Handyproduzenten vor historischem Tief
Der von Dauerwachstum verwöhnten Handybranche steht 2009 das schlimmste Jahr ihrer Geschichte bevor. Der Absturz kommt verzögert, aber dafür umso heftiger. Verzeichnete die Branche Anfang 2008 noch ein Wachstum von rund 15 Prozent, erwarten Analysten für Anfang 2009 einen Einbruch um bis zu zehn Prozent.
Den Auftakt hatte eine für den Weltplatzhirschen Nokia sehr ungewöhnliche Meldung Mitte Oktober 2008 gesetzt: Gewinneinbruch um 30 Prozent, Erwartungen der Analysten wurden verfehlt.
Ziemlich schnell wurde da klar, dass auch über dem bis Anfang 2008 noch immer wachstumsverwöhnten Handymarkt dunkle Wolken aufziehen würden. Bisher hatte die Branche der Krise getrotzt.
Plötzlich war von einem "negativen Wachstum", also einer Schrumpfung die Rede, alle Analysten mussten ihre Prognosen für 2009 nach unten revidieren.
Tiefer Sturz
Im ersten Quartal 2008 ging es den Handyherstellern noch gut. Das Wachstum betrug laut Zahlen der Analysten von ABI-Research stolze 14,4 Prozent - kaum weniger als im ersten Quartal 2007 (15,8 Prozent).
Keine 14 Tage nach der ersten Warnung revidierte Nokia seine Vorschau auf 2009 erneut nach unten; ein absolutes Novum für den erfolgsgewohnten Weltmarktführer. Die Schlussfolgerung war da schon naheliegend, dass die Krise den Mobilfunkmarkt etwas verspätet, aber dafür umso härter erwischt hatte.
Chronik der Implosionen
In 15 Jahren mobiler digitaler Telefonie hat es beim Handyabsatz genau einmal einen Einbruch gegeben: 2001, nach Platzen der Dotcom-Blase, schrumpfte der Weltmarkt kurzfristig um fünf Prozent. Die Telekoms und ihre Mobilfunkableger hatten seinerzeit ebenfalls kräftig heiße Luft mit in die Blase gepumpt.
Nun sieht es ganz danach aus, als würde die geplatzte Immobilien-, Finanz- und Rohstoffblase die Netzwerker weit stärker beeinträchtigen als die großteils hausgemachte Implosion von 2001.
Die Chronologie des Einschlags
Nach unten offen
2009 wird es aller Wahrscheinlichkeit nach schlimmer aussehen. Das ist mittlerweile Konsens bei Beratungsfirmen und Analysten.
Das britische Fachmagazin "RCR Wireless" wartete am Montag mit einer aktuellen Analystenrunde auf. Die neuesten Absatzzahlen seien "alarmierend schwach", der Rückschlag werde stärker als nach der Dotcom-Blase ausfallen, war der Tenor. ISuppli und Avian Securities erwarten derzeit, dass der Markt um fünf bis zehn Prozent schrumpfen wird.
China, Indien
Der aktuelle Einbruch der Nachfrage in China ist in den neuesten Prognosen offenbar schon eingerechnet, während man für den riesigen Markt in Indien noch "optimistisch" ist.
Das heißt nichts Gutes: Nach China ist Indien der weltgrößte "Hoffnungsmarkt", für den sich die Hersteller noch zweistellige Wachstumsraten wünschen. Diese Zeiten sind in Europa längst vorbei.
Wer wie aufgestellt ist
Nach Ansicht aller Analysten ist Weltmarktführer Nokia allerdings am besten gegen die Krise aufgestellt, gefährdet seien vor allem jene Firmen, die schon vor der Krise zu kämpfen hatten: Motorola und Palm, aber auch Sony Ericsson.
"Weiter im Boom"
Wie es aussieht, haben sich allzu viele Analysten zu lange davon blenden lassen, dass der Mobilfunksektor monatelang überhaupt keine Wirkung gezeigt hatte, während die Investmentbanken nacheinander abstürzten.
Die britische Beratungsfirma Portio Research wird sich nun wohl schwertun, ihre jüngste einschlägige Prognose für 2009 bis 2013 mit dem Titel "Die Mobilfunkindustrie bleibt weiter im Boom, trotz Wirbels auf den Finanzmärkten" entsprechend zu vermarkten.
Dass China und Indien den Hauptanteil, nämlich eine Milliarde neue Handykunden, zu diesem Wachstum beisteuern sollen, klingt angesichts der jüngsten Entwicklungen reichlich utopisch. Die Autoren der Studie waren offenbar davon ausgegangen, dass die Schwellenländer von der Krise im Westen unbeeindruckt weiter wachsen würden.
Spaß mit vergangenen Prognosen
Beim Durchsehen von Marktprognosen aus der jüngeren Vergangenheit fällt auf, dass die dort genannten Zahlen erheblich von den tatsächlich eingetretenen Marktverhältnissen abweichen. Viele Prognosen von damals sind längst aus dem Netz getilgt - aus wohlweislichen Gründen -, ein paar davon finden sich freilich immer noch.
Die 2005 abgegebene Prognose von RNCOS Research ist als besonders gelungenes Beispiel dafür anzusehen, wie man ganzheitlich danebenliegen kann. Zum einen wurde die Weltmarktentwicklung völlig gegenläufig vorausgesagt, denn RNCOS ging von einer flach nach unten verlaufenden Absatzkurve für Handys aus.
Solchermaßen kam man auf 6,4 Prozent plus für 2007 gegenüber knapp 16 Prozent, die dann 2007 tatsächlich zu verzeichnen waren, denn die Kurve war steil nach oben verlaufen.
- Portio Research: Mobile Industry Continues to Boom Despite Turmoil in World Financial Markets
Hoffen auf Smartphones
Es gibt auch gute Nachrichten, allerdings nur für ein noch kleines Segment des Handymarkts: Bei Smartphones wird es weiterhin deutlich steigende Absätze geben, die Zuwächse sollen irgendwo zwischen fünf und zehn Prozent pro Jahr liegen. Hersteller wie RIM und Apple, die ausschließlich "smartes" Endgerät vertreiben, dürften damit auch 2009 auf der sicheren Seite sein.
In der dritten Jänner-Woche steht bei Nokia die neueste Quartalsbilanz an. Angesichts von knapp 40 Prozent Weltmarktanteil des finnischen Unternehmens kommt diesen Zahlen eine entsprechende Bedeutung zu. Danach wird man viel genauer wissen, wie tief der Einbruch wirklich geht.
(futurezone/Erich Moechel)