EU-Ratspräsidentschaft jagt "illegale Inhalte"
Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft hat sich für die kommenden sechs Monate auch auf den Gebieten der IKT und Bürgerrechte viel vorgenommen. Beim Schutz des "geistigen Eigentums" und der Neuordnung des EU-Telekommunikationsmarkts wollen die Tschechen auf der Vorarbeit der Franzosen aufbauen.
Die EU hat 2009 zum Europäischen Jahr der Kreativität ausgerufen. Dass es dabei auch um den Schutz des "geistigen Eigentums" geht, versteht sich von selbst.
So hat die tschechische EU-Ratspräsidentschaft in ihre Prioritätenliste für die kommenden sechs Monate unter dem Punkt "Entfernung von Handelsbarrieren" auch das umstrittene Anti-Piratierie-Abkommen ACTA aufgenommen, das derzeit hinter verschlossenen Türen von EU-Kommission, US-Unterhändlern und Vertretern weiterer wichtiger Industriestaaten ausgehandelt wird.
Widerstand im EU-Parlament
Auch das nächste ACTA-Treffen, das für März 2009 in Marokko angesetzt ist, fällt in die Periode der tschechischen Ratspräsidentschaft, die diese Verhandlungen für "besonders wichtig" hält, da sie dazu führten, dass geistige Eigentumsrechte "besser geschützt und durchgesetzt" würden.
Bürgerrechtler und Hilfsorganisationen befürchten, dass ACTA in erster Linie zur Durchsetzung der Interessen der Rechteinhaber in den westlichen Industrienationen dient. Weder in den USA noch in der EU sind die Parlamente an den Verhandlungen beteiligt. Die Unterhändler schweigen sich zu den Verhandlungen beharrlich aus. Das EU-Parlament verabschiedete im Dezember 2008 mit 309 zu 232 Stimmen im Hinblick auf ACTA eine Resolution, in der es sich gegen etwaige Datenträgeruntersuchungen am Zoll sowie Überwachungspflichten für Internet-Provider wendet.
Netzfreiheit oder "Three Strikes Out"
Damit will das Parlament auch verhindern, dass über ACTA andere Beschlüsse zur Sicherung des Datenschutzes und der Informationsfreiheit im Internet ausgehebelt werden, beispielsweise Zusatz 138 zur Universaldienstrichtlinie im Telekompaket, das im April zur zweiten Lesung im EU-Parlament erwartet wird. Zusatz 138, der die Einschränkung der Informationsfreiheit ohne richterlichen Beschluss untersagt, ist zum Symbol für den Widerstand gegen das Kappen von Internet-Verbindungen bei Urheberrechtsverletzungen ("Three Strikes Out") geworden, eines der Lieblingsprojekte des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy.
"Die tschechische Ratspräsidentschaft wird auf ihrer aktiven Kooperation mit der französischen Ratspräsidentschaft aufbauen", heißt es dazu im Arbeitsprogramm aus Prag. Man werde sich um einen Kompromiss zwischen den Positionen des Rats und des Parlaments bemühen. Nur Österreich und Dänemark hatten sich auf der Ratssitzung im November dafür ausgesprochen, Zusatz 138 in der Universaldienstrichtlinie zu behalten. Der französische Vorsitz sorgte dafür, dass der Zusatz in der endgültigen Fassung entfernt wurde.
Euro-Roaming und Mobilfunkfrequenzen
Was die Telekomregulierung betrifft, will sich Prag dafür einsetzen, dass die Zusätze zur GSM-Richtlinie vom November 2008 zur effizienteren Nutzung der Funkfrequenzen schnell verabschiedet werden.
Die Kommission will, dass Frequenzen im 900-MHz-Band EU-weit für mobile Breitbanddienste genutzt werden können. Auch die Roaming-Bestimmungen der Kommission sollen auf den Prüfstand.
Kinderschutz und Netzfilter
Weit oben auf der Agenda der tschechischen Ratspräsidentschaft steht auch das Thema Kinderschutz und Internet. Zu diesem Thema soll es informelle Ministertreffen in Prag geben; auch hier wollen sich die Tschechen eng an die Vorarbeit der französischen Regierung halten.
Die EU-Innenminister wollen gemeinsam gegen "illegale Inhalte im Internet" kämpfen. Dass der Kinderschutz auch als Hebel dazu dient, Filtermechanismen im Netz durchzusetzen, mussten Ende 2008 die britischen Autoren der Wikipedia erleben. Die Organisation Internet Watch Foundation (IWF), die auch von der EU mitfinanziert wird, hatte beschlossen, das Plattencover des Scorpions-Albums "Virgin Killer" in der Wikipedia von allen angeschlossenen Providern blockieren zu lassen, was unter anderem zur Folge hatte, dass die britischen Wikipedia-Autoren nicht mehr auf die freie Enzyklopädie zugreifen konnten.
Die IWF, die nach dem Debakel nur widerwillig zurückgerudert war, hat einen Antrag auf weitere Förderung durch die EU-Kommission gestellt. In Deutschland will Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) ebenfalls Internet-Filter gegen die Verbreitung von Kinderpornografie-Material einsetzen.
Flugdatentausch mit den USA
Auf dem Gebiet Strafverfolgung und Anti-Terror-Kampf wird es zunächst um die Erfassung und Ausbeutung von Flugpassagierdaten (PNR) gehen. Das Datenschutzabkommen zur Übermittlung dieser Daten an US-Dienste ist noch nicht unterzeichnet; die beiden Seiten konnten sich zuletzt nur darauf einigen, die Zulieferer der Daten von eventuellen Haftungsansprüchen der überwachten Bürger auszunehmen.
Das Visa Information System (VIS) soll im Juni als Pilotprojekt realisiert, die rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen für dessen Einsatz in Konsulaten und anderen Ausgabestellen von Visa definiert werden. Bei der Vorbereitung des Schengen-Informationssystems SISII will Prag "Fortschritte machen", unter anderem will die EU eine Agentur für Hochleistungs-IT-Systeme gründen, die sich um die neuen Kontrollsysteme kümmern soll.
E-Government, E-Health und E-Justice
Nach der Vernetzung der Polizei soll jene der Justiz verbessert werden. Im Februar wird zum Thema E-Justice eine Ministerkonferenz in Prag stattfinden. Dort wird es unter anderem um den Ausbau eines europäischen E-Justice-Portals "als einheitliche Anlaufstelle in Rechtsfragen für EU-Bürger" gehen.
Die laufenden Programme zur Erleichterung des Internet-Zugangs für benachteiligte Bevölkerungsgruppen (E-Inclusion) werden unter der tschechischen Ratspräsidentschaft ebenso weiterlaufen wie der Aktionsplan i2010, der den Zugriff auf E-Government-Anwendungen verbessern soll. Weit oben auf der Prager Prioritätenliste ist auch der neue Aktionsplan der EU-Kommission zur Verbesserung der intelligenten Transportsysteme in Europa, mit dem die Satellitennavigation und Verkehrsplanung in der Union optimiert werden soll. Hier will Prag auf erste Ratsbeschlüsse hinarbeiten.
Die europaweite Vernetzung der Gesundheitssysteme wird im Februar Thema einer von Prag organisierten Konferenz auf Ministerebene sein. Hier wird es unter anderem darum gehen, die bestehenden elektronischen Komponenten der Gesundheitssysteme in der EU wie beispielsweise elektronische Krankenakten zueinander kompatibel zu machen.
(futurezone/Günter Hack)