OpenStreetMap: "Kein weißer Fleck mehr"
Die erste frei verfügbare Straßenkarte für Wien gilt als komplett. Im ORF.at-Interview spricht OpenStreetMap-Pionier Andreas Labres über die Hintergründe, Vorteile und Kinderkrankheiten des Projekts sowie den Plan, bald ganz Österreich auf OSM abzubilden.
Straßenkarten gibt es wie Sand am Meer, doch die OpenStreetMap (OSM) für Wien ist etwas Besonderes. Das Projekt veröffentlicht seine Karten nämlich unter der Creative-Commons-Lizenz cc-by-sa, die es dem Nutzer erlaubt, die Karte auf der eigenen Website und in gedruckten Publikationen zu verwenden - und zwar im Gegensatz zu kommerziellen Kartenanbietern ohne Gebühr.
Die Wiener OSM-Karte wurde von freiwilligen Mitarbeitern, "Mappern", im Lauf der letzten Jahre erstellt und ständig erweitert. Derzeit gilt nur Wien als vollständig erfasst, doch das OSM-Projekt zieht sich über alle Bundesländer und schreitet zügig voran. Derzeit werden laufend Daten von Plan.at importiert.
Gut 1.100 Freiwillige halfen alleine im letzten Jahr zumindest punktweise dabei mit. ORF.at sprach mit dem Wiener OSM-Pionier Andreas Labres (45) über die Entstehung der freien Straßenkarte, ihre Mängel und Vorteile sowie den Plan, die "weißen Flecken" in ganz Österreich so rasch wie möglich mit präzisen Daten zu füllen.
ORF.at: Wann genau wurde mit dem OpenStreetMap-Projekt für Wien begonnen?
Andreas Labres: Es gibt im Wiki Bilder, die zeigen, wie die Wiener Karte früher ausgesehen hat. Das erste Archivbild stammt vom Mai 2006. Damals waren noch wirklich wenige Straßen eingezeichnet. Ich weiß nicht, ob es je so etwas wie einen offiziellen Start gegeben hat. Ich bin vor etwa 1,5 Jahren dazugestoßen. Da gab es schon Gegenden, auf denen einige Straßen zu sehen waren.
ORF.at: In der Zwischenzeit ist allerdings viel passiert. Wann wurde beschlossen, dass die Wien-Karte als komplett gilt?
Labres: Die gesamte Karte ist erst seit kurzem fertig. In den Weihnachtsfeiertagen 2008 haben ein paar von uns die Reste dazugezeichnet. Wir haben uns um Straßenlisten bemüht, um diese dann zu vergleichen. Das war relativ schwierig. Die Statistik Austria veröffentlicht zwar solche Listen, schreibt allerdings dazu, dass man sie praktisch für nichts verwenden darf. Wir haben dann einen Online-Check gemacht: Was findet man, und was findet man noch nicht? Da blieb am Schluss nur noch eine Liste von ein paar hundert Straßen und Wegen übrig, die wir dann ergänzt haben. Das waren teilweise Kleingärten wie ein Enzianweg.
ORF.at: Wurden die eingetragenen Daten noch von jemandem kontrolliert?
Labres: Natürlich schauen sich die "Mapper" immer gegenseitig auf die Finger. Es gibt aber auch die Website OpenStreetBugs, über die man ohne Account fehlerhafte Straßenanzeigen melden kann. Da gibt es dann manchmal auch Diskussionen, ob die Straße XY jetzt ein einfacher oder ein Doppelstraßenzug ist. Dann setzt man sich zusammen und beschließt, wie man es jetzt da und dort macht.
ORF.at: Wie lange braucht man für das Erfassen einer Straße, wenn man noch keine Angaben darüber hat?
