Wenn Bilder in Büchern laufen lernen
Wie Augmented Reality (AR), also erweiterte Realität, im Alltag und in der Industrie eingesetzt werden kann, damit beschäftigt sich ein Spin-off des Instituts für Computergrafik an der TU Wien. Geschäftsführer Michael Gervautz spricht im Interview mit ORF.at über das "Magic Book", 3-D-Fernsehen und den Massenspielplatz Kino.
Im Jänner hat die Imagination Computer Services GesmbH, ein Spin-off der TU Wien, ihre Kooperation mit dem Christian-Doppler-Labor für Handheld Augmented Reality an der TU Graz gestartet. Ihr gemeinsames Ziel ist, die Forschung im Bereich Augmented-Reality-Anwendungen - die Vermischung von wirklicher mit virtueller Realität - voranzutreiben, die vor allem auf dem Einsatz von Smartphones basieren soll.
"Die Basis der Technologie nennt sich optisches Tracking. Vereinfacht gesagt, erkennt das mobile Gerät über die Kamera Objekte und kann dazu die entsprechenden Informationen liefern", erklärt Imagination-Geschäftsführer Michael Gervautz.
Das "Magic Book"
Die Imagination Computer Services GesmbH beschäftigt 15 Personen. 20 Prozent der Arbeit konzentrieren sich auf die Forschung. 2008 wurde ein Umsatz von etwa einer Million Euro erwirtschaftet. Das Unternehmen konzentriert sich hauptsächlich auf Software-Entwicklung und Content im Bereich Virtual Reality und Augmented Reality.
Als Anschauungsbeispiel präsentiert Gervautz ein vom Unternehmen produziertes "Magic Book" des Kinderbuchklassikers "Die kleine Raupe Nimmersatt". Das Buch beinhaltet optische Marker - fokussiert man diese mit einem Smartphone, beginnt eine Stimme, den Text vorzulesen. Zugleich erscheint eine 3-D-Animation auf dem Smartphone-Display, die direkt über dem Marker schwebt.
"Ich habe also eine zusätzliche Ebene, die mir das Buch lebendig macht", erläutert Gervautz die Präsentation. Dahinter steckt eine Applikation, die die Bildinformationen und Animationen beinhaltet und auf allen derzeit gängigen Smartphones funktioniert. Insbesondere für Kinderlehrbücher wie "Wie funktioniert die Erde" kann sich der Geschäftsführer den Einsatz von "Magic Books" vorstellen.
Vision: Web 2.0 und AR heiraten
Mittels "Natural Feature Tracking" soll künftig das Programm ohne "hässliche Marker" arbeiten, das heißt, kontrastreiche und eindeutige Punkte sollen aus einem komplexen Bild gesucht und abgespeichert werden. "In dem Moment, wo das Smartphone solche Punkte wiedererkennt, kann die dazugehörige Information geliefert werden", erläutert Gerautz.
Wo das künftig hinführen soll? "Verheiraten wir Web 2.0 mit Augmented Reality", meint Gerautz. Momentan können nur flache Bilder erkannt werden, wie Logos und Plakate. In Zukunft sollen auch dreidimensionale Objekte erkannt werden. Die Vision lautet: "Ich stehe vor einem Objekt in New York, schicke meine Anfrage, indem ich das Handy draufhalte, und bekomme die nötige Information dazu. Ein neuer Medienkanal also."
User sollen Produzenten werden
Für die Hochzeit mit dem Web 2.0 bedarf es aber noch einer weiteren Komponente, die auch in der Forschungszusammenarbeit mit dem Christian-Doppler-Labor Thema ist: die Technologie so weit zu entwickeln, dass "jeder selbst 3-D-Objekte produzieren und weltweit beliebig platzieren kann" und diese nicht nur passiv nutzt.
Zurück in der Gegenwart, erläutert Gerautz mögliche Nutzungsformen von AR in Kombination mit den Handhelds. "Ein großer Markt ist sicher jener für Spiele." Ein physikalisches Spielbrett, ein Handy für jede Person - und schon werde gemeinsam ein gemischtes virtuell-reales Spiel gespielt. "Das könnte den Spaß eines Brettspieles mit dem eines Computerspieles verbinden", meint Gerautz.
AR in der Industrie
Michael Gerautz, Geschäftsführer und Gründer der Imagination Computer Services GesmbH, hat vor zehn Jahren das Institut für Computergrafik der TU Wien verlassen. Als Universitätsdozent ist er heute nur noch in geringem Ausmaß tätig.
2009 erhielt das Unternehmen den Staatspreis in der Kategorie Kultur, Unterhaltung und Spiele für das Microsoft-Projekt "Incredible Machine".
Praktisch genutzt werde die AR-Technologie schon in der Industrie, etwa bei Flugzeugen. Gebe es technische Probleme und sei kein Spezialist zugegen, so könne ein Techniker mit einer AR-Anleitung die Probleme beheben. Ein mobiles Endgerät erkenne die Marker im Flugzeug und zeige dann mittels 3-D-Animation die notwendigen Handgriffe, "welche Schraube man zum Beispiel lösen soll".
