Wales: "Googles Dominanz geht vorbei"
Wikipedia-Vordenker Jimmy Wales hat sich mächtige Gegner ausgesucht. Ein neues Kontrollsystem soll die zahlreichen Vandalen auf der Wikipedia bremsen, und seine Community-Suchmaschine Wikia Search wird gegen den übermächtigen Branchengiganten Google antreten müssen. Im Gespräch mit ORF.at sagt Wales, wie er die Online-Welt verändern möchte.
Wales hatte 2001 die offene Internet-Enzyklopädie Wikipedia mitgegründet, die es bereits in mehr als 250 Sprachen gibt. An den Beiträgen für die Enzyklopädie können alle Menschen mitarbeiten. Bestand hat prinzipiell, was von anderen Bearbeitern akzeptiert wird. Da es aber immer wieder zu absichtlichen Falscheinträgen kommt, wird derzeit ein System getestet, das diese in Zukunft verhindern soll. Wales erzählt ORF.at Details über das neue Überprüfungssystem.
Die Enzyklopädie Wikipedia ist mittlerweile ein Projekt der ebenfalls von Wales ins Leben gerufenen gemeinnützigen Wikimedia Foundation. 2004 gründete Wales das Unternehmen Wikia Inc. In dessen Rahmen arbeitet er seit Anfang 2007 an Wikia Search, einer Alternative zu Google, die ein Ranking durch Community-Mitglieder ermöglicht. Derzeit befindet sich das Projekt in der Alpha-Testphase. Gegenüber ORF.at sagte der 42-jährige Wales, wie weit das Projekt bereits fortgeschritten ist. Auf Google ist Wales freilich nicht gut zu sprechen.
Wales war im Rahmen des Kongresses "com.sult 09" als Stargast in Wien, um über die gegenwärtige Wirtschaftskrise und die Zukunftsressource Wissen zu referieren.
ORF.at: Es gab immer wieder Fälle von falschen Einträgen auf Wikipedia wie erst jüngst nach der Amtseinführung von US-Präsident Barack Obama. Was plant Wikipedia, um sicherzustellen, dass ihre Artikel korrekt und keine Falschinformationen zu finden sind?
Wales: Wir testen gerade in der deutschen Wikipedia-Version ein System, das unter dem Namen "Flagged Revisions" (Markierung von Überarbeitungen, Anm..) läuft. Die meisten Probleme werden von nicht registrierten Usern verursacht, und die Idee hinter der Software ist es, dass alle Änderung in eine Art Warteschleife geschickt werden und nur von registrierten und vertrauenswürdigen Usern editiert werden können.
ORF.at: Wie nimmt die deutschsprachige Wikipedia-Gemeinde dieses System an?
Wales: Die deutsche Wikipedia-Community mag das System sehr gerne. Man merkt auch eine kulturelle Differenz zwischen der deutschen und der englischen Wikipedia-Gemeinschaft. Es mag zwar wie ein Klischee klingen, aber in diesem Fall ist es wahr: Die Deutschen setzen auf Genauigkeit und Qualität. Sie wollen der Öffentlichkeit nur das Beste zeigen, während die englischen Wikipedia-Nutzer mehr auf das Offene setzen und freiheitsliebender sind. Von daher ist es nur logisch, dass wir das System erst einmal in der deutschen Version testen.
ORF.at: Welche Erfahrungen haben Sie mit diesem Kontrollsystem bisher gemacht?
Wales: Es gibt noch Probleme. Derzeit muss ein User, der sich nicht einloggt, bis zu drei Wochen darauf warten, dass seine Änderung freigeschaltet wird. Das ist viel zu lange. Derzeit sind wir dabei, uns Gedanken darüber zu machen, wie man diese lange Wartezeit reduzieren kann. Die englische Wikipedia-Gemeinschaft würde so etwas nie akzeptieren. Deswegen überlegen wir, ob wir das System in der englischen Version nur bei richtig wichtigen Artikeln einsetzen, die akut gefährdet sind, dass sie von Leuten absichtlich falsch umgeschrieben werden. Wir werden sehen, wie es funktioniert.
ORF.at: Gibt es diesbezüglich schon einen Zeitplan? Wie geht es mit dem Kontrollsystem weiter?
Wales: Wir hatten vor kurzem eine Abstimmung über das System. Es gab 60 Prozent Befürworter, aber wir wollen mehr. Wir möchten so viel Support wie möglich. Also gehen wir jetzt noch einmal zurück und versuchen, mit Kompromissen eine höhere Zustimmungsrate zu erreichen. Manche werden zwar immer Nein sagen, weil sie konservativ sind und das System so lassen wollen, wie es ist, aber einige haben nur geringe Bedenken, und die wollen wir überzeugen. Die zweite Abstimmung wird daher etwa in zwei Wochen kommen, danach werden wir die Feinjustierungen machen. Ich denke, in zirka einem Monat werden wir "Flagged Revisions" in der englischen Wikipedia ausprobieren.
