Fluch und Segen der inoffiziellen Kanäle
Beim club transmediale in Berlin diskutierten DJs, Label-Macher, Musik-Blogger und Filesharing-Aktivisten die Auswirkungen von Peer-to-Peer-Netzwerken und Audioblogs auf den Umgang mit Musik.
Das schwedische Piratenbüro (Piratbyran) bereitet sich auf den Tag X vor. In etwas mehr als zwei Wochen, am 16. Februar, beginnt der Prozess gegen die Betreiber der Torrent-Tracker-Site The Pirate Bay. Sie wurden von Film- und Musikkonzernen wegen Verschwörung zum Verstoß gegen das Urheberrecht auf 1,6 Millionen Euro Schadenersatz geklagt. "Eine imaginäre Summe", sagte Magnus Eriksson vom Piratenbüro, das The Pirate Bay 2004 gründete, heute aber nicht mehr betreibt.
Beim club transmediale , der heuer seinen zehnten Geburtstag feiert, sind an wechselnden Veranstaltungsorten in Berlin noch bis Samstag experimentelle und elektronische Klänge zu hören. Eine Diskussionsreihe zu dem durch die Digitalisierung bedingten Wandel in der Musikkultur ergänzt das Programm.
"In Stockholm werden Welten aufeinandertreffen", kündigte Eriksson an. Piratbyran will vor dem Gericht ein kleines Festival aufziehen. Die Aktivisten laden vor dem Gebäude zum Frühstück, auch ein Orchester wird aufspielen. Der Piratenbüro-Vertreter war am Donnerstag gemeinsam mit Bloggern, Musikern und Label-Machern bei einer Diskussionsveranstaltung beim Berliner club transmediale zu Gast, bei der die inoffiziellen Kanäle des Musikvertriebs zur Debatte standen.
"Alles klingt gleich"
Die Abgesandten der Unterhaltungsindustrie werden vor dem Stockholmer Gerichtsgebäude auch einem roten Bus begegnen. Mit dem sind die Filesharing-Aktivisten von Piratbyran im vergangenen Jahr durch Europa gefahren, um zu erkunden, was mit den Unmengen an Inhalten nach dem Download passiert. Habe man die gesamte Musikgeschichte auf seiner Festplatte, gehe der persönliche und emotionale Bezug zur Musik verloren, gaben Eriksson und seine Mitstreiterin Daniela Alba zu bedenken: "Alles klingt gleich."
"Interessant ist, was die Leute mit der Musik machen und welche neuen sozialen Formen daraus entstehen", so die Piratbyran-Vertreter. Digitale Musik produziere immer auch einen analogen Output. Als Beispiel nannten sie die Dubstep-Szene. Die basslastige Musik verliere beim Hören über Laptop-Lautsprecher ihre Bedeutung und verlange nach einem anderen Kontext. "Überall, wo Dubsteb heruntergeladen wird, formieren sich Communities."
"Zugang zur Musik bekommen"
"Ohne den Download aus unautorisierten Kanälen hätte es viel Musik in Serbien gar nicht gegeben", erzählte der in Belgrad lebende Musiker und Journalist Luka Ivanovic (aka lukatoyboy). Von 2001 bis 2003 betrieb er in der serbischen Hauptstadt einen Plattenladen, in dem CD-R-Kopien internationaler Underground-Acts angeboten wurden. "Über uns haben die Leute Zugang zu dieser Musik bekommen."
Mit dem Gesetz habe es keine Probleme gegeben, sagte Ivanovic: "Anti-Piraterie-Gesetze gab es damals nicht." Noch heute lade er Musik vorwiegend unautorisiert über das Netz herunter, sagte Ivanovic: "Das Durchschnittsgehalt in Serbien beträgt 350 Euro. Anders geht es nicht."
"Sehr hart, Geld zu verdienen"
Das Internet sei Fluch und Segen zugleich, meinte der Berliner DJ und Label-Macher Daniel Haaksman, der brasilianische Baile Funk für ein internationales Publikum entdeckte. "Ich würde die Musik, die ich veröffentliche, ohne das Netz nicht kennen. Aber es ist sehr hart, mit den Releases Geld zu verdienen." Aufwendige Produktionen würden sich heute kaum noch rechnen: "Produzenten geben auf, Vertriebe verschwinden." Seinen Lebensunterhalt bestreitet Haaksman mit DJing sowie Verlags- und Lizenzeinnahmen. Durch sein Label und seine Produktionen bleibe jedoch sein Name im Gespräch.
"Labels haben von Blogs profitiert"
Mit Tools wie Ableton und Scratch könnten DJs heute auch MP3s spielen. Der Kauf teurer Vinyl-Schallplatten sei nicht mehr zwingend, meinte Jan Japser Kosok, der das in Deutschland populäre Audioblog knicken betreibt. Viele Labels würden von dem in den Musik-Blogs produzierten Hype profitieren, so Kosok: "Die Auswirkungen der innofiziellen Kanäle lassen sich nicht verallgemeinern."
"Blogs machen Musik verfügbar, die sonst in den Archiven verstaubt", argumentierte Ivanovic: "Leute rippen Vinyl aus den 1960er Jahren, das nicht mehr erhältlich ist." Damit werde zwar gegen das Urheberrecht verstoßen, diese Musik wäre jedoch ohne diese Vertriebsformen heute gänzlich unbekannt.
"Weg von der Warenform"
"Am Ende des Tages haben alle dieselben Probleme", sagte der in Berlin lebende Schweizer Musiker, Label-Macher und Autor Christoph Fringeli. Die Labels müssten Auflagen verringern und andere Erlösmodelle, etwa den Verkauf von Limited Editions, finden. Er könne jedoch Klagen über fallende Musikverkäufe nicht mehr hören, meinte Fringeli, der auf die gegenkulturelle Komponente der inoffiziellen Vertriebsformen verwies: "Mit dem unautorisierten Vertrieb über das Internet verabschiedet sich Musik von der Warenform. Das führt letztlich auch zu einer Veränderung der Gesellschaft."
"Kultur-Flatrate"
Wie sich der Vertrieb von Musik in den inoffiziellen Kanälen im Internet monitarisieren ließe, skizzierte zuvor der Berliner Medienwissenschaflter und Autor Volker Grassmuck. Er stellte in seinem Vortrag das Modell einer "Kultur-Flatrate" als neuen sozialen Vertrag zwischen Kreativen und Gesellschaft zur Diskussion. Dabei soll durch eine monatliche Gebühr die private Nutzung von Inhalten aus dem Netz abgegolten werden. Grassmuck sieht in der Pauschalvergütung eine Lösung, die sowohl Nutzern als auch Musikern zugutekommt: "Mit der 'Kultur-Flatrate' wird der nicht-kommerzielle Austausch und Remixing legalisiert und den Kreativen eine angemessene Vergütung garantiert."
(futurezone/Patrick Dax)