Ein anderes Beispiel ist das Projekt des Instituts für maschinelles Sehen und Darstellen an der TU Graz. Dieses arbeite derzeit gemeinsam mit den ÖBB und Wienstrom daran, Leitungen unter der Erde zu visualisieren. Mittels GPS und eines Tilt-Sensors (Kippsensor) sollen 3-D-Grafiken der Leitungen auf dem Handheld angezeigt werden. Die notwendigen Daten kommen aus dem Geoinformationssystem (GIS).
VR war ein Flop
Während Virtual Reality (VR) im Unterhaltungssektor in der Vergangenheit aufgrund der hohen Kosten "ein Flop war", sieht Gerautz heute neue Chancen im Einsatz im Kino. Mit dem verstärkten Aufkommen von Stereoskopieprojektionen - also 3-D - in Kinos könnten sich diese zu Massenspielplätzen entwickeln. Mittels eines elektronischen Zeigegeräts, einem Laserpointer etwa, könne sich das gesamte Publikum gemeinsam interaktiv an einem Spiel beteiligen.
Das von Imagination für die Medienwelten im technischen Museum im Jahr 2000 produzierte VR-Theater habe so funktioniert. "Auf eine riesige Leinwand wurde eine 3-D-Grafik projiziert, jede Person im Raum bekam einen Zeigestab und konnte ein Objekt im Bild anvisieren und etwas damit machen", so Gervautz.
"Wir wollten damit zeigen, wie beliebig VR sein kann." Nachdem die Kinos ihre alten Projektoren durch neue ersetzen, sei nun "ein neuer Playground da". "Damit könnte das, was in Unterhaltungsparks für viel Geld einmal produziert wird, gleich in vielen Kinos parallel und dauerhaft verwendet werden", meint Gerautz. VR stehe hier eine völlig neue Verwendungsmöglichkeit zur Verfügung.
3-D-Fernsehen mit HD
Ein Blick in das private Wohnzimmer führt das Gespräch zu den 3-D-Bildschirmen. Auch die Stereoskopie - also 3-D-Anzeigen - zu Hause auf dem TV-Monitor ist Teil der VR-Technologie. Derzeit sei aufgrund der geringen Stückzahlen der Kostenfaktor noch sehr hoch. Ob diese in den Massenmarkt kommen werden, sei abzuwarten.
Der wesentliche Faktor, warum sich 3-D-Fernsehen noch nicht durchgesetzt habe, sei die Übertragungsbandbreite. "Für 3-D-Bilder müssen zwei Bilder transportiert werden", erklärt Gerautz, "und das kostet Qualität, war das Killerargument." Jetzt gebe es jedoch bereits HDTV, "somit wäre vorstellbar, dass man für die Stereoskopie wieder die Hälfte hergibt und die gleiche Fernsehqualität wie zuvor hat, nur dreidimensional".
Wie funktionieren 3-D-Monitore?
Derzeit gebe es zwei Möglichkeiten, 3-D auf dem Bildschirm anzuzeigen. Die erste Möglichkeit wäre, die Bilder hintereinander, einmal für das rechte und einmal für das linke Auge, abzuspielen. Dafür bedürfe es wieder einer Brille.
Die zweite Möglichkeit ist, ähnlich wie bei 3-D-Kippbildern zu arbeiten. Das heißt, auf dem Monitor befindet sich eine Linsenrasterfolie. Die Einzelbilder werden bei dieser Technologie in schmale Streifen geschnitten, wobei in den geraden Spalten das eine Bild und in jeder ungeraden Spalte das zweite Bild erscheint, was zu einem 3-D-Effekt führe.
Herausforderung Echtzeitgrafik
Teil der VR-Technologie ist auch die Weiterentwicklung in der grafischen Umsetzung. Die Herausforderung bei AR beziehungsweise interaktiver VR ist die "Echtzeitgrafik". "Der Computer muss in dem Moment, wo ein Gegenstand verändert wird, 25 Bilder pro Sekunde generieren, damit es als interaktive 3-D-Welt wahrgenommen wird", erklärt Gerautz.
"Bei mobilen Endgeräten müssen kleine Datenpakete mittransportiert werden", so Gerautz, und auf die verschiedenen Gegebenheiten der Geräte geachtet werden. "Derzeit ist die Raupe Nimmersatt im 'Magic Book' noch eine etwas eckige Animation", in Zukunft wolle man aber auf mindestens 20 Bilder pro Sekunde kommen.
Kostenfaktor
Schließlich hänge der Erfolg dieser Technologie auch von den Kosten ab. Momentan seien nur die Autoindustrie und Universitäten potenzielle Kunden. "Für den Massenmarkt hilft uns aber die Preisentwicklung bei den mobilen Geräten und Kameras sehr", zeigt sich Gerautz optimistisch.
(futurezone/Claudia Glechner)