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Urheberrecht und Verbrechen

GESETZE
02.03.2009

"Tauschbörsennutzer werden zunehmend mit Terroristen und Schwerverbrechern auf eine Ebene gestellt, um Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen", kritisiert der Salzburger Richter und Betreiber der Website Internet4Jurists, Franz Schmidbauer. ORF.at hat mit ihm über aktuelle Entwicklungen im Urheberrecht und über den Pirate-Bay-Prozess gesprochen.

Die Rechte des geistigen Eigentums werden immer weiter ausgedehnt, die Konsumentenrechte werden hingegen zunehmend beschnitten. So fasst Schmidbauer aktuelle Tendenzen im Urheberrecht zusammen. In seinem Aufsatz "Konsument oder Urheberrechtsverbrecher?", den der Salzburger Richter für das konsumentenpolitische Jahrbuch des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMSK) geschrieben hat, kritisiert Schmidbauer auch die Verschärfung der Gangart gegen Urheberrechtsverletzungen, wie sie derzeit in Frankreich und anderen europäischen Ländern vorbereitet werden.

Dort sind Internet-Sperren nach wiederholten Urheberrechtsverletzungen ohne Einschaltung eines Gerichts und die Filterung des Internet-Verkehrs geplant. Solche Maßnahmen seien eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Demokratie, sagt Schmidbauer im Gespräch mit ORF.at: "Ich halte das für eine gefährliche Sackgasse."

Franz Schmidbauer ist Richter am Landesgericht Salzburg und betreibt die Website Internet4Jurists, die sich dem Themenkomplex Internet und Recht widmet. Dort kann auch Schmidbauers Aufsatz "Konsument oder Urheberrechtsverbrecher?" nachgelesen werden, den er für das konsumentenpoliitsche Jahrbuch des BMSK verfasste.

ORF.at: In Schweden findet gerade unter großer medialer Aufmerksamkeit der Prozess gegen die Betreiber der Torrent-Tracker-Site The Pirate Bay statt. Verfolgen Sie den Prozess?

Schmidbauer: Ich lese die Presseberichte dazu. Grundsätzlich ist der Prozess sehr interessant. Die Frage der Verantwortlichkeit der Betreiber solcher Angebote ist meines Wissens nach in Europa noch nicht ausjudiziert. Der österreichische oberste Gerichtshof stellt bei ähnlichen Fällen immer darauf ab, ob das strafbare oder zivilrechtlich verbotene Handeln anderer bewusst gefördert wird. Wenn ja, dann haftet man in Österreich als Gehilfe mit. In Deutschland nennt man das Störerhaftung.

ORF.at: Die Unterhaltungsindustrie beziffert den ihr durch The Pirate Bay entstandenen Schaden mit mehr als zehn Millionen Euro und setzt ihre Schadenersatzforderungen de facto mit entgangenen Musikverkäufen gleich. Sind solche Berechnungen Ihrer Meinung nach seriös?

Schmidbauer: Diese Berechnungen sind völlig aus der Luft gegriffen. Solche Summen dienen auch der Einschüchterung. Je höher der Streitwert, desto teurer ist der Prozess, da die Prozesskosten in vielen Fällen auf Basis des Streitwerts errechnet werden. Das führt auch dazu, dass sich manche Leute den Rechtsstreit gar nicht mehr leisten können. Was den Schaden an sich betrifft, ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Inhalte immer schon kopiert wurden. Musik wurde auch früher nicht nur gekauft, sondern vor allem auf Kassetten aufgenommen oder auf CDs gebrannt. Als Privatkopie war das auch immer legal. Das ist heute nicht anders. Dazu kommt, dass das Medienangebot für Jugendliche heute viel größer ist. Jugendliche beschäftigen sich mit dem Internet, Computerspielen und Handys und geben dafür auch sehr viel Geld aus, so dass für Musik nicht mehr viel übrig bleibt. Neben dem Medienbudget der Jugendlichen gibt es aber auch weitere Gründe für den Rückgang des Musikverkaufs. Etwa das unattraktive Angebot und die Probleme, die sich aus dem Kopierschutz ergeben. Ich habe in meinem Aufsatz versucht, die möglichen Gründe für den Rückgang umfassend darzustellen und auch die positiven Seiten der Tauschbörsen aufzuzeigen. Da wird dann sehr schnell deutlich, dass die Gleichung "Download ist gleich entgangener CD-Verkauf" blanker Nonsens ist und nicht einmal ansatzweise stimmt.

