofort nicht hundertmal am Tag erzählt, dass er nichts erlebt, dem hört 2009 schon gar niemand mehr zu. Doch auch Nichtigkeiten können wehtun, wenn man unablässig damit bombardiert wird. Eine kleine Einführung in Twitter, das Kommunikations-Äquivalent zur chinesischen Wasserfolter.
Es hilft alles nichts. 2009 wird Twitter Pflicht. Wer nicht mitmacht, ist sozial tot. Hier schon einmal für alle, die noch nicht mitzwitschern wollen, ein paar nützliche Starter-Links.
Twitter sagt es ja selbst: ".. .is a free social messaging utility for staying connected in real-time." Das bedeutet übersetzt: "Twitter ist ein Gratiswerkzeug, damit Du Dich nicht abnabeln musst." Gratis, nicht kostenlos. Ein wenig Zeit kostet es schon. Obwohl man nur 140 Zeichen pro Eintrag hat und die eingetragenen wichtigen Gedanken irgendwo im Nirwana verschwinden.
Aber das Nirwana soll ja auch glücklich machen, sagt man. Und wer es nicht glaubt, wie viel Zeit man mit Twitter totschlagen kann, der soll das doch bitteschön messen. Ganz Wahnsinnige kommen damit sogar in die Ruhmeshalle.
Twittern kann man deshalb nicht früh genug anfangen.
Es gehört einfach zum guten Ton, alles, aber auch alles zu twittern, sogar im Mutterbauch. Gerade wenn es darum geht, das Abnabeln zu unterbinden, muss es früh losgehen damit. Sonst fängt man womöglich das Leben an, und keiner liest mit. Die Volksschulen im 120. Bezirk haben deshalb als Pilotversuch nun beschlossen, Rechnen, Lesen, Twittern als Pilotversuch einzuführen. Damit die Kleinen rasch "Sacklpicker!" schreiben können.
Damit ist es aber nicht getan. Wer heiß ist oder nicht, der kriegt das auch via Twitter gesagt. Die ersten Schönheits-OPs sollten in der 12. Schwangerschaftswoche möglich sein. Sonst sieht man so aus, wie man aussieht, und das will man nicht wirklich via oder wegen Twitter gesagt bekommen.
Schön und gut, aber was twittern die alle? Warum? Worüber?
Vielleicht darüber, dass sie einen neuen Computer brauchen, und das tun sie mit einem Computerhersteller. Oder darüber, dass sie eine neue Herausforderung suchen. Oder beides. Sie suchen eine neue Herausforderung und bringen ihren Computer selbst mit. Den neuen. Oder darüber, dass man auch eine Menge Freunde auf Google hat, die man wegen neuer Herausforderungen gerne mitbringen kann.
Und überhaupt habe man bald auch Freunde aus Facebook, die sich gar nicht mehr einkriegen, wenn sie herausgefordert werden. Und die aus MySpace erst. Das kann Twitter. Früher konnten das nur die einfallenden Vandalen.
Ja, darüber redet man in Twitter. Und über Kaffee, den man gleich macht, und dass man den Computer gleich ausschaltet und dass man ihn gerade ausgeschaltet hat und gerade etwas sehr Tolles darin liest, sieht oder downloadet. So macht die digitale Nabelschnur alle glücklich. Es ist wie in einem Dorf.
In einem Dorf, in dem jeder jeden kennt und ständig das Fenster aufreißt und hinausbrüllt: Ich mache jetzt Kaffee und ich lese in der Zeitung gerade etwas. Und wenn Du willst, dann bringe ich nächsten Sonntag alle Verwandten aus den Nachbardörfern mit. Wir suchen neue Herausforderungen, weißt Du.
Ja. So schön ist Twitter. Also nichts wie rein.
(Harald Taglinger)