ORF.at: Es wird immer wieder debattiert, ob Wikipedia nur Einträge veröffentlichen soll, die auch in gedruckten Enzyklopädien erscheinen oder die mit ausführlichen Verweisen und Quellenangaben versehen werden können. Wie stehen Sie zu diesem Thema?
Wales: Wikipedia wird nicht gedruckt, daher unterliegen wir nicht denselben Regeln. Wir müssen uns keine Sorgen machen, ob wir uns den Druck dieser Seite jetzt leisten können. Physische Dinge sind einfach limitiert, wir sind es nicht, dazu gibt es keinen Grund. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch bei uns gewisse Limits: Wir wollen Artikel mit belegbaren Quellenangaben, keine Scherzartikel. Die meisten Probleme gibt es eigentlich bei kleineren, obskuren Artikeln beispielsweise über Lokalpolitiker vom Land. Da ist es manchmal schwierig nachzuprüfen, welche Version jetzt die richtige ist. Meine Devise lautet: lieber fein als vollständig.
ORF.at: Gibt es eigentlich Vergleiche mit etablierten Lexika bezüglich der Fehlerrate?
Wales: Wir wissen es nicht so genau. Ich kenne nur einen Artikel im deutschen "stern", der die deutsprachige Wikipedia mit dem Brockhaus verglichen hat. Dabei hat die Wikipedia gewonnen. Ich habe aber das Gefühl, dass die Studie uns bevorzugt hat. Ich glaube, wir sind ganz gut unterwegs, aber es gibt immer noch genug Dinge zu verbessern.
ORF.at: Studenten ist das Verwenden von Wikipedia bei ihren Diplomarbeiten oft von ihren Professoren verboten. Wie lässt sich dieses Problem beheben?
Wales: Wenn man an seiner Diplomarbeit schreibt, verwendet man normalerweise ja auch keinen Brockhaus. Für uns ist das also kein großes Thema. Wir wollen zwar so gut wie möglich sein, aber die Rolle einer Online-Enzyklopädie in einem wissenschaftlichen Prozess ist es nicht, die einzige Quelle zu sein. Wikipedia soll zwar verlässlich sein, aber mehr als ein Ratgeber dazu, wie man ein Thema angehen kann, sollte es nicht sein.
ORF.at: Haben Sie es je bereut, die Wikipedia der Wikimedia Foundation "gespendet" zu haben?
Wales: Nein, im Gegenteil, ich bin stolz darauf. Für mich ist Wikipedia etwas wirklich Besonderes. In 500 Jahren werden Leute zurückblicken und sagen, Wikipedia war wirklich etwas Gutes, ein nettes Projekt für das Gemeinwohl. Wenn es mein Geschäft wäre, würde ich vielleicht einen exotischen Lebenswandel bestreiten und rund um die Welt fliegen - oh, warten Sie, das mache ich ja schon!
ORF.at: Kommen wir zu einem anderen Projekt von Ihnen. Wikia Search ist eine Open-Source-Suchmaschine, die auf Transparenz setzt. Außerdem können Nutzer die Ergebnisse mitverändern. Glauben Sie wirklich daran, dass Leute Transparenz wollen und brauchen?
Wales: Ja, ich glaube, das ist sehr wichtig. Für mich ist das der Transparenz bei Gerichtsverfahren sehr ähnlich. Wir könnten sagen, dass wir ohnehin vertrauenswürdige Richter haben, dennoch brauchen wir andere Instanzen, falls doch etwas schiefgeht. Das heißt nicht, dass sich die Öffentlichkeit immer damit auseinandersetzen muss, aber sie kann es zumindest, wenn Probleme öffentlich – und transparent - werden.
ORF.at: Was sind Ihre Ziele mit Wikia Search in den nächsten zwei Jahren?
Wales: Ich glaube wir brauchen noch ungefähr ein Jahr um die Tools, die wir wollen, zum Laufen zu bringen. Wir haben bereits eine kleine Community, es finden viele Aktivitäten statt und es gibt gutes Feedback. Derzeit kümmert sich mein Team darum, Fehler zu beheben und mit der Gemeinschaft zu besprechen, was man noch verbessern kann. Nach diesem Jahr werden wir Wikia Search hoffentlich starten. Ich rechne danach mit einer starken Wachstumsrate und mehr Partizipation und somit mit besseren Suchergebnissen. Aber bis dahin liegt noch ein langer Arbeitsweg vor uns.