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ORF.at: Auf der Website zur Aktion "Ideen sind etwas wert", die von österreichischen Musik- und Filmwirtschaftsverbänden betrieben wird und seit einigen Jahren Schulen Unterrichtsmaterialien zum Thema Urheberrecht anbietet, wird die Sängerin Christina Stürmer mit dem Satz "Illegaler Download ist Diebstahl" zitiert. Wie beurteilen Sie als Richter so eine Aussage?

Schmidbauer: Juristisch gesehen ist das Unsinn. Es wird von der Musikindustrie immer wieder versucht, eine Vervielfältigung eines Musikstückes als illegal zu brandmarken. Letztendlich ist ja der "illegale Download", der meiner Meinung nach nicht illegal ist (siehe Begründung im Aufsatz), nichts anderes als das Aufnehmen vom Radio. Der Download darf allerdings nur zu privaten Zwecken erfolgen und nicht zum Zweck einer neuerlichen Veröffentlichung. Bei den Tauschbörsen gibt es allerdings das Problem, dass die Musik meist gleichzeitig wieder angeboten wird. Da komme ich in den Bereich, wo es gefährlich wird. Da geht es um die Freigabe des öffentlichen Ordners für Musik im Internet - der Upload ist illegal und nach dem österreichischen bestehenden österreichischen Urheberrecht eindeutig strafbar. Darüber wird auch nicht gestritten. Ein solcher Vervielfältigungsvorgang kann aber auch dann, wenn er nach dem Gesetz nicht zulässig ist, niemals als Diebstahl angesehen werden, weil nichts weggenommen wird. Ein Diebstahl ist laut Strafgesetz "die Wegnahme einer beweglichen Sache, mit dem Vorsatz, sich zu bereichern". Beim Download von Musik wird niemanden etwas weggenommen, da das kopierte Musikstück ja weiterhin verfügbar ist. Begriffe wie "Diebstahl geistigen Eigentums" oder "Raubkopie" sind psychologische Kunstgriffe, um Tauschbörsennutzer in den Bereich der schweren Kriminalität zu hieven. Im nächsten Satz wird das dann meist noch mit Kinderpornografie und organisiertem Verbrechen in Verbindung gebracht. Auf diesem Niveau kann man nicht mehr diskutieren.

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ORF.at: Die Nutzungsrechte der Konsumenten an urheberrechtlich geschützten Inhalten wurden in den vergangenen Jahren zunehmend eingeschränkt.

Schmidbauer: Die Einschränkungen betreffen vor allem die Privatkopie. Zwar dürfen Musik, Fillme und andere Inhalte für private Zwecken immer noch kopiert werden, dabei darf jedoch kein Kopierschutz umgangen werden. Mit diesem Verbot, das im Paragraf 90c Urheberrechtsgesetz geregelt wurde, und der Tendenz der Medienindustrie Kopierschutz zu forcieren, wurde de facto die Privatkopie in gewissen Bereichen abgeschafft. Das ist sowohl bei Musik und Filmen als auch bei Computerspielen ein Problem. Nehmen wir zum Beispiel Blu-ray-Discs, wo der Kopierschutz das Abspielen der Filme so erschwert, dass der Konsument letztlich frustriert davon die Finger lässt. Ich habe das ausprobiert und habe so lange Probleme gehabt, bis ich ein Crack-Tool verwendet habe. Erst dann konnte ich den Film am PC abspielen. Es ging mir nicht ums Kopieren, ich wollten die Blu-ray-Disc nur abspielen können, und genau das hat aufgrund des unsinnigen HDCP-Kopierschutzes, der zudem jede Menge Ressourcen verschlingt, nicht funktioniert.

