© Reuters/Vincent Kessler, Sitzung im Europaparlament in Straßburg

Streit über Grundrechte im Internet

EUROPA
27.01.2009

Das EU-Parlament wird im März über eine Empfehlung zum Schutz der Grundrechte im Internet abstimmen. Mit dieser Initiative sollen die Bürger im Netz vor dem Zugriff privater und staatlicher Datenkraken geschützt werden. Doch die Unterstützer der Medienindustrie haben schon erste Änderungsanträge eingereicht. Ihnen geht es zuallererst um den Schutz des "geistigen Eigentums". Zu diesem Thema stimmt das Parlament demnächst auch über einen umstrittenen Bericht ab.

Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments bereitet derzeit einen Vorschlag an den EU-Ministerrat zur Sicherung der Grundrechte im Internet vor. Berichterstatter ist der griechische Sozialdemokrat Stavros Lambrinidis.

Das Dokument ist eine Empfehlung an den Rat im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gemäß Artikel 90 und 114 der Geschäftsordnung des EU-Parlaments. Das bedeutet, dass das Papier für den Rat nicht verbindlich ist. Andererseits müssen Rat und Kommission die Meinung des demokratisch gewählten Organs der Union zur Kenntnis nehmen. Das Parlament wird voraussichtlich am 12. März über die Empfehlung abstimmen. Der Innenausschuss hat am 21. Jänner darüber beraten. Bis 27. Jänner können noch Änderungsanträge dazu eingereicht werden.

Das Internet als politischer Raum

Berichterstatter Lambrinidis hat sich in seinem ersten Vorschlag stark um Ausgewogenheit bemüht. In dem Dokument wird das Internet nicht nur als Marktplatz, sondern auch als politischer Raum begriffen; als technisches System, das emanzipatives Potenzial birgt und den Bürgern die Möglichkeit zur aktiven Beteiligung an den politischen Prozessen in der Union bieten soll. Dazu sei es notwendig, möglichst vielen EU-Bürgern vollen und sicheren Zugang zum Internet zu gewähren.

Im Abschnitt "Cybercrime" legt der Berichterstatter das Augenmerk vor allem auf die tatsächlichen Bedrohungen für die Bürger im Netz. Es gehe darum, den Identitätsdiebstahl einzugrenzen sowie Kinder und Erwachsene über Sicherheitsprobleme umfassend aufzuklären. Das "geistige Eigentum" sei zwar zu schützen, so der Berichterstatter, allerdings sei dabei nicht über das Ziel hinauszuschießen. Er empfiehlt, "die systematische Überwachung aller Nutzeraktivitäten im Internet" strikt zu untersagen.

"Exzessive Beschränkungen" der Nutzerrechte

Die Strafen für Urheberrechtsverstöße sollten verhältnismäßig sein. Die Union sollte nicht nur die Anreize für Urheberrechtsverstöße im Internet beseitigen, sondern auch "gewisse exzessive Beschränkungen, die von den Rechteinhabern selbst gesetzt werden" - ein überdeutlicher Seitenhieb gegen Netzsperrenpläne und Digital-Rights-Management (DRM).

Bezüglich des Datenschutzes findet sich in dem Vorschlag die Empfehlung, bei der Entwicklung neuer Systeme den Grundsatz "Privacy by design" zu berücksichtigen. Die neuen Technologien machten es möglich, die Bürger unbemerkt zu überwachen, aber die bloße Existenz von Überwachungstechnologien rechtfertige nicht automatisch deren Einsatz. Schließlich empfiehlt der Berichterstatter, dass die EU sich aktiv an der Weiterentwicklung des Internets und der digitalen Rechte beteiligen solle, etwa im Rahmen des von der UNO veranstalteten Internet Governance Forums. Alle Interessengruppen sollten dazu aufgerufen werden, an einer Grundrechteerklärung ("Bill of Rights") für das Internet mitzuarbeiten.

Sarkozys Schatten

Für den Ausschuss für Kultur und Bildung des EU-Parlaments haben sich bereits der konservative griechische Abgeordnete Manolis Mavrommatis und die französische Abgeordnete Marie-Helene Deschamps mit Stellungnahmen zu Wort gemeldet. Mavrommatis war bereits in der Diskussion über das Telekompaket der Union mit Änderungsanträgen aufgefallen, die auf eine verstärkte "Kooperation" zwischen Internet-Providern und Medienindustrie drängten.

