© Fotolia/imageteam, Visualisierung eines Netzwerkes und Menschen im Anzug

Soziale Netzwerke im Geheimdienstfokus

IARPA, TEIL III
20.02.2009

Die automatisierte Analyse der Kommunikation in sozialen Gruppen steht derzeit auf der Agenda der US-Geheimdienste ganz oben. Die neue Initiative geht auf das berüchtigte "Total Information Awareness"-Programm zurück. In der Ausschreibung der IARPA werden als Zielsprachen Arabisch, Chinesisch, Persisch, Koreanisch und Russisch genannt.

In den gerade einmal acht Monaten von Dezember 2002 bis August 2003, die Admiral John Poindexter als Direktor des "Information Awareness Office" der DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) verbrachte, hatten beide in seiner Amtszeit begonnenen Projekte Aufschrei ausgelöst.

Poindexters Vorhaben, nach Muster der Internet-Wahlbörsen eine Art Informationsterminbörse für den Nahen Osten einzurichten, um daraus Schlußfolgerungen für die tatsächliche umittelbare Entwicklung zu ziehen, wurde im US-Senat mit wenig schmeichelhaften Epitheta wie "nutzlos", "grotesk" oder gar "unglaublich dumm" begrüßt.

Die totale Information

Umgesetzt wurde die Futures-Börse für Terrorismus ebenso wenig wie das zweite Projekt des Admirals: das "Total Information Awareness Program" (TIA). Die "Anti-Terrorismus-Infrastruktur" des TIA sah für Daten welcher Art auch immer vor, dass alles mit jedem abgeglichen werden konnte, also USA-weites Data-Mining in ganz großem Stil.

Ein wichtiger Teil davon war der Analyse Sozialer Netzwerke gewidmet mit dem Ziel, eventuelle terroristische Absichten vor ihrer geplanten Umsetzung zu erkennen.

Die Versenkung

Das war dann selbst gestandenen Konservativen wie dem Publizisten William Safire zu viel, und auch die Umbenennung des Programms in "Terrorism Information Awareness" half nicht mehr.

In Reaktion auf das durchwegs negative Medienecho wurde TIA evaluiert, für schlecht befunden und schließlich eingestampft, doch hinter den militärischen Kulissen lebte das Programm weiter.

Nach Jahren in der Versenkung ist jenes Teilprogramm, das sich mit der automatisierten Analyse Sozialer Netzwerke befasst, wieder aufgetaucht.

Wiedergeburt als SCIL

Es heißt nun SCIL, was für "Socio-Cultural Content in Language" steht, und wird von der neu gegründeten IARPA (Intelligence Advanced Research Agency) koordiniert, die im Wesentlichen aus je einer Abteilung der NSA und der CIA besteht.

Das am 1. Dezember ausgeschriebene Programm soll im Sommer 2009 starten und ist auf eine Laufzeit von fünf Jahren ausgelegt. Erklärtes Ziel: "neuartige Designs, Algorithmen, Methoden, Techniken und Technologien zu erforschen und entwickeln, um die sozialen Ziele von Gruppenmitgliedern aufzudecken, indem diese Ziele mit der von ihnen verwendeten Sprache korreliert werden".

IARPA und die NSA

Mehr über die Herkunft der IARPA aus dem "Büro für disruptive Technologien" der NSA und einer CIA-Forschungsabteilung lesen Sie im ersten Teil unserer Serie.

Aus dem "Biometrics Exploitation Science and Technology"-Programm der IARPA sollen nämlich "berührungslose" Biometrielösungen hervorgehen, die aus der Distanz einzelne Menschen auch unter ungünstigen Lichtbedingungen identifizieren können.

Kulturübergreifende Muster

Diese Korrelationen zwischen Sprache und Intention sollen dann automatisiert werden und so "Aufschluss über Art und Status der jeweiligen Gruppe sowie der Rollen und Beziehungen ihrer Mitglieder geben".

Schlussendlich soll versucht werden, Verhaltensmuster "kulturübergreifend zu generalisieren", denn um die Durchschnittsbenutzer von Facebook und MySpace geht es bei bei dieser Analyse Sozialer Netzwerke gerade nicht.

Die Antragsteller müssen laut Ausschreibung vielmehr mit einer Sammlung von heterogenen Datensätzen arbeiten, nämlich mit einer Mischung aus "Blogs, E-Mails, Instant Messaging, Chat und Konversationen".

Über eine solche Vielfalt an Daten wie Transkripte von Telefonaten, den E-Mail-Verkehr, die Chat-Protokolle und Instant Messages einer Gruppe von Personen verfügen in der Regel nur Geheimdienste.

Die Zielsprachen

Die verwendeten Datensätze müssen von den teilnehmenden Firmen und Forschungsinstituten selbst mitgebracht werden, da die IARPA erklärtermaßen keine Daten zur Verfügung stellt.