Labres: Es gibt zwei Einsätze. Der primäre Ansatz war der mit dem GPS-Gerät. Man schaltet es ein und sagt ihm, dass es die Tracks aufnehmen soll. Dann fährt man die Strecke mit dem Fahrrad oder Auto ab und nimmt die Tracks auf. Das ergibt dann Linien, wenn man die Tracks per Editor hochlädt. Im Editor sieht man seine eigenen Linien und die der anderen "Mapper". Wenn man da von null weg startet, ist es relativ mühsam. Eine zweite Hilfe ist allerdings, dass Yahoo dem ganzen OpenStreetMap-Projekt die Erlaubnis zum Abzeichnen ihrer Karten gegeben hat. Man hat dann im Editor seine eigenen GPS-Linien und zusätzlich das eher grob aufgelöste Yahoo-Bild. Mit dieser Kombination kann man dann Straßen zeichnen. Bei geraden Straßen ist es sehr einfach. Dann vergibt man noch Name und Kategorie der Straße und lädt es hinauf. Dann ist es drinnen.
ORF.at: Ist die Straße dann sofort online sichtbar?
Labres: Das hängt von der Software ab, vom Renderer. Der Mapnik-Renderer ist der klassische. Dieser wird jede Woche einmal aktualisiert, das geschieht meistens am Mittwoch.
ORF.at: Die Stadt Wien bietet ihren eigenen Stadtplan an. Gab es da eine Zusammenarbeit mit OSM, wurden Ihnen Daten zur Verfügung gestellt?
Labres: Ich hatte mit Wolfgang Jörg von der MA14, der für die ViennaGIS-Koordination zuständig ist, E-Mail-Kontakt. Er wies mich auf die Gratis-Shapefiles mit den politischen Grenzen und diverse Bestandslisten hin, die wir zur Datenüberprüfung unserer Digitalisierung heranziehen durften. Wir haben dann beispielsweise die Liste mit den Wiener Parks abgeklappert.
ORF.at: Was unterscheidet die OSM-Karte vom offiziellen Stadtplan von Wien?
Labres: Unsere OSM-Karte kann man nicht mit der von der ViennaGIS vergleichen. Die von der ViennaGIS ist immer vollständiger und genauer. Dort sind jedes Haus und jeder Gehsteig eingezeichnet. Das ist ein Detailgrad, den wir nicht erreichen können. Der Hauptunterschied ist daher eigentlich die freie Nutzung unter der Creative-Commons-Lizenz cc-by-sa. Die ViennaGIS gibt allerdings zumindest an, dass man sie für nichtkommerzielle Zwecke, etwa als Anfahrtsplan im Web, verwenden kann. Mit unseren Daten kann man allerdings alles machen.
ORF.at: Und was ist der Unterschied zu Google Maps?
Labres: Die Details. Der persönliche Ansporn von vielen von uns ist es, im Vergleich mit Google besser zu sein. Man will Fehler, die Google hat, schon ausgebessert haben. Wir zeichnen ja schon lange die Gehwege ein, die findet man bei Google Maps nicht, da gibt es nur Straßen. Auch die Radwege - das sind die Nischen, durch die man sich hervortun kann.
ORF.at: Besonders interessant sind die "Points of Interest". Man findet neben Polizeistationen und Tankstellen auch öffentliche Toiletten.
Labres: Ja, das ist das Schöne an dieser offenen Architektur, dass sich Gruppen einzelnen Themenschwerpunkten widmen können. Es gibt Karten, die speziell Fahrradwege anzeigen und die ganzen "Points of Interest", die für Radfahrer interessant sind. Etwa so: Hier ist ein Schlauchautomat, hier ist ein Trinkbrunnen, hier ist eine City-Bike-Station.
ORF.at: Wer genau versteckt sich hinter der Wiener OSM-Community?
Labres: Ich bin einer der "Mapper", und ich kenne zirka 15 andere "Mapper" persönlich und eine Handvoll mehr, die mir bis jetzt nur online über den Weg gelaufen sind. Unter anderem dabei ist auch Wolfgang Wasserburger, der sich seit Jahren beruflich mit Geodaten beschäftigt. Dann gibt es da noch Studenten und andere Leute, die beruflich nichts mit dem Zeichnen von Karten zu tun haben. Bis jetzt gab es nur ein Treffen im November 2008. Davor hat halt jeder, dem eine Gegend wichtig war, etwas gezeichnet. Ich habe in meiner Wohngegend viel gezeichnet. Beachtlich ist allerdings auch die Zahl der OSM-Benutzer, die angeben, dass sie aus Österreich sind und mindestens einen Node (Einzelpunkt oder Teil eines Weges, Anm.) gesetzt haben. Das sind immerhin über 1.200 (laut Aussendung genau 1.291, Anm.). Davon haben allein im Jahr 2008 etwa 1.100 Nutzer einen Node gesetzt.