ORF.at. Gleichzeitig drängen die Lobbyisten der Unterhaltungsindustrie darauf, dass die Gangart gegen Urheberrechtsverletzungen verschärft wird.

Schmidbauer: Die Probleme für das Urheberrecht bestehen in erster Linie darin, dass die Verfolgung von Verstößen zunehmend schwieriger wird. Die Medienindustrie macht sich im Gegenzug für weitgehende Grundrechtseingriffe und Einschränkungen der Privatsphäre stark, um gegen Urheberrechtsverletzungen vorgehen zu können. Ich halte das für eine gefährliche Sackgasse. Es kann nicht sein, dass plötzlich das Urheberrecht über das Strafrecht gestellt wird und Konsumenten kriminalisiert und überwacht werden, nur weil irgendjemand vielleicht irgendetwas kopieren könnte.

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ORF.at: In Frankreich sollen Internet-Sperren für Nutzer, die wiederholt Urheberrechtsvereltzungen begehen, ohne Einschaltung eines Gerichts verfügt werden. Das wird auch in anderen Ländern diskutiert. Wie beurteilen Sie als Richter ein solches Vorhaben?

Schmidbauer: Ich wundere mich, dass solche Dinge überhaupt angedacht werden. Meiner Meinung nach können nur Leute auf solche Ideen kommen, die mit dem Internet nicht vertraut sind. Dass das Internet für einen sehr großen Teil der Bevölkerung mittlerweile zur grundlegenden Infrastruktur gehört und ein Kappen der Internet-Verbindung ähnliche Auswirkungen wie die Abschneiden vom Stromnetz hat, das können sich diese Leute offenbar nicht vorstellen. Gewisse Dinge gehören einfach zum selbstverständlichen Lebensstandard eines Menschen und in dieser Situation daran zu denken, dass man wegen ein paar Musikdateien den Internet-Anschluss kappt, ist völlig absurd. Nicht einmal bei Kinderschändern wurde so etwas bisher angedacht. Wenn der Gesetzgeber der Meinung ist, dass so etwas notwendig ist, dann müsste über die Internet-Sperren in einem geregelten Verfahren von einem Gericht entschieden werden. Bei dem Verfahren müsste den Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Ein Gericht müsste dann im Einzelfall entscheiden, ob die Verhältnismäßigkeit gegeben ist. Das kann nicht von einer staatlichen Behörde order von einem Internet-Anbieter übernommen werden.

ORF.at: Ist bei solchen Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit zu den Delikten noch gegeben?

Schmidbauer: Die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen im Hinblick auf den gewünschten Erfolg - der Begriff stammt aus der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - ist spätestens seit der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung aus dem Gleichgewicht geraten. Diese hat zu einem Paradigemenwechsel geführt. Davor war es einfach undenkbar, dass ohne Vorliegen eines schweren Deliktes in einem solchen Ausmaß in die Privatsphäre und das Recht auf Datenschutz aller eingegriffen wird.

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ORF.at: Musik- und Filmwirtschaftsverbände haben in der Vergangenheit wiederholt den Zugriff auf die im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung (Data Retention) gesammelten Daten reklamiert.

Schmidbauer: Es wird zu fragen sein, wie man mit der Herausgabe der Daten der IP-Adresseninhaber in Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung umgehen wird. Wenn man die Vorgabe des europäischen Gesetzgebers ernst nimmt, dann dürften die Rechteinhaber diese Daten niemals bekommen, weil die Deliktshöhe bei weitem nicht ausreicht. Die Daten sollten ursprünglich zur Bekämpfung des Terrorismus genutzt werden. In dieser Sache steht jedoch noch eine Entscheidung des EU-Gerichtshofs aus, die noch heuer erfolgen sollte. Auch der österreichische Gesetzgeber wird sich demnächst mit dem Zwiespalt zwischen den Voraussetzungen der Speicherung der Vorratsdaten und denen der Herausgabe auseinandersetzen müssen.

