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Auf der Spur des ATHENA-Programms

GAME-WAR
23.02.2009

Mit Hochdruck arbeiten die US-Geheimdienste an einem neuen Programm für digitale, vernetzte Kriegsführung. Unter dem Codenamen ATHENA zeichnen sich über Ausschreibungen und Stellenanzeigen die Konturen eines Systems ab, das auf eine Verschmelzung von Kriegsrealität und Computerspiel hinausläuft.

Irgendwann Mitte Februar hat die neue Geheimdienstabteilung IARPA (Intelligence Advanced Research Activity) irgendwo "in der Umgebung von Washington D.C." eine Veranstaltung zum ATHENA-Programm gehalten.

Als einziges der bisher vier in Anlauf befindlichen Programme der IARPA ist ATHENA als "top secret" eingestuft. So wurden denn auch weder Zeit noch Ort öffentlich bekanntgegeben, da ohnehin nur Teilnehmer zugelassen sind, die für die Ebene "Top Secret/Sensitive Compartmented Information" (TS/SCI) eine "Clearance" haben.

Dabei werden die Kandidaten vollständig "durchleuchtet" und müssen auch Lügendetektortests absolvieren (siehe unten).

"Operationen mit Computernetzen"

Über ATHENA selbst wird nichts weiter bekanntgegeben, als dass es sich um "Operationen mit Computernetzen" dreht. Der Status des Projekts Mitte Februar war: Briefing für interessierte Firmen, aber noch keine Ausschreibung.

Die Projekte der IARPA

Mehr über die Herkunft der IARPA aus dem "Büro für disruptive Technologien" der NSA und einer CIA-Forschungsabteilung lesen Sie im ersten Teil unserer Serie.

Aus dem "Biometrics Exploitation Science and Technology"-Programm der IARPA sollen Biometrielösungen hervorgehen, die aus Distanz Menschen auch unter ungünstigen Lichtbedingungen identifizieren können.

Eine weiteres Projekt nennt sich SCIL und befasst sich mit der Analyse der Kommunikation sozialer Gruppen und versucht, aus dem Sprachgebrauch Motive abzuleiten, um künftiges Verhalten voraussagen zu können.

Damit könnte der Bericht zu diesem Projekt der IARPA eigentlich enden, wenn zum Projekt ATHENA - um ein paar Ecken - nicht doch ein wenig mehr in Erfahrung zu bringen wäre.

College Park, Maryland

Immerhin trägt das an Information so knausrige "Proposers' Day Announcement" den Vermerk "location IARPA1".

Die IARPA residierte bisher wenige Meilen außerhalb von Washington D.C. im Center for Advanced Study of Language (CASL) in der 52nd Avenue, College Park, Maryland.

Für Winter 2009 ist auf der Website allerdings der Umzug in ein neues, seit Sommer 2008 in Bau befindliches Gebäude angekündigt, das ebenfalls in College Park entsteht.

Tricks mit Karten

Eienen genauen Anfahrtsplan könne man leider nicht bieten, heißt es auf der Website des Instituts, zumal die 52nd Avenue auf Karten nicht dargestellt werde. Am besten am Paint Branch Parkway in die 52nd einbiegen, heißt es in der Anreisebeschreibung, dann könne man das CASL nicht verfehlen.

Das zeigt Google Maps

Auch nördlich findet sich eine "Verlängerung" der 52nd mitten in ein kleines Wohngebiet. Direkt daneben steht wiederum ein neu errichtes Gebäude, das bis auf An- und Zufahrt ebenso von allen anderen rundherum völlig isoliert ist. Von der Architektur her ähnelt es verdächtig dem Hauptgebäude des MITRE, jenem militärischen Forschungszentrum, das quasi nebenan in McLean, Virginia im Jänner Schauplatz des Treffens einer anderen IARPA-Initiative war.

Laut Google Maps ist die 52nd Avenue in College Park ein langes, zusammenhängendes reines Wohngebiet, erst in ihren Verlängerungen wird diese Straße interessant

Bei genauerem Hinschauen sieht man nämlich, dass die 52nd Avenue nördlich wie südlich nach Unterbrechungen weitergeht. Am südlichsten Zipfel der verlängerten 52nd, Ecke Calvert Road ist ein Gebäude, das von Bauweise und Anfahrtsbeschreibung genau passt, noch ein Stück weiter südlich wurde ein weiteres ganz neu aus dem Boden gestampft.

Der Kernbereich

Ebenso wie am Forschungsinstut MITRE, wo die Biometrie-Initiative BEST der IARPA Mitte Jänner zusammentraf, waren am CASL weder Laptops noch sonst elektronische Geräte erlaubt.

Die erforderliche "Security Clearance" aber war so, dass ohnehin nur Firmen aus dem Kernbereich der Militärzulieferer infrage kamen. Unter den 36 als Interessenten am ATHENA-Projekt gelisteten Unternehmen - die Liste liegt ORF.at vor - sind denn auch weniger die bekannten interessant als die zahlreichen Spezialisten.

Serious Games

Und da fällt auf, dass sich ein guter Teil davon mit Videoanwendungen befasst und dass auch zwei Spieleentwickler darunter sind. Die BreakAway Ltd. hat so illustre wie unterschiedliche Kunden wie Microsoft, Walt Disney, Lockheed Martin und die DARPA (Defense Advanced Research Agency).

