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"Vertrauen in Technologie nicht gerechtfertigt"

E-VOTING
18.12.2008

Beim E-Voting gehe die Transparenz des Wahlvorganges verloren und müsse durch ein Vertrauen in Technologie und Experten ersetzt werden, meint Peter Purgathofer, Professor an der Technischen Universität Wien. Warum er dieses Vertrauen nicht für gerechtfertigt hält, erläutert der erklärte Gegner der elektronischen Stimmabgabe über das Internet im Gespräch mit ORF.at.

Bei der Wahl zur Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) im Frühjahr 2009 soll E-Voting in Österreich erstmals bei politischen Wahlen zum Einsatz kommen. Befürworter erwarten sich von der Möglichkeit der Wahl über das Internet eine höhere Wahlbeteiligung und sprechen von einer Unterstützung der Mobilität der Wählerschaft. Gegner verweisen auf die mangelnde Sicherheit der Systeme und sehen die Prinzipien der geheimen und freien Wahl in Gefahr.

TU-Professor Purgathofer zählt zu den Gegnern des E-Votings. Der elektronische Wahlvorgang sei für den Großteil der Bevölkerung nicht nachvollziehbar, kritisiert Purgathofer. Darüber hinaus seien elektronische Wahlsysteme für Manipulationen anfällig. Die Systeme seien zwar in der Theorie einwandfrei, so Purgathofer: "In der praktischen Implementierung sind Sicherheitsschwachstellen aber nicht zu verhindern."

Peter Purgathofer ist Professor am Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung (Fakultät für Informatik) an der TU Wien und beschäftigt sich mit interaktiven Systemen. In Diskussionsveranstaltungen und Vorträgen war der Informatiker zuletzt mit pointierter Kritik gegen das E-Voting aufgetreten.

ORF.at: Was stört Sie an der Möglichkeit elektronischer Wahlen über das Internet?

Purgathofer: Im Gegensatz zum einfachen Verfahren der Papierwahl ist die elektronische Wahl über das Internet ein sehr kompliziertes Verfahren, das sich jeder Transparenz entzieht. Bei der Papierwahl ist der Weg der Stimmen, vom Einwurf in die Urne bis hin zum Endergebnis, nachvollziehbar. Sie ist ein einfacher Vorgang, den jeder verstehen kann. Beim elektronischen Wählen gibt man seine Stimme am Computer ab und muss im Wesentlichen darauf vertrauen, dass die Prinzipien der geheimen und freien Wahl eingehalten werden. Wir können das nicht selbst überprüfen, wir können es nicht nachvollziehen und wir können es auch nicht verstehen. Wir verlieren also die Transparenz, die durch das einfache Verfahren der Papierwahl gegeben ist, und müssen sie durch das Vertrauen in Experten ersetzen, die uns erklären, dass unsere Stimme gut behandelt wird.

ORF.at: Befürworter des E-Votings verweisen gerne auf das Argument, dass wir auch beim Online-Banking der Technologie vertrauen.

Purgathofer: Online-Banking ist nicht anonym. Beim Online-Banking ist es in Ordnung, dass die Bank mich identifiziert, und dass meine Transaktionen auch auf meine Person zurückgeführt werden können. Beim Wählen wäre das eine Katastrophe. Das wäre die Aushebelung des Wahlgeheimnisses. Das ist tatsächlich eine Gefahr, die uns droht. Es gibt noch einen weiteren wesentlichen Unterschied. Wenn beim Online-Banking betrogen wird - und es gibt genug Betrugsformen im Online-Banking - dann gibt es einzelne Geschädigte. Wenn es zu einer Manipulation beim Internet-Voting kommt, tragen wir alle einen Schaden davon. Es genügt schon, wenn wenige Prozent der Wählerschaft durch irgendwelche Formen von Angriffen am Wählen gehindert werden. Wenn das gezielt möglich ist, dann liegt bereits eine Verfälschung des Wahlergebnisses vor. Das kann wahlentscheidend sein. Wir haben in den vergangenen Jahren einige knappe Ausgänge von Wahlen erlebt. Wir wissen bei Wahlen über das Internet nicht, ob unsere Stimme gezählt wird, und ob sie richtig gezählt wird. Es ist auch unklar, ob das Wahlgeheimnis gewahrt bleibt. Wir müssen den Experten vertrauen.

Umstrittener Einsatz bei ÖH-Wahlen

Der vom Wissenschaftsministerium gegen den Willen der Studierendenvertretung verordnete Einsatz der elektronischen Stimmabgabe über das Internet bei den ÖH-Wahlen 2009 sorgt im Vorfeld für Turbulenzen. Am Montag traten die Wahlkommissionsvorsitzende der Universität Wien und ihr Stellvertreter aufgrund von Bedenken hinsichtlich der rechtlichen und technischen Sicherheit der elektronischen Wahl zurück.