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ORF.at: Viele dieser gesetzlichen Vorhaben werden auf EU-Ebene - oder wie etwa das ACTA-Abkommen auf globaler Ebene - in die Wege geleitet und dort auch weitgehend ausverhandelt. Welche Möglichkeiten hat die nationale Gesetzgebung überhaupt noch, darauf Einfluss zu nehmen?

Schmidbauer: Das sieht man auch ganz deutlich bei der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Die nationalen Gesetzgeber haben sehr wenig Freude mit dem Thema. Unsere Regierung hat die Umsetzung sehr lange hinaus gezögert. Wenn jedoch von der EU eine eindeutige Vorgabe etwa in Form einer Richtlinie erfolgt, muss der österreichische Gesetzgeber das grundsätzlich umsetzen. Dass Österreich sich beim Umsetzen von EU-Vorgaben häufig als Vorzugsschüler erweist, ist ein anderes Thema. Gerade bei der Urheberrechtsnovelle 2003 wäre es nicht notwendig gewesen, das Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen zur Erstellung einer Privatkopie zu verbieten. Der EU-Gesetzgeber hat diese Entscheidung den Nationalstaaten überlassen. Österreich hat das Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen damals generell verboten. Meiner Meinung ist das unausgewogen und konsumentenfeindlich.

ORF.at: Wäre es nicht auch die Aufgabe der Unterhaltungsindustrie, konsumentenfreundlicher zu agieren?

Schmidbauer: Die Medienindustrie müsste den Konsumenten wieder einen Mehrwert bieten. Kopierschutz ist dazu völlig kontraproduktiv. Damit verärgere ich den Kunden nur. Ich halte es auch nicht für besonders sinnvoll, Käufern von DVDs mit Urheberrechtshinweisen, die sich nicht überspringen lassen, zwangszubeglücken. Das ist für sich betrachtet eine Kleinigkeit. Aber es geht darum, dass man den Konsumenten nicht bekämpfen und mit Drohungen und Grundrechtseingriffen einschüchtern, sondern ihn wieder als Kunden betrachten und bestmöglich bedienen soll. Dann ist der Konsument viel eher bereit, für die Leistung zu bezahlen, weil er sich damit auch selbst einen Aufwand erspart. Die Musikindustrie sollte nicht versuchen, die Erstellung von MP3-Files aus Audio-CDs zu verhindern, sie sollte sie gleich als Zugabe mitliefern.

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ORF.at: Das Urheberrecht wird den Gegebenheiten des digitalen Umfelds in vielen Bereichen nicht mehr gerecht. Wie könnten die Eckpfeiler eines Urheberrechts aussehen, die den Möglichkeiten der Technologien gerecht werden?

Schmidbauer: Man muss nach Lösungen suchen, die einen Ausgleich zwischen den Interessen der Urheber und den Konsumenten ermöglichen. Dass das im Einzelfall schwierig ist, ist mir bewusst. Ich hab da auch kein Patentrezept, ich bin kein Marketingfachmann. Man wird aber wahrscheinlich mit einem Bündel an Maßnahmen arbeiten müssen. Eine Lösung, die ich persönlich für gut halte, ist die Flatrate, bei der auf Internet-Zugänge, sei es volumensabhängig oder pauschal - eine Abgabe aufgeschlagen wird. Man müsste nur darauf achten, dass das Geld bei den Kreativen landet und nicht bei der Medienindustrie versickert. Selbst wenn ein Polizeistaat geschaffen würde, könnte das Kopieren nicht völlig verhindert werden. Dazu gibt es mittlerweile zu viele Möglichkeiten. Die Urheberrechtsindustrie wird im Kampf um ihre Pfründe immer hinterherzockeln und all die Maßnahmen, die Freiheiten und Grundrechte einschränken, werden letztlich nicht den gewünschten Effekt bringen. Diese Einschränkungen sind aber eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Demokratie und deswegen muss man diesen Bestrebungen entschieden entgegen treten.

(futurezone/Patrick Dax)