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Auf dem Weg zur "Kultur-Flatrate"

URHEBERRECHT
04.02.2009

"Eine 'Kultur-Flatrate' ist die einzige vernünftige Lösung, Kreative für den Tausch ihrer Inhalte im Netz zu vergüten", sagt der Medienwissenschaftler Volker Grassmuck. Im Gespräch mit ORF.at erläutert er Chancen und Möglichkeiten einer monatlichen Gebühr für die nichtkommerzielle Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte aus dem Internet.

Rund um die "Kultur-Flatrate" gibt es seit Jahren heftige Debatten. Gegner sprechen von einer kollektiven Enteignung der Rechteinhaber und warnen vor einer neuen Steuer. Befürworter sehen in der monatlichen Gebühr, deren Höhe zwischen einem und zehn Euro liegen könnte, die Möglichkeit, den Tausch urheberrechtlich geschützter Inhalte im Netz zu legalisieren und gleichzeitig den Urhebern ihren Anteil zu sichern.

"Was ohnehin passiert und was nicht verhindert werden kann, muss zugelassen und vergütet werden", fordert Grassmuck. Er sieht in dem pauschalen Vergütungsmodell eine wichtige Komponente eines neuen Sozialvertrages zwischen Kreativen und Gesellschaft im digitalen Zeitalter.

Volker Grassmuck ist Medienwissenschaftler, Autor und Veranstalter der Konferenz Wizards of OS. Vergangene Woche stellte er beim club transmediale in Berlin, das Modell einer "Kultur-Flatrate" zur Diskussion.

ORF.at: Was spricht für die Einführung einer "Kultur-Flatrate"?

Grassmuck: Sei zehn Jahren wird versucht, den Tausch von urheberrechtlich geschützten Inhalten in Filesharing-Netzwerken einzudämmen. Es wurden verschiedene Lösungen versucht, die alle inakzeptabel sind, weil sie in die Privatsphäre eingreifen, weil sie datenschutzrechtlich problematisch sind, und weil sie mit Strafverfolgungsmaßnahmen auf einer massenhaften Ebene arbeiten und damit das Rechtssystem missbrauchen. Das "Olivennes-Abkommen", das in Frankreich gerade zu einem Gesetz zu werden droht, will Leute, die wiederholt Urheberrechtsverletzungen begehen, sogar für ein Jahr komplett aus dem Internet ausschließen. Eine andere Lösung, die seit mehreren Jahren diskutiert wird, ist eben die "Kultur-Flatrate". Sie ist keine revolutionäre Neuerung, sondern knüpft an das bewährte System der Privatkopieschranke (Die Privatkopieschranke erlaubt es, Kopien von Werken für den privaten Gebrauch anzufertigen, Anm.) an und folgt dessen Logik. Was ohnehin passiert, und was nicht verhindert werden kann, muss zugelassen und vergütet werden. Nur so bekommen auch die Urheber ihren Anteil am Austausch.

ORF.at: Warum ist die "Kultur-Flatrate" bis heute nirgendwo eingeführt worden?

Grassmuck: Die Einführung der "Kultur-Flatrate" ist bisher am Widerstand der Verwertungsindustrie gescheitert. Die Verwerter möchten Kontrolle über die Vermarktung von Werken haben. Ein ganz wichtiger Grund ist auch, dass sie kontrollieren möchten, wie viel von den Einnahmen tatsächlich an die Kreativen ausgezahlt wird. Die Verträge sind häufig so gestaltet, dass die bei der Online-Nutzung leer ausgehen. Mit einer "Kultur-Flatrate", die über eine kollektive Rechtewahrnehmung verwaltet würde, ginge das nicht. Da geht mindestens die Hälfte an die Kreativen und die andere Hälfte an die Verwerter. Die Kreativen bekommen von den Einnahmen für die Privatkopie ihren Anteil, und das wäre bei der "Kultur-Flatrate" auch so. Das möchte aber die Verwertungsindustrie nicht. Das ist der Hauptgrund für den massiven Widerstand.

Stimmen zur Pauschalvergütung

Es werde keine andere Möglichkeit geben, die drei Milliarden Leute in digitalen Netzwerken zum Bezahlen von Inhalten zu bewegen, sagte der Musikmarktexperte Gerd Leonhard im Interview mit ORF.at zu einer pauschalen Vergütung für Musik aus dem Netz. Auch der Musikmanager Peter Jenner sprach sich für eine Gebühr für Netzmusik aus. Nicht immer ist dabei jedoch an eine gesetzliche Regelung gedacht.

Der Tonträgerindustrieverband IFPI lehnt eine "Kultur-Flatrate" entschieden ab. Eine staatlich verordnete Flatrate komme einer "kollektiven Enteignung der Kreativen" gleich, hieß es wiederholt. Die großen Labels arbeiten gemeinsam mit Internet-Anbietern und Hardware-Herstellern an Flatfee-ähnlichen Modellen. Ein uneingeschränktes privates Nutzungsrecht soll es dabei jedoch nicht geben.

ORF.at: Von wem sollte die Initiative zu einem solchen Modell ausgehen? Soll sie gesetzlich festgeschrieben werden?

