EU: Die Medienindustrie schlägt zurück
Ohne Möglichkeit zur Abänderung oder Diskussion soll Anfang März über einen Bericht zur "Harmonisierung des Urheberrechts" abgestimmt werden. Der "Medina-Report" empfiehlt dem EU-Ministerrat verpflichtende "Kooperation" für Provider und enthält eine Passage, die die Filterung des Internet-Verkehrs voraussetzt. Auch die Publikation wissenschaftlicher Forschungsergebnisse soll diesem Bericht zufolge zuerst privaten Verwertern überlassen werden.
Die Präsidentenkonferenz des EU-Parlaments hat am Donnerstag mit den Stimmen der beiden großen Fraktionen festgelegt, dass der umstrittene "Medina-Report" Anfäng März im Plenum zur Abstimmung gestellt wird. Der Bericht wurde von dem sozialdemokratischen spanischen EU-Abgeordneten Manuel Medina Ortega für den Rechtsausschuss des Parlaments erstellt.
Geschehen soll das ohne Diskussion im Plenum und ohne die Möglichkeit von Abänderungsanträgen durch die Parlamentarier, beschloss das Gremium, das - ähnlich wie die österreichische Nationalratspräsidiale - die Geschäftsordnung bestimmt.
Nachteile für Wissenschaftler
Der "Medina-Report" enthält auch Passagen, die Anstrengungen zum freien wissenschaftlichen Publizieren im Netz torpedieren könnten. Wie Gavin Baker im Weblog Open Access News berichtet, gesteht der "Medina-Report" den von einigen wenigen Konzernen herausgegebenen wissenschaftlichen Journalen "eine Schlüsselrolle im Forschungsbereich" zu. Nur die Verlage seien in der Lage, den Publikationsbetrieb finanziell abzusichern. Baker kritisiert, dass der Bericht exakt die Position der Verlegerlobby wiedergebe und deren Rechte massiv ausweite - zum Nachteil der Steuerzahler, die von ihnen finanzierte Forschungsergebnisse von den Wissenschaftsverlagen wieder teuer zurückkaufen müssen.
Die "Harmonisierung"
Dieser Bericht befasst sich mit der "Harmonisierung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft" und hat bereits den Justizausschuss passiert.
Interessanterweise enthält der Medina-Bericht, der offenbar von Beginn an den Segen sowohl der Konservativen wie der Sozialdemokraten hatte, exakt wieder jene Passagen aus dem Telekompaket, die das Parlament mit jeweils großen Mehrheiten gestrichen bzw. abgeändert hatte.
Der versteckte Filter
Die Formel der verpflichtenden "Kooperation" von Internet-Providern mit den Rechteinhabern - also der Medienindustrie - findet sich da ebenso wieder wie eine Passage, die eine Filterung der Netzinhalte durch den Zugangsanbieter vorraussetzt.
Die Aufforderung an die EU, das Instrumentarium bereitzustellen, mit dem sich Originale von Raubkopien unterscheiden ließen, impliziert eine Filterung des Verkehrs.
Nicht akzeptabel
Die österreichische Abgeordnete Eva Lichtenberger (Grüne), deren Abänderungsanträge im Justizausschuss mit der Mehrheit der beiden großen Fraktionen verworfen worden waren, findet diese Vorgangsweise "unzumutbar und nicht akzeptabel". Das Thema sei viel zu wichtig, um ohne Diskussion und Änderungsmöglichkeiten zur Abstimmung gestellt zu werden.
Statt Filterpflicht und Internet-Sperren sei vielmehr die "Einführung neuer, auf die Internet-Welt abgestimmter Rechtsmodelle für den Schutz der Urheberrechte unter Wahrung von Grundrechten wie Schutz der Privatsphäre und Datenschutz" erforderlich.
Konservative, Sozialdemokraten
Interessanterweise haben sich die österreichischen EU-Parlamentarier Othmar Karas (ÖVP) und Hannes Swoboda (SPÖ) stets und dezidiert gegen derartige Zwangsmaßnahmen ausgesprochen, die nun erneut auf der Tagesordnung des Parlaments erschienen sind.
Zwar ist der Medina-Bericht nicht bindend, sondern stellt eine Empfehlung dar, doch würde das Parlament bei Verabschiedung in unveränderter Form dem Ministerrat Vorgangsweisen empfehlen, die jenen im Telekompaket derzeit enthaltenen widersprechen.
Der Zeitplan
Dieses Paket, das drei technisch überholte EU-Richtlinien auf den neusten Stand bringen sollte, steht in derselben Sitzungsperiode Anfang März auf der Tagesordnung des Parlaments, in der auch der Medina-Bericht ins Plenum kommen soll.
Nicht ganz überraschend ist Jannely Fourtou, die Ehefrau des derzeitigen Aufsichtsratsvorsitzenden des französischen Medienkonzerns Vivendi, Jean-Rene Fourtou, Mitverfasserin des Berichts.
Ebenso wenig überraschend ist die permanente Wiederkehr von Forderungen einer bestimmten Industrielobby in immer neuen Initiativen, Ausschussberichten, Lesungen etc., auch wenn sie das Parlament mit großen Mehrheiten geändert oder gestrichen hat.
Die Grundrechte
Ebenso wird das EU-Parlament im März über eine Empfehlung zum Schutz der Grundrechte im Internet abstimmen. Mit dieser Initiative sollten die Bürger eigentlich vor privater und staatlicher Datensammelwut geschützt werden.
Die Unterstützer der Medienindustrie haben freilich schon die ersten Änderungsanträge eingereicht, die den oben zitierten Forderungen auffallend ähnlich sind oder in anderer Formulierung auf ein und dasselbe hinauslaufen.
Was "Kooperation" bedeutet
Das jüngste Bespiel dafür ist der "Angelilli-Bericht", der Anfang der Woche vom Parlament mit Zustimmung aller vier Fraktionen verabschiedet wurde.
Vorher hatte man freilich noch zwei Passagen aus dem Bericht der konservativen italienischen Abgeordneten Roberta Angelilli zum Kinderschutz im Internet gestrichen.
Nicht ganz unerwartet war es da um verpflichtende "Kooperation" der Internet-Provider, um Filter und um Netzsperren gegangen.
"Kooperation" bedeutet in diesem Zusammenhang übrigens nie "Kooperation der Provider auf Anordnung eines Gerichts", sondern stets "Kooperation der Provider nach Aufforderung durch die Rechteinhaber" oder ein ihnen nahestehendes Gremium.
Am Beispiel Software-Patente
Im Fall der als "Software-Patente" bekanntgewordenen Richtlinie zur Patentierung computergestützter Erfindungen hatte es insgesamt zwei Parlamentslesungen, eine Unzahl von Ministerrratssitzungen, Präsidentenkonferenzen, Trialoge mit der Kommission, Vermittlungsausschüsse usw. gebraucht.
Nach 30 Monaten war den Parlamentariern der Geduldsfaden schließlich gerissen, und die Versuche der Elektronikindustrie, ihre Partikularinteressen zuungunsten von Programmierern und mittelständischen Unternehmen auszudehnen, wurden mit einem Beschluss aller vier Fraktionen abgeschmettert.
(futurezone/Erich Moechel)