DB-Skandal: Ausmaß größer als angenommen
Die Datenaffäre bei der Deutschen Bahn (DB) hat offenbar ein weit größeres Ausmaß als bisher bekannt. Am Mittwoch wurden weitere Fälle von Mitarbeiterüberwachung bekannt. Auch über eine vorübergehende Ablöse von DB-Chef Hartmut Mehdorn wird spekuliert.
Über die Fälle in den Jahren 2002, 2003 und 2005 hinaus habe die DB zur Korruptionsbekämpfung Dutzende weitere Abgleiche mit Mitarbeiterdaten vornehmen lassen, berichtete Radio Bremen am Mittwoch vorab unter Berufung auf den verkehrspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Uwe Beckmeyer. Die Datenaffäre bei der DB hat damit offenbar ein weit größeres Ausmaß als bisher bekannt.
Demnach soll es bei der DB mehr als 40 Projekte gegeben haben, in deren Zusammenhang Daten von Mitarbeitern mit denen von Lieferanten abgeglichen worden sei. Das berichtete Radio Bremen in der Sendung "buten un binnen" am Mittwochabend.
Eigenes Computerprogramm entwickelt
Nach Auskunft des Korruptionsbeauftragten der DB, Wolfgang Schaupensteiner, habe die Deutsche Bahn im Zusammenhang mit 44 Projekten Mitarbeiterdaten abgeglichen, erläuterte Beckmeyer im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP.
Der Datenabgleich für lediglich zehn bis zwölf dieser Projekte sei bisher bekannt. Für den systematischen Abgleich der Mitarbeiterdateien im Zusammenhang mit den 44 DB-Projekten habe eine EDV-Firma eigens Computerprogramme geschrieben. Das Auftragsvolumen dafür bezifferte Beckmeyer auf etwa 800.000 Euro.
Lückenlose Aufklärung
Nach dem Bekanntwerden einer weiteren Überprüfung aller Angestellten der DB steigt der Druck auf DB-Chef Mehdorn weiter. Der DB-Aufsichtsrat will auf einer außerordentlichen Sitzung über die Datenaffäre bei dem Unternehmen beraten, erklärte der Sprecher von DB-Aufsichtsratschef Werner Müller am Mittwoch.
Man wolle vollständige Klarheit in der Angelegenheit herbeiführen und Regelungen finden, die eine Wiederholung der Vorgänge ausschließen. Ein Termin stehe noch keiner fest.
Regierung: Vorerst keine Personaldiskussion
Auch die deutsche Regierung pocht auf eine zügige Aufklärung des Datenskandals bei der DB. Die Vorgänge könne man erst bewerten, wenn die Untersuchungsergebnisse vorlägen, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Mittwoch in Berlin. Es werde eine lückenlose Aufklärung gefordert.
Die geplante Sondersitzung des Aufsichtsrats zeige, dass den Fragen "mit aller Ernsthaftigkeit" nachgegangen werde. "Ich denke, dass wir die Verfahren erstmal abwarten und dann über alle anderen Fragen reden", sagte Wilhelm dazu, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) weiterhin Vertrauen zu Mehdorn habe.
Ministerium: Informationen fehlen
Der Sprecher des Verkehrsministeriums bekräftigte, dass die DB "noch nicht ein Blatt Papier" mit detaillierten Informationen zum Massenabgleich von Mitarbeiterdaten vorgelegt habe. Es sei "dringend an der Zeit", spätestens vor der Sitzung des Verkehrsausschusses am Mittwoch kommender Woche Unterlagen verfügbar zu haben, die eine Bewertung ermöglichten.
Im Augenblick sei "noch nicht der Zeitpunkt", Personalfragen zu diskutieren. Es gebe wichtige juristische Fragen, die der schriftlichen Form bedürfen, sagte der Sprecher. "Dazu reichen die bisherigen Darlegungen im Aufsichtsrat nicht aus."
Ablöse für Mehdorn
Nach Informationen der "Mitteldeutschen Zeitung" wird der Vorsitzende des DB-Aufsichtsrats, Werner Müller, den derzeitigen Vorstandschef Mehdorn womöglich vorübergehend ablösen. Wie die Zeitung in ihrer Donnerstag-Ausgabe unter Berufung auf deutsche Koalitionskreise berichtet, werden die Datenaffäre und Mehdorns Umgang damit als Begründung dafür angeführt. Auch der Vorstandschef der Sparte Fernverkehr, Nikolaus Breuel, und der Vorstandschef der Sparte Mobility Logistics, Norbert Bensel, seien für die Aufgabe im Gespräch.
Die Gewerkschaften Transnet und GDBA halten die Personalfrage vorerst für nachrangig und verlangten ebenfalls vollständige Aufklärung. Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sagten ein Gespräch mit der Konzernspitze aus Verärgerung über die weitere Bespitzelung ab. Wie aus DB-Kreisen verlautete, spricht Mehdorn aber dennoch mit den Chefs der Gewerkschaften in dieser Funktion.
(Reuters/dpa/AFP)