Grassmuck: Ausgehen sollte sie von einem Dialog zwischen Kreativen, um deren Geld es geht, und der Gesellschaft, also Nutzern und beispielsweise Verbraucherverbänden. In dieses Gespräch sollten auch Internet-Anbieter eingebunden werden. Ich denke, dass auch staatliche Stellen dabei eine Rolle zu spielen haben. Ich sehe keine große Chance, dass in privatwirtschaftlichen Verhandlungen eine "Kultur-Flatrate" zustandekommt, die für alle digitalisierbaren, kreativen Werke eine Gesamtlösung bietet. Letztendlich wird eine gesetzliche Regelung notwendig sein.

ORF.at: Was soll durch diese "Kultur-Flatrate" abgedeckt sein?

Grassmuck: Mit der "Kultur-Flatrate" soll das nichtkommerzielle Austauschen aller digitalisierbaren kreativen Werke - Musik, Filme, Texte und Bilder - abgedeckt sein. Die Flatrate sollte aber auch die Nutzung zum nichtkommerziellen Remix dieser Inhalte beinhalten. Viele Rechtswissenschaftler drängen ohnehin auf eine Lösung dieser Frage. Remixing ist mittlerweile zu einer massenhaften Praxis, zu einer allgemeinen Kulturtechnik geworden.

ORF.at: Welcher monatliche Betrag wäre für eine solche "Kultur-Flatrate" denkbar? Wer soll das Geld einsammeln, und wer soll die Gelder verteilen?

Grassmuck: Es werden Zahlen zwischen einem und zehn Euro pro Nutzer und Monat diskutiert. Alle einigermaßen realistischen Berechnungen zeigen, dass es keine irrsinnige Summe braucht, um Kreative angemessen zu vergüten. Eingesammelt sollte das Geld naheliegenderweise beim Internet Service Provider (ISP) werden. Da gibt es bereits einen Zahlkanal, und da legt man einen Betrag oben drauf. Genauso wie etwa das Kaufhaus, in dem man ein Leermedium kauft, gesetzlich verpflichtet ist, eine Urheberrechtsabgabe aufzuschlagen. Dieses Geld geht dann an eine Verwertungsgesellschaft. Die Urheber müssen dann gemeinsam darüber entscheiden, wie der Auszahlungsschlüssel aussieht.

ORF.at: Ist es sinnvoller, die tatsächliche Nutzung der Files zu erheben, oder soll die Anzahl der Downloads vergütet werden?

Grassmuck: Das Urheberrecht geht davon aus, dass die Erstellung einer weiteren nutzbaren Kopie eine Vergütungspflicht auslöst. Die Anzahl der Downloads ist also die Einheit, die gezählt werden sollte. Das Urheberrecht interessiert es bislang auch nicht, wie oft ich mir eine CD anhöre, die ich gekauft habe.

ORF.at: Wie soll der Verteilungsschlüssel zwischen Inhalten berechnet werden? Wie soll beispielsweise ein Film gegenüber einem Song gewertet werden?

Grassmuck: Das ist eine schwierige Frage, die von Ökonomen und den beteiligten Urhebern diskutiert werden muss. Man kann nicht für jedes Werkstück dieselbe Auszahlungsrate festlegen. Heute haben wir bei Leermedien die Abrechnung nach aufnehmbarer Zeit. Sie wird aber bei Audioinhalten anders berechnet als bei Videoinhalten. Auch die Werknutzung eines Films ist ganz anders als jene eines Songs oder Albums. All diese Überlegungen werden in den Verteilungsschlüssel eingehen müssen.

ORF.at: Kritiker meinen, dass von einer "Kultur-Flatrate" vor allem die Pornoindustrie profitieren würde, deren Produkte in Filesharing-Netzwerken stark nachgefragt werden.

Grassmuck: Wenn Pornografie in Tauschbörsen hoch- und runtergeladen wird, wer sollte dann sagen, das ist nicht Teil unserer Kultur? Es ist sicherlich notwendig, den Jugendschutz in geeigneter Form sicherzustellen. Für die Vergütung spielt das aber keine Rolle.

Tests und Verhandlungen

Die schwedische Verwertungsgesellschaft STIM testet derzeit gemeinsam mit Internet-Anbietern ein Modell zur Entkriminalisierung des Musiktausches. Noch sind viele Fragen offen. In den USA bemüht sich unterdessen das Label Warner Music Universitäten alternative Kompensationsmodelle für die Musiknutzung im Netz schmackhaft zu machen.

ORF.at: Bei der Erhebung der Downloads besteht die Gefahr, das in die Privatsphäre der Nutzer eingegriffen wird. Wie kann das verhindert werden?

Grassmuck: Der Eingriff in die Privatsphäre der Nutzer muss unter allem Umständen vermieden werden. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass die "Kultur-Flatrate" von der Gesellschaft akzeptiert wird. Die Daten über die Downloads fallen im Cache des ISP an. Es wäre also naheliegend zu zählen, wie häufig ein bestimmtes Werk, das über Metadaten identifizierbar gemacht werden muss, heruntergeladen wurde. Die Information, wer das Werk abgefragt hat, ist für die Abrechnung völlig unerheblich.

