© AP/Matt Dunham, Die Rolling Stones

"Keine Altersarmut für die Stones"

SCHUTZFRISTEN
26.01.2009

Das EU-Parlament soll demnächst über einen Vorschlag der EU-Kommission abstimmen, der die Verlängerung der Schutzfristen für Tonaufnahmen in der EU von 50 auf 95 Jahre vorsieht. Österreichische EU-Abgeordnete sind über den Kommissionsvorschlag geteilter Meinung.

Maria Berger, SPÖ-Delegationsleiterin im EU-Parlament, kann einer Verlängerung der Leistungschutzrechte nichts abgewinnen. "Ich werde der Verlängerung der Schutzfristen nicht zustimmen und dies auch den anderen Mitgliedern der SPÖ-Delegation empfehlen", teilte sie ORF.at auf Anfrage mit. Auch die grüne EU-Parlamentarierin Eva Lichtenberger lehnt den Kommissionsvorschlag ab. Das Papier gehe an den wesentlichen Fragen vorbei und sei indiskutabel.

Die Diskussion über die Ausweitung der Schutzrechte sei in der EVP-ED-Fraktion, der die Europaabgeordneten der ÖVP angehören, noch nicht vollständig abgeschlossen, sagte ÖVP-Europaklubobmann Othmar Karas. Nach derzeitigem Stand spreche jedoch einiges dafür, dass sich der ÖVP-Europaklub eng an die von der EU-Kommission vorgeschlagene Regelung halten werde.

Mehr zum Thema:

Abstimmung im März

Der Vorschlag von EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy, der eine Verlängerung der Schutzfristen für Tonaufnahmen um 45 Jahre vorsieht, wird voraussichtlich im Februar im zuständigen Ausschuss und im März im Plenum des EU-Parlaments zur Abstimmung kommen. Konkret geht es um die Verlängerung der Leistungsschutzrechte für Musikaufnahmen, die nach derzeitigem Recht 50 Jahre gelten. Im Vergleich dazu gilt der Urheberrechtsschutz auf Kompositionen und Liedtexte 70 Jahre nach dem Tod der Urheber. Die Leistungsschutzrechte für Aufnahmen aus den 1960er Jahren, etwa von den Beatles und den Rolling Stones, würden in den kommenden Jahren sehr zum Leidwesen der Musikkonzerne sukzessive auslaufen.

Diese Aufnahmen könnten dann ohne die mitunter aufwendige Klärung der Rechte in Filmen verwendet, öffentlich aufgeführt oder auf CD angeboten werden. Gebühren für Kompositionen und Texte müssten zwar weiterhin an Verwertungsgesellschaften entrichtet werden, die Abgeltung der Leistungsschutzrechte für die Tonaufnahmen würde jedoch entfallen. Auch Musiker könnten zu wesentlich geringeren Transaktionskosten auf die Aufnahmen zugreifen und etwa Remixes anfertigen.

"Wettbewerbsnachteil gemindert"

Dadurch würden den Musikkonzernen, die den Großteil der Rechte an den Aufnahmen halten, Einnahmen entgehen. Die europäische Musikwirtschaft machte sich deshalb auch seit Jahren für eine Verlängerung der Schutzfrist stark. Sie sieht sich auch gegenüber den USA benachteiligt, wo die Schutzfrist auf Tonaufnahmen bereits 95 Jahre beträgt. "Die Regelung würde eine Wettbewerbsverzerrung mit den USA mindern", begründete auch ÖVP-Europaklubobmann Karas die voraussichtliche Zustimmung der ÖVP-Delegation im EU-Parlament. Daneben würden auch Künstler und Musiker die Möglichkeit erhalten, ihre Rechte auf Lebenszeit zu genießen, so Karas zu ORF.at.

Dass die Verlängerung der Schutzfristen Interpreten und Session-Musikern tatsächlich merklich höhere Einnahmen bringen würde, ist jedoch umstritten. EU-Kommissar McCreevy betonte in seinem Vorschlag zwar die "starke soziale Komponente" der Schutzfristenverlängerung und verwies darauf, dass ausübende Künstler, die im Alter von 20 Jahren Platten aufgenommen haben, bei Erreichen ihres 70. Lebensjahrs dadurch keinem plötzlichen Einkommensausfall gegenüberstehen. Kritiker meinen jedoch, dass das Gros der betroffenen Musiker von der Verlängerung der Leistungsschutzrechte kaum profitieren würde.