ORF.at: Vergangen Freitag hat sich die Wiener OSM-Community ein zweites Mal getroffen. Was wurde besprochen?
Labres: Wir haben Kleinigkeiten, die noch nicht ganz ausgereift sind, besprochen und geplant, wie wir weiter vorgehen. Wir wollen die Informationen für Radfahrer und die Genauigkeit bei den Öffis vorantreiben. Die Straßenbahnen haben wir schon sehr gut erfasst, aber bei den Buslinien hapert es noch ein bisschen. Aber in Wien gibt es jetzt keinen weißen Fleck mehr. Da geht es mehr darum, im XY-Park, der derzeit bei uns nur als grüne Fläche dargestellt wird, die drei Wege einzuzeichnen, die da durchgehen. Oder etwa Verbindungen durch Häuser, von Straße zu Straße - diese kleineren Dinge müssen wir noch erfassen. Doch gerade dabei ist es oft hilfreich, Meldungen von anderen zu kriegen.
ORF.at: Das ist mit OpenStreetBugs möglich. Sie rufen immer wieder dazu auf, auf diesem Weg auf Fehler aufmerksam zu machen. Wie viel Zuspruch gab es dabei bisher?
Labres: Die OpenStreetBugs-Meldungen sind in den letzten Tagen, seit wir mit der Presseaussendung an die Öffentlichkeit gegangen sind, explodiert. Durchschnittlich hatten wir eine Handvoll Nachrichten pro Tag. Alleine am Sonntag zwischen 17.00 und 1.00 Uhr gab es 68 neue Bugs, die gemeldet wurden. Am Montag ist es so weitergegangen. Diese Dinge sind für uns sehr wertvoll.
ORF.at: Gibt es auch in anderen Bundesländern Bestrebungen, ganze Städte aufzubauen?
Labres: Es gibt nicht nur Bestrebungen. Bis auf Eisenstadt - da fehlt noch die Hälfte - sind die anderen Landeshauptstädte ziemlich komplett. Offenbar hat allerdings noch niemand einen Check gemacht, was jetzt noch konkret fehlt. Ich weiß von Oberösterreichern, die bereits länger aktiv sind, die haben sich letztes Jahr im Frühjahr schon getroffen. Auch in Tirol gibt es eine Gruppe, die Innsbruck und größere Städte in Tirol schon erfasst hat. Auch Gols im Burgenland ist vollständig, beim Ort direkt daneben ist dafür nur die Straßenkreuzung drin. Es ist halt sehr verstreut und virtuell. Derzeit laufen Datenimporte, die Herr Wasserburger von Plan.at zur Verfügung gestellt bekommen hat. Etwa Imst war vor kurzem noch leer, jetzt ist es dank des Imports fast vollständig. Das Fernziel ist es auf jeden Fall, ganz Österreich komplett zu erfassen.
ORF.at: Auf welchen Geräten lassen sich die OSM-Karten derzeit einsetzen?
Labres: Es gibt eine Liste von mobilen Geräten, mit denen sich OSM verträgt. Mein persönlicher Eindruck ist allerdings, dass das alles noch sehr techy-lastig ist. Wenn man weiß, wie es geht, kann man sich das alles zusammenbauen. Das ist noch verbesserungswürdig. Mich haben die Infoanleitungen erschlagen, für den 08/15-User ist es nicht geeignet. Da müsste man sich zusammensetzen und versuchen, es einfacher zu machen. Im November 2008 gab es in Essen ein OSM-Treffen aus dem deutschsprachigen Raum. Da wurde angeregt, einen "Web-Baukasten" zu gestalten. Natürlich ist es auch jetzt schon möglich, seine eigene interaktive Karte auf seine Homepage zu setzen, aber da muss man dann JavaScript und noch alles Mögliche können. Mit einem "Web-Baukasten" könnte man das OSM sicher benutzerfreundlicher machen.
(futurezone/Barbara Wimmer)