Anfang Dezember erörterten österreichische und internationale Experten, darunter auch TU-Professor Purgatshofer, bei einer Fachenquete des Wissenschaftsministeriums die Chancen politischer Teilhabe durch neue Medien. E-Voting wurde auch dort durchaus kontroversiell diskutiert.

ORF.at: Welche Möglichkeiten der Manipulation sind beim E-Voting gegeben?

Purgathofer: Methodisch und mathetmatisch ist E-Voting eine "gmahte Wiesn". Wenn man sich das Modell anschaut, wie E-Voting kryptografisch funktioniert, dann ist das einwandfrei. Es hat sogar eine gewisse mathematische Eleganz. Das Problem ist die Umsetzung. Wir wissen, dass die Implementierung von Software nicht fehlerfrei passieren kann. Sobald ein gewisser Komplexitätsgrad überschritten wird, sind Fehler nicht mehr zu beweisen oder nachzuvollziehen. Jeder Fehler in der Umsetzung ist potenziell ein Angriffspunkt, weil er unvorhergesehene Zustände in der Software hervorruft, die ausgenutzt werden können. Das ist aber nur ein Aspekt davon. Es muss auch Menschen geben, die sich um ein solches System kümmern. Jeder dieser Menschen ist in der Lage, Manipulationen durchzuführen oder einfach durch Dummheit anderen die Möglichkeit zu geben, Manipulationen durchzuführen. Da können wir uns noch so bemühen, Sicherheit herzustellen - durch Zertifikationen und andere Verfahren - Manipulationsmöglichkeiten wird es immer geben. Wir haben bei Internet-Wahlen auch noch einen anderen Angriffsvektor. Das sind die Geräte der Wählerinnen und Wähler. Die Befürworter von Internet-Wahlen übersehen hier ganz bewusst, dass wir in einem Umfeld leben, wo ein Drittel aller Computer von Schad-Software befallen ist. Das ist eine relativ konservative Schätzung. Ein guter Teil dieser Schad-Software sind Keylogger, sind Spyware, die unser Verhalten im Netz aufnehmen und weitergeben. Für ein paar hundert Dollar pro Woche können Sie das, was Herr und Frau Österreicher im Internet surft, protokolliert bekommen. Und natürlich können Sie auf diese Art und Weise auch das Wahlgeheimnis unterwandern. Das ist eine substanzielle Untergrabung unserer Wahlprinzipien. Ob die Unsicherheiten des Systems von innen oder von außen ausgenutzt werden, ist für uns als Wählerinnen und Wähler vollkommen uninteressant. Wir haben keine Möglichkeit festzustellen, dass nichts passiert ist.

ORF.at: E-Voting, so der Expertentenor, kann nie hundertprozentig sicher sein. Nach Ansicht von Beobachtern wäre aber ein zufriedenstellender Sicherheitsgrad für die Abhaltung elektronischer Wahlen durchaus zu erreichen.

Purgathofer: Die Experten haben ganz sicher recht. Der Grad an Sicherheit ist jedoch nicht durch die Transparenz des Verfahrens gewährleistet, sondern durch technische Maßnahmen, die 99,9 Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht verstehen. Diese Leute müssen darauf vertrauen, dass die wenigen Ausgewählten, die die Sicherheit garantieren, tatsächlich auch recht haben. Das Vertrauen in die Technologie ist aber grundsätzlich nicht gerechtfertigt. Wir wissen, wie fehlerhaft unsere Technologien sind. Es gibt etwa Studien, die davon ausgehen, dass ein Drittel aller heutigen Autopannen durch die Elektronik verursacht wird.

Teil der E-Government-Strategie

Das österreichische Konzept für Wahlen via Internet sieht vor, dass sich die Nutzer über die Bürgerkartenfunktion gegenüber dem System authentifizieren. ORF.at sprach mit Thomas Rössler, der in seiner Dissertation ein Konzept für Internet-Wahlen im Rahmen der heimischen E-Government-Strategie entworfen hat, über Anonymität und Sicherheit bei Internet-Distanzwahlen.

Wahlen via Internet werden sich als Teil der E-Government-Gesamtstrategie durchsetzen, glaubt Reinhard Posch, oberster IT-Experte der Bundesregierung, im Gespräch mit ORF.at. Das erste Internet-Voting zum Nationalrat erwartet der Informatiker frühestens im Jahr 2018.

ORF.at: Wahlbetrug ist auch bei Papierwahlen möglich. Sind die Risiken beim E-Voting höher?