Eines der Grundprinzipien jedes Geheimdiensts ist, niemals Dritten unredigiertes Material - eben so, wie es aus der Quelle kommt - zukommen zu lassen.

Die verwendeten (Dummy-)Daten sollten weder aus zu vielen Nachrichten bestehen, noch dürfen übersetzte Datensätze verwendet werden, vor allem nicht solche, die aus direkten kommunikativen Interaktionen stammen.

Der "Proof of Concept" muss nicht nur anhand von englischsprachigen Kommunikationen geleistet werden, sondern in mindestens einer der Zielsprachen Arabisch, Chinesisch, Koreanisch, Farsi und Russisch.

Die Deutlichkeit

Ebenso wie das BEST-Programm der IARPA (siehe Kasten links) lässt die Ausschreibung nichts an Deutlichkeit darüber zu wünschen übrig, was die NSA absolut nicht interessiert.

"Traditionelle Ansätze zur Analyse Sozialer Netzwerke" seien ebenso uninteressant wie das Sammeln der Datensätze selbst samt Methoden und Technologien zum Extrahieren der Information.

Vielmehr solle mittels "Natural Language Processing" eine Verbindung "zwischen Sprachgebrauch und sozialen Zielen entdeckt werden, die eine neue Informationsquelle für Analysten erschließt".

- Fragen und Antworten zu SCIL

Was das bedeutet

Die NSA hat das Abgreifen, Extrahieren und Speichern sowie den Abgleich und die herkömmliche Analyse auch massiver Datensätze im Griff, für die Optimierung bestehender Prozesse werden keine externen Fachleute gebraucht.

Ebenso ist die automatisierte Klassifizierung und Analyse sozialer Gruppen aus dem englisch-amerikanischen Sprach- und Kulturraum bereits fortgeschritten.

Eine Passage im Überblick legt das nahe: "Indem sie die kulturspezifischen Dynamiken von Mitgliedern einer Gruppe verstehen, können Geheimdienstanalysten Stärken und Schwächen, Ziele und Motivationen einer Gruppe besser einschätzen." Außerdem würden dadurch "anglozentrische Annahmen über das Verhalten der Gruppenmitglieder" reduziert.

Es gehe darum, "mögliche Konflikte, Motive und Absichten und spezielle Rollen wie 'ideologischer/operativer Anführer', 'Finanzchef' usw." zu identifizieren, heißt es im Punkt 1.B.1.b. "Program Metrics" der Ausschreibung.

Booz Allen Hamilton I

Deren Abwicklung aber wird der Booz Allen Hamilton Corporation übertragen, einer US-Beraterfirma, die ihre Umsätze in erster Linie mit dem militärischen-elektronischen Komplex der USA macht.

Booz Allen Hamilton war auch damit beauftragt, darüber zu wachen, dass die aus dem System der internationalen Finanztransferzentrale SWIFT abgezapften Datensätze von den US-Geheimdiensten nicht missbräuchlich verwendet werden.

Einer der Vizepräsidenten dieser Beraterfirma war zu dieser Zeit Mike McConnell, der vormalige NSA-Direktor.

Booz Allen Hamilton II

Die Jahre 2007 bis Anfang 2009 sahen McConnell wiederum in Regierungsdiensten, nämlich als "Director of National Intelligence" oder obersten Geheimdienstkoordinator.

Sieben Tage nach dem Amtsantritt Barack Obamas trat McConnell von diesem Posten zurück, um zwei Wochen später, Ende Jänner 2009, wieder bei Booz Allen Hamilton einzutreten.

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Iran-Contra-Affäre

Eine ganz ähnliche Karriere hat Admiral Poindexter hinter sich. Der ursprüngliche Initiator des Programms zur Analyse Sozialer Netzwerke, das von der IARPA vorangetrieben wird, war freilich nicht ganz freiwillig zwischendurch in die Privatindustrie gewechselt.

Als einer der Hauptdrahtzieher in der Iran-Contra-Affäre - geheimen Waffenlieferung an den Iran, um die rechtsextreme Contra in Nicaragua zu finanzieren - war Poindexter 1990 wegen Meineids, Irreführung der Justiz, Untreue und weiterer Delikte verurteilt worden.

Poindexter ging nur aufgrund eines nachträglich entdeckten Formalfehlers frei, da eine erneute Anklage rechtlich nicht möglich war.

Die Programme der IARPA

In der IARPA aber dreht sich das Karussell zwischen privaten Zulieferfirmen und dem militärisch-elektronischen Komplex munter weiter.

Neben dem Biometrieprogramm BEST und SCIL zur Gruppenanalyse sind noch zwei weitere "Solicitations" der IARPA unterwegs. Die eine betrifft "defekte Qubits", die andere ist so geheim, dass außer dem Akronym "ATHENA" - wenn das überhaupt ein Akronym ist - noch so gut wie nichts darüber bekannt ist.

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(futurezone/Erich Moechel)