Die britische Open Rights Group lädt am Dienstag zu einer Informationsveranstaltung in Brüssel. Auch in einem auf YouTube abrufbaren Video der Bürgerrechtsbewegung wird die Schutzfristenverlängerung thematisiert.

"Musikkonzerne Hauptprofiteur"

Eine Verbesserung der Einkommenssituation ausübender Künstler und Session-Musiker finde nicht statt, kritisierten europäische Bürgerrechtler, Konsumentenschutzverbände und Bibliothekare vergangene Woche in einer gemeinsamen Erklärung. 80 Prozent der betroffenen Künstler würden durch die Verlängerung der Fristen lediglich zwischen 50 Cent und 26 Euro pro Jahr erhalten, rechneten sie vor. Mit der Verlängerung der Leistungsschutzrechte für Musikaufnahmen um 45 Jahre würden Millionen Euro der europäischen Konsumenten in die Taschen der vier großen Musikkonzerne umgeleitet, hieß es in der Erklärung, die unter anderem vom Dachverband der europäischen Konsumentenschützer (BEUC), der IFLA, die weltweit rund 650.000 Bibliothekare vertritt, der britischen Open Rights Group und der Electronic Frontier Foundation (EFF) unterzeichnet wurde.

Die Darstellung des Kommissars, die Verlängerung der Schutzfristen würde Künstler aus der Altersarmut befreien, stimme so nicht, meinte auch die grüne EU-Abgeordnete Lichtenberger: "Das gilt nur für Musiker wie Madonna und die Stones." Hauptprofiteur der Schutzfristenverlängerung seien die großen Musikkonzerne, so Lichtenberger: "Zu sagen, das sei für die Rettung der Künstler, ist zynisch."

"Die zahlreichen Stellungnahmen, die uns vonseiten der Künstler und Ausführenden erreicht haben, bestärken uns in der Annahme, dass von einer solchen Regelung nicht nur Labels und Produzenten, sondern vor allem Künstler selbst profitieren können", meinte hingegen Karas.

Mehr zum Thema:

"Es kann nicht die Aufgabe der Europäischen Union sein, auf Kosten der Konsumenten und auf Kosten von Kreativität und Innovation die Umsätze einiger weniger Firmen in die Höhe zu treiben", kritisierten der Urheberrechtsexperte Martin Kretschmer und der Kulturökonom Paul Stepan im Interview mit ORF.at.

"Verteuerung für Konsumenten"

Während die EU-Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag kaum Auswirkungen der Fristverlängerung auf die Endkundenpreise sieht, verweisen Beobachter darauf, dass das sehr wohl der Fall sei. "Schutzrechte dienen in jedem Fall der Erhöhung der Verkaufspreise, denn ansonsten wären sie ohnehin obsolet", argumentierten etwa der Urheberrechtsexperte Martin Kretschmer und der Kulturökonom Paul Stepan im vergangenen Juli im Interview mit ORF.at.

Das ist auch ein Grund dafür, dass die SPÖ-Delegation die Verlängerung der Schutzfristen ablehnt. Gegen die Verlängerung spreche die Verteuerung für Konsumenten, hieß es aus dem Büro von SPÖ-Delegationsleiterin Berger.

"Anschein von Aktivitäten"

Die Mehreinnahmen für die Tonträgerindustrie sollten der Branche helfen, sich an das Internet-Zeitalter anzupassen und ihre Investitionen in neue Talente aufrechtzuerhalten, führte EU-Kommissar McCreevy in seinem Vorschlag ins Treffen. Lichtenberger will das nicht gelten lassen. "Wir müssen auf die Online-Welt reagieren", sagte die grüne EU-Abgeordnete. Mit dem Vorschlag werde jedoch lediglich der Anschein von Aktivitäten erweckt.

Lichtenberger sprach sich für eine fundierte Diskussion der Thematik aus, bei der neben neuen Geschäftsmodellen für die Tonträgerindustrie auch Fragen nach den Auswirkungen der Schutzfristenverlängerung auf Konsumenten und die Verfügbarkeit von Inhalten zur Sprache kommen sollen.

(futurezone/Patrick Dax)