Applied Vision (AVI) ist, wie der Firmenname sagt, ebenso "auf visuelle Umsetzung von Prozessen" spezialisiert, nämlich auf "Serious Games". Die Engine hinter derlei ernsten Spielen von Applied Vision heißt Delta3D und ist ein Open-Source-Projekt der Naval Postgraduate School in Monterrey.

Das Games-Konzepte hat AVI auch in seiner "Tactical Target Analysis and Prediction Platform" umgesetzt. Hier werden "potenzielle Ziele in einer realistischen 3-D-Umgebung visualisiert", mittels Simulation durch "innovative Algorithmen" werden Bewegungen der Ziele vorausgesagt.

Krieg und Spiele

Video-Feeds aus der Luft

Die Science Engineering and Technology Asoociates Corporation hat ebefalls mit Video zu tun und weitaus Interessanteres zu bieten, als es ihr umständlicher Name verspricht.

Der SET-Stabilizer glättet "Video-Feeds aus der Luft in Echtzeit" und "verbessert die Möglichkeit, Objekte auf dem Boden zu entdecken, zu identifizieren und zu verfolgen."

Die dazu nötigen Drohnen hat einer der großen und bekannten Mitinteressenten an ATHENA, der Rüstungskonzern Raytheon, zum Beispiel im Programm.

Software Defined Radios

Fehlt noch die ebenfalls an ATHENA interessierte Harris Corporation, um die Video-Feeds auch an Ort und Stelle an den Marine zu bringen.

Harris versorgt das US-Militär mit digitalem Kommunikationsgerät (Software Defined Radios, SDR), tragbaren Transceivern zur Übermittlung von Daten- und Sprachkommunikation. Diese SDRs sind je nach Programmierung für alle möglichen Modulationsarten und Frequenspektren geeignet und durch eingebaute 256-Bit-AES-Verschlüsselung sogar von der NSA approbiert.

Videos via SDR

SAIC, C4ISR

Auf der anderen Seite, wo die Videostreams aufbereitet, verteilt und analysiert werden - also im Bereich "Command and Control" -, findet sich ein weiterer Großinteressent am ATHENA-Programm.

Ebenfalls auf der Liste steht die Science Applications International Corporation (SAIC), die unter anderm auf C4ISR-Technologie spezialisiert ist: Command, Control, Communications, Computers, Intelligence, Surveillance, and Reconnaissance.

Übersetzt heißt C4ISR also: "der total vernetzte Krieg", der wie ATHENA zeigt, immer mehr Gaming-ähnliche Züge zeigt.

"Geospational"

Daneben ist SAIC auch im Bereich "Geospational Intelligence" aktiv, was zur IARPA passt, die nicht nur eine NSA-Abteilung und eine der CIA in sich vereinigt. Dritte im IARPA-Bunde ist nämlich die National Geospatial-Intelligence Agency.

Dazu passen ATHENA-Interessenten wie Paragon Dynamics, ein auf Telemetrie und Bildverarbeitung spezialisiertes Software-Haus, die ITT Corporation mit ihrer Space-Division, sowie General Dynamics.

"Atombombensicheres Linux"

Da das gesamte Projekt ATHENA direkt mit der operativen Kriegsführung zusammenhängt, ist der Geheimhaltungsgrad hoch. Das zeigt auch ein kurzer Blick auf Interessenten aus dem Security-Bereich, die sich durch die - öffentlich nicht bekanntgegebene - Projektankündigung angesprochen fühlten.

Die Pikewerks Corporation hat mit digitalen Wasserzeichen zur Sicherung von Datensätzen und Netzwerkforensik zu tun, Cloudshield und Riverbed Technolgies mit "Deep Packet Inspection", die Prometheus Group liefert dazu ein "atombombensicheres Linux".

Standort Fort Meade, Maryland

Die ebenfalls an ATHENA interessierte Firma Intelligensis wiederum sucht aktuell für den Standort Fort Meade "vier SIGINT-Spezialisten" mit "Top Secret Clearance" und "Full Scope Polygraph" bzw. "Lifestyle Polygraph". Übersetzt: "Lügendetektortest samt Fragen zur Sexualität".

Von Fort Meade, dem Hauptquartier der NSA sind es zum Ort des Treffens der vergangenen Woche, dem CASL in College Park, gerade einmal 40 Kilometer.

Die Liste - noch im Netz

Von der Website der IARPA ist der Hinweis auf die Veranstaltung bereits verschwunden. Lange wird die ohnehin recht gut versteckte Liste der am Projekt IARPA-BAA-09-03 interessierten Firmen erfahrungsgemäß nicht mehr im Netz sein. Wetten darauf, welches der beiden oben erwähnten Gebäude tatsächlich die neue Niederlassung der IARPA ist, werden nicht angenommen.

Das hat auch seinen Grund, zumal das CASL 2003 gegründet worden war, um ein schweres Versäumnis der Vergangheit auszugleichen. Nach den Anschlägen des 11. September brauchten die US-Geheimdienste - allen voran die NSA - dringend Analysten für arabische Sprachen und Dialekte.

Mit dem ebenfalls neuen Projekt SCIL versuchen die von IARPA versammelten Forscher und Industrievertreter eine Möglichkeit zu finden, die Kommunikation sozialer Gruppen automatisiert auf Sprache und Motive zu analysieren, um daraus auf zukünftiges Verhalten schließen zu können.

(futurezone/Erich Moechel)