Im Netz der Erwartungen
Barack Obama hat sich im US-Präsidentschaftswahlkampf als Kandidat des Wandels präsentiert. Internet-affine Anhänger hoffen nach seinem Amtsantritt auf richtungsweisende Veränderungen in Bezug auf Urheberrechte, Netzneutralität und politische Transparenz. Ob der neue Präsident diese Erwartungen erfüllen kann, bleibt abzuwarten.
Wenn Obamas Team in den nächsten Tagen in die Büros des Weißen Hauses und anderer Regieungsgebäude in Washington ziehen wird, dann dürften viele seiner Mitarbeiter einen Schock erleben. Einige der Computer im Weißen Haus sind Medienberichten zufolge so alt, dass auf ihnen noch Windows 2000 läuft. Das Weiße Haus setzt zudem auf Filter, die den Zugriff auf zahlreiche Websites verhindern. Und Instant Messaging ist in dem weltberühmten Gebäude grundsätzlich verboten.
Insbesondere dieses Verbot von IM-Chats soll unter Obamas Mitarbeitern für Unmut sorgen. Sein Team setzte im Wahlkampf zur Koordination intensiv auf AOLs Instant Messenger und Googles Gtalk. Doch US-Gesetzen zufolge müssen alle schriftlichen Kommunikationen von Regierungsmitgliedern archiviert und auf Anfrage dem Parlament zugänglich gemacht werden. Obamas Anwälte befürchten nun, dass unreflektiert dahingetextete IM-Nachrichten der neuen Regierung zum Verhängnis werden könnten und haben deshalb ein IM-Verbot verhängt.
Streit gibt es auch über Obamas BlackBerry.
Krebskrank und angeschossen
Der Verzicht auf IM ist symptomatisch für die neuen Realitäten, mit denen sich Obama, seine Mitarbeiter und auch seine Unterstützer in den kommenden Monaten abfinden werden müssen. Obama verdankte seinen Wahlsieg unter anderem den neuen Medien. Sein Wahlkampfteam nutzte Twitter, Facebook und Blogs, um mit Änhängern in Kontakt zu bleiben und Rekordsummen von Spendengeldern einzutreiben.
Unterstützung gewann Obama jedoch auch für seine technologiepolitischen Positionen. Er trat im Wahlkampf offensiv für Netzneutralität, Breitband-Internet für alle US-Amerikaner und eine Reform des Patentrechts ein. Mit derartigen Themen sicherte er sich unter anderem die Unterstützung des prominenten Buchautors und Urheberrechtsexperten Lawrence Lessig, des Web-2.0-Blogs Techcrunch sowie der Tauschbörsen-Aktivisten der US-Piratenpartei.
Angesichts der dramatischen Wirtschaftskrise ist jedoch fraglich, wie viel Zeit, Geld und Energie Obamas Regierung wirklich in IT-Politik stecken wird. Lessig selbst verglich die Lage des Landes kürzlich in einem Artikel für Newsweek.com mit einem Krebspatienten, der auf dem Weg zur Chemotherapie in eine Schießerei verwickelt wird. Am Anfang werde sich die neue Regierung auf das Verbinden der schlimmsten Wunden konzentrieren, so Lessig. Es wäre jedoch ein Fehler, deshalb die Krankheit aus den Augen zu verlieren.
Ein RIAA-Anwalt im Justizministerium
Obamas Anhängern machen nicht nur die Sachzwänge der Wirtschatskrise Sorgen. Für Zweifel haben auch einige Amtsbesetzungen des neuen Präsidenten gesorgt. So bekam ausgerechnet einer der Hausanwälte des Musikindustrie-Lobbyverbands RIAA eine leitende Position im US-Justizministerium. Tom Perrelli arbeitete bis zu seinem Wechsel in die Regierung für die in Washington ansässige Anwaltskanzlei Jenner & Block, die ihr Geld unter anderem mit dem Klagen von Tauschbörsennutzern verdient.
Perrelli ist nicht der einzige Freund der Unterhaltungsindustrie in Obamas Regierungsteam. Vizepräsident Joe Biden setzte sich in der Vergangenheit für schärfere Gesetze gegen das Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen und für die strafrechtliche Verfolgung von Tauchbörsennutzern ein. Stellvertreter des neuen US-Bundesstaatsanwalts wird schließlich David Ogden, der in der Vergangenheit unter anderem ein höchst umstrittenes Gesetz gegen Internet-Pornografie verteidigte.
Null Toleranz für Bittorrent-Blockaden
Lob gibt es dagegen im Netz für Obamas neuen Chef der Telekommunikationsaufsichtsbehörde FCC. Julius Genachowski gilt als überzeugter Verfechter der Idee, dass Internet-Provider keinen Einfluss auf die Protokolle, Dienste und Inhalte ihrer Nutzer und anderer Anbieter nehmen dürfen.
Dieses Prinzip der Netzneutralität geriet in den USA in die Schlagzeilen, als der Kabelanbieter Comcast vor anderthalb Jahren damit begann, die BitTorrent-Übertragungen seiner Kunden zu blockieren. Die FCC zwang Comcast im letzten Jahr zu einem Kurswechsel. Gleichzeitig zeigte sich der republikanische FCC-Vorsitzende Kevin Martin zuversichtlich, dass es keine neuen Gesetze für Netzneutralität brauche. Genachowski könnte da anderer Meinung sein. Fest steht, dass Netzanbieter von Obamas FCC-Chef kein Verständnis für Comcast-ähnliche Eingriffe in den Internet-Datenverkehr erwarten dürfen.
Regierungsdaten für Mashups
Für Optimismus unter Netzaktivisten sorgt auch der Einfluss, den IT-Fachleute auf Obamas Übergangsteam hatten. Teil des Vorbereitungsprozesses zur Amtsübernahme war die Gründung eines Teams für Technologie, Innovation und Regierungsreform, dem unter anderen die bloggende Jusprofessorin Beth Noveck und der Google-Manager Andrew McLaughlin angehören.
McLaughlin sagte dazu am Montag in einem YouTube-Video, ein simpler Weg zu mehr Reform der US-Regierung sei, von öffentlichen Stellen erhobene Daten als Rohmaterial für Mashups anzubieten. "Ich glaube, dass diese Regierung viel offener für derartige Experimente sein wird", so McLaughlin.
(futurezone/Janko Röttgers)