ORF.at: Besteht da nicht die Möglichkeit der Manipulation? Ich könnte etwa mein eigenes Werk mittels Skript unendlich oft herunterladen?

Grassmuck: Um das zu verhindern, wäre ein Abgleich zwischen Abruf und Abrufenden notwendig. Das ist eine heikle Angelegenheit. Es ist aber möglich, das technisch so zu implementieren, dass am Ende des Abrechnungszeitraumes die Personendaten gelöscht werden und nur die kumulierte Zahl der Downloads weitergegeben wird. Man könnte auch ein statistisches Panel etablieren, wie das auch bei der Nutzungsforschung im Rundfunkbereich gehandhabt wird. Leute erklären sich freiwillig bereit, sich zu Hause eine Blackbox hinstellen zu lassen, die dann die Downloads zählt. Wenn das Sample statistisch korrekt ausgewählt wird, dann sind die Daten so feinauflösend, das auch Werke, die nicht so häufig nachgefragt werden, mit erfasst und statistisch hochgerechnet werden können. Das würde eine korrekte Abrechnung ermöglichen.

ORF.at: Eine für alle Internet-Nutzer verpflichtende Einführung einer solchen Abgabe wird auf Widerstand stoßen. Viele Leute nutzen Tauschbörsen nicht. Andere argumentieren, dass sie ohnehin schon Leermedienabgaben zahlen.

Grassmuck: Bei der optionalen Einführung der "Kultur-Flatrate" gibt es das Problem, dass in die Infrastruktur eine Grenze eingezogen werden muss. Irgendwie muss erkannt werden, dass eine Person die Pauschalvergütung bezahlt hat. Es ist damit zu rechnen, dass dann weiterhin Maßnahmen gegen diejenigen gefordert werden, die die Gebühr nicht bezahlt haben, aber trotzdem Tauschbörsen nutzen. Wird eine solche Vergütung allen Internet-Nutzern gesetzlich vorgeschrieben, ist das nicht der Fall. Es wird sicherlich Leute treffen, die überhaupt keine Tauschbörsen nutzen. Die haben aber einen indirekten Vorteil. Durch eine "Kultur-Flatrate" würde das Angebot an Musik reichhaltiger werden. Über Remixes würden auch viele neue Werke entstehen. Es bleibt natürlich immer noch ein Rest an Leuten, die diese Inhalte überhaupt nicht nutzen. Aber dieser Rest ist jeder Pauschale inhärent. Ich kann auch nicht in den Laden gehen und sagen, ich möchte auf diesen Rohling nur meine eigenen Daten spielen, rechnen Sie bitte die im Preis enthaltene Urheberrechtsvergütung raus.

ORF.at: Die Unterhaltungsindustrie lehnt eine verpflichtende "Kultur-Flatrate" ab. Sie warnt vor der Kannibalisierung bestehender Angebote.

Grassmuck: Wenn diese Logik stimmen würde, hätte es den Apple iTunes Store nie gegeben. Online-Tauschbörsen gibt es seit 1999. Der iTunes Store ist erst vier Jahre später entstanden und ist heute das Vorzeigemodell für einen funktionierenden kommerziellen Download-Betrieb. Die Tauschbörsennutzung findet ohnehin statt. Alle Versuche, sie zurückzudrängen, sind gescheitert. Der Wechsel, der hier stattfinden soll, ist der von einer Tauschbörsennutzung ohne Vergütung hin zu einer Tauschbörsennutzung mit Vergütung. Tauschbörsen würden so auch zu einem Markt, und die Verwerter hätten Anreize, ihre Angebote zu bewerben, damit sie häufiger heruntergeladen werden und damit einen größeren Anteil aus der Ausschüttung der Gelder bekommen. Davon abgesehen, weisen viele Indizien darauf hin, dass es auch weiterhin kommerzielle Download-Angebote geben wird, von anderen kommerziellen Nutzungsformen einmal ganz abgesehen.

P2P und Musiknutzung

Beim club transmediale in Berlin diskutierten verangene Woche DJs, Label-Macher, Musik-Blogger und Filesharing-Aktivisten die Auswirkungen von Peer-to-Peer-Netzwerken und Audioblogs auf den Umgang mit Musik.

ORF.at: Zu welchem Zeitpunkt halten Sie die Einführung einer solchen "Kultur-Flatrate" in Österreich oder Deutschland für realistisch?

Grassmuck: Auf der Isle of Man wird derzeit an einem solchen Modell gearbeitet. Das könnte noch in diesem Jahr realisiert werden. Wenn das Eis erst einmal gebrochen ist und erkannt wird, dass Geld dabei herauskommt, dann könnte es ganz schnell gehen. Diskutiert wird die "Kultur-Flatrate" ohnehin schon überall. Der Druck ist da. Den guten Willen aller Beteiligten vorausgesetzt, glaube ich, dass sie in naher Zukunft kommen wird.

(futurezone/Patrick Dax)