Purgathofer: Natürlich werden auch Papierwahlen manipuliert. Wahlmanipulationen haben eine lange Geschichte, die auch auf Wikipedia nachgelesen werden kann. Es passiert jedoch immer nur dort, wo die Transparenz des Wahlverfahrens ganz bewusst unterlaufen wird, oder wo Menschen am Wählen gehindert werden. In der Regel sind solche Manipulationen sehr leicht feststellbar. Bei Wahlen über das Internet wird die Manipulation von Wahlen jedoch substanziell erleichtert. Es gibt etwa ein Spannungsfeld zwischen der Anonymität des Wählens und dem Nachvollziehenkönnen, ob manipuliert wurde. Weil das Verfahren nicht transparent ist, müssen wir künstliche Formen der Nachvollziehbarkeit einfordern, die einen Angriff auf die Anonymität erlauben. Weil darüber hinaus beim E-Voting die gesamte Wahl über ein System abgewickelt wird, ist die Manipulation dieses Systems immer auch die Manipulation der Wahl als Ganzes. Das ist bei Papierwahlen nicht möglich. Dort muss ich auf der Ebene der einzelnen Stimme manipulieren. Ich kann eine Wahlkommission, die die Zählung in einem Wahllokal macht, in der Tasche haben. Damit hab ich eines von Hunderten Wahllokalen manipuliert. Für jede Ausweitung dieser Manipulation muss ich weitere Kollaborateure finden. Das ist wesentlich aufwendiger als einen Techniker zu finden, der an der richtigen Stelle sitzt.

ORF.at: E-Voting-Befürworter betonen, dass Erfahrungen wichtig sind, um die Sicherheit elektronischer Wahlen zu erhöhen. Nach dem Willen von Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) soll E-Voting bei den ÖH-Wahlen im Frühjahr 2009 zum Einsatz kommen. Ist die ÖH-Wahl geeignet, um ein E-Voting-System zu testen?

Purgathofer: Wenn man davon überzeugt ist, dass elektronisches Wählen über das Internet prinzipiell etwas Gutes ist, dann ist jede Wahl ein guter Test. Ich glaube aber, dass es eigentlich darum geht, eine Wahl elektronisch durchzuführen, um hinterher sagen zu können: "Schaut's, es ist nichts passiert." Aber dieses "Schaut's, es ist nichts passiert" wird nie nachweisbar sein. Einer der Befürworter des E-Votings hat gesagt, dass das System so sehr abgesichert sein muss, wie der Zünder einer Atombombe. Wenn das aber der Fall ist, weiß ich nicht, was drinnen passiert. Die Tatsache, dass zur Herstellung der Sicherheit eine extreme Blackbox notwendig ist, führt auch dazu, dass es für uns nicht mehr nachvollziehbar ist, ob es Manipulationen gegeben hat oder nicht.

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Im vergangenen März sprach ORF.at mit Robert Krimmer, dem Gründer des Kompetenzzentrums für elektronische Wahlen und Partizipation, E-Voting.cc, über Voraussetzungen, Anwendungsmöglichkeiten und Sicherheitsaspekte von Internet-Wahlen und über das Verständnis des Internets als öffentlicher Raum.

Auf einer Diskussionsveranstaltung des Parlaments zum Thema E-Voting im vergangenen Mai stellten Experten aus Sozialwissenschaft und Innenministerium Daten und Fakten rund ums Wählen via Internet vor. Allein die Parlamentarier selbst fehlten.

ORF.at: Abgesehen von der Stimmabgabe über das Internet gibt es auch andere Möglichkeiten, das Internet zu Partizipation an politischen Prozessen zu nutzen. Welche halten Sie für sinnvoll?

Purgathofer: Das Zählen von Stimmen für oder gegen etwas hat immer das Problem, dass es sehr einfach ist, diese Stimmen automatisiert zu erzeugen. Wir können nicht zweifelsfrei herausfinden, ob die Quellen dieser Stimmen tatsächlich Menschen sind. Ich halte qualitative Formen der Mitbestimmung im Internet für weit sinnvoller als quantitative Formen, wie etwa das elektronische Wählen. Barack Obama führt solche qualitative Formen der Mitbestimmung gerade sehr eindrucksvoll mit change.gov vor. Dort kann jeder hingehen, seine Meinung kundtun und an Diskussionen zu verschiedenen Bereichen teilnehmen. Die Einträge lassen sich nicht so einfach fälschen. Natürlich gibt es aber auch hier Manipulationspotenzial. In Diskussionen kommen jedoch interessante Punkte auf den Tisch. Es wäre sicherlich sinnvoller, zu versuchen, solche partizipative Formen umzusetzen, als elektronisch wählen zu lassen. Ich sag nicht, dass solche Plattformen das Ende aller Möglichkeiten sind, aber im Moment ist change.gov ein leuchtendes Beispiel.

(futurezone/Patrick Dax)