Deschamps ist Mitglied der Partei von Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der intensive persönliche Kontakte zu den Spitzen der französischen Medienindustrie pflegt und derzeit dabei ist, ein Gesetz durchzusetzen, das bei wiederholten Verstößen gegen das Urheberrecht die Sperre von Internet-Zugängen vorsieht.

Grundrecht auf Verwertung

Mavrommatis möchte die Mitgliedsstaaten, die Kommission, die User und Provider dazu auffordern, "zusammenzuarbeiten, damit illegale und schädliche Online-Inhalte eingeschränkt und schrittweise ganz beseitigt werden können". Ein UNESCO-Übereinkommen, das darauf abzielt, dass kulturelle Ausdrucksformen nicht mit kommerziellen Gütern gleichgestellt werden, interpretiert Mavrommatis so, dass diese gerade deshalb "vor Missbrauch im Internet geschützt" werden sollten.

Die Änderungsanträge von Deschamps sind subtiler. Heißt es in der ursprünglichen Version des Texts, dass das Internet ein "wichtiges Werkzeug" darstellt, das unter anderem "zur Verbreitung von kulturellen Inhalten und Wissen" beitrage, möchte Deschamps die Passage dahingehend geändert wissen, dass es "zur Verbreitung und Verwertung von Kultur und Wissen" diene. Weiterhin möchte sie, dass eine Passage in den Vorschlag aufgenommen wird, nach der "die Entwicklung eines rechtmäßigen Angebots an kulturellen und kreativen Online-Inhalten und die Bekämpfung der Piraterie" unterstützt werden.

Kampf um "geistiges Eigentum" verschärft sich

Da die EU 2009 zum Europäischen Jahr der Kreativität ausgerufen hat, wird sich der Kampf zwischen Verfechtern von Informationsfreiheit und Datenschutz sowie der Medienindustrielobby weiter verschärfen. Ebenfalls im März wird das Richtlinienbündel des Telekompakets zur zweiten Lesung im EU-Parlament erwartet.

Die Bürgerrechtsorganisationen La Quadrature du Net und Netzpolitik.org weisen darauf hin, dass das Parlament am 2. Februar über den Bericht des sozialdemokratischen Abgeordneten Manuel Medina Ortega für den Rechtsausschuss abstimmen wird. Laut La Quadrature du Net wurde der Bericht von der liberalen französischen EU-Abgeordneten Jannely Fourtou mitverfasst, der Ehefrau des derzeitigen Aufsichtsratsvorsitzenden des Medienkonzerns Vivendi, Jean-Rene Fourtou.

Piratenjagd und Privatsphäre

Dieser Bericht befasst sich mit der Harmonisierung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft. In einer Stellungnahme des Ausschusses für Binnenhandel wird unter anderem noch die "Interoperabilität" von DRM-Systemen gefordert - wobei die Medienindustrie derzeit ohnehin dabei ist, im Musikbereich zunehmend auf DRM zu verzichten. Auch die aus der Diskussion über das Telekompaket bekannte Forderung zur "Kooperation" der Provider mit den Rechteinhabern ist wieder enthalten. Weiterhin solle die EU digitale Werkzeuge bereitstellen, mit denen sich digitale Originale von Schwarzkopien unterscheiden ließen. La Quadrature du Net interpretiert diese Passage als Unterstützung für Content-Filter.

Die bisher vorliegenden Änderungsanträge enthalten auch Beiträge der österreichischen EU-Abgeordneten Eva Lichtenberger (Grüne), die unter anderem die "Einführung neuer, auf die Internet-Welt abgestimmter Rechtsmodelle für den Schutz der Urheberrechte unter Wahrung von Grundrechten wie Schutz der Privatsphäre und Datenschutz" für erforderlich hält.

Mehr zum Thema:

~ Link: Der Glaube an die digitalen Fesseln (../http://www.fuzo-archiv.at/?id=198847v2) ~

Verwertungsgesellschaften und Harmonisierung

Ein weiterer Streitpunkt in dem Bericht ist der Fall CISAC, in dem es um den Wettbewerb zwischen Verwertungsgesellschaften in der EU geht. Die EU-Kommission macht sich dafür stark, dass Texter und Komponisten in der Union frei wählen können sollen, welcher Verwertungsgesellschaft sie beitreten.

Die nationalen Verwertungsgesellschaften sollen ihr Angebot nicht mehr auf ihr Inlandsgebiet einschränken dürfen und künftig auch im Ausland Lizenzen für Rechte erteilen können. Inhalteanbieter und Sendeanstalten sollen so Mehrgebietslizenzen von einer Verwertungsgesellschaft ihrer Wahl erwerben können.

(futurezone/Günter Hack)