ORF.at: Derzeit dominiert Google den Suchmaschinenmarkt. Wird diese Dominanz zu brechen sein?
Wales: Ja, das glaube ich. Die Dominanz von Google auf dem Suchmaschinenmarkt ist ein vorübergehendes Phänomen. Ich glaube, dass ihr Werbungssystem mit den Stichwörtern für eine lange Zeit weiterbestehen wird, aber auf dem Suchmaschinenmarkt ist Platz für den Wettbewerb. Man darf nie vergessen, dass Google aus dem Nichts emporgeschossen ist.
ORF.at: Glauben Sie, dass Wikia Search das auch schafft?
Wales: Ich hoffe es!
ORF.at: Zum Thema Krise. Was für einen Einfluss hat die Wirtschafskrise auf Unternehmen mit Internet-Fokus?
Wales: Wir haben es mit einem schwierigen Jahr oder auch zwei Jahren zu tun. Es wird weniger Werbeeinnahmen geben, aber ich glaube, dass das eher traditionelle Medien wie Magazine betrifft und die Online-Werbung sich ganz gut halten wird. Seit dem großen Dot.com-Crash ist die Internet-Industrie viel sensibler geworden. Damals haben Start-up-Unternehmen Hunderte Millionen Dollar ausgeben, um die Rolling Stones auf ihrer Launch-Party dabeizuhaben. Jetzt ist die Industrie in einer besseren Form, und ich glaube nicht, dass noch einmal der große Kollaps kommt.
ORF.at: Was wird sich denn im Internet die nächsten Jahre ändern?
Wales: Ich glaube, wir werden viel mehr Videos online sehen. Immer mehr Leute haben einen Breitband-Internet-Anschluss und somit die Möglichkeit, Filme runterzuladen.
ORF.at: Wie wichtig sind Ihrer Meinung nach Social-Networking-Portale wie Facebook?
Wales: Ich glaube, dass sie sehr wichtig sind. Facebook ist eine der wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre. Es gab schon davor Social-Networking-Sites, die gekommen und gegangen sind, aber Facebook hat es geschafft, indem sie ihr Portal User-freundlich gestaltet haben. Es macht auch ein bisschen abhängig, muss ich schon sagen (schmunzelt). Ich glaube, dass Facebook weiterhin sehr wichtig sein wird. Das einzige Problem für das Unternehmen ist, dass sich damit nicht leicht Geld verdienen lässt. Der Grund ist ganz einfach: Wenn die Leute mit ihren Freunden chatten oder sich Urlaubsbilder ansehen, wollen sie nicht shoppen. Damit ist aber das meiste Geld zu verdienen. Aber jemanden beim Networken zum Shoppen zu bewegen ist schwierig. Da kommen noch einige interessante Herausforderungen auf Facebook zu.
ORF.at: Stichwort Datenschutz im Internet. Sehen sie hier Probleme für die Zukunft?*
Wales: Ich sehe kein großes Problem darin, dass Unternehmen gewisse Dinge wissen, die man ja schließlich selbst über sich preisgegeben hat. Als Beispiel: Wenn ich Amazon besuche, empfiehlt mir die Website Bücher. Das empfinde ich nicht als merkwürdig, da ich ja ähnliche Bücher von Amazon gekauft habe. Das ist für mich dasselbe, als ob ich in ein lokales Buchgeschäft gehen würde, wo mich der Besitzer jahrelang kennt und er mir dann ein bestimmtes Buch empfiehlt. Ich empfinde es nicht als negativ, wenn ein Unternehmen weiß, was ich will und mir Angebote über ähnliche Produkte unterbreitet. Die größere Gefahr sehe ich schon eher darin, dass vor allem junge Leute zu viele Informationen über sich preisgeben. Ich würde ihnen raten, damit vorsichtiger zu sein und etwa keine Fotos von sich, wie sie betrunken herumtorkeln, ins Internet zu stellen. Andererseits macht jeder einmal etwas Dummes und langfristig könnte es die Ansichten und Meinungen, was akzeptiert wird, verändern.
ORF.at: Wo sehen Sie sich selbst in zwei Jahren?
Wales: Ich werde wahrscheinlich noch immer die gleichen Dinge tun wie jetzt. Ich versuche zwar, weniger zu reisen, aber bis jetzt ist mir das nicht gelungen.
ORF.at: Danke für das Gespräch.
(futurezone/Barbara Wimmer)