Spiele gegen den Winterblues
Draußen lässt der Frühling noch auf sich warten - mit "Flower" kann man sich auf Sonys PlayStation 3 aber einen ersten Vorgeschmack holen und als flatterndes Blütenblatt die Welt aus dem Winterschlaf holen. "Noby Noby Boy" macht ebenfalls Laune - wenn es auch etwas ziellos erscheinen mag. Beide sind Vorboten einer neuen Generation kunstvoller "Nicht-Spiele".
Ein Blumentopf mit einer einzelnen und geschlossenen Blume auf einem Fensterbrett, draußen die kalte und düstere Kulisse einer grauen und verregneten Großstadt: So beginnt "Flower".
Fliegen wie ein Schmetterling
Die Spielfigur ist ein Blütenblatt, das, wie von einer leichten Brise verweht, durch die hügelige und mit Felsbrocken durchwachsene Landschaft schwebt. Gesteuert wird dabei nicht über Tasten, sondern über die Neigung des PS3-Controllers. Der Horizont ist im ersten Level von dicken Regenwolken verdeckt, das Gras ist saftig, doch nicht immer ganz so grün, wie man es angesichts des herrschenden Klimas erwarten würde. Später wird die Landschaft düster und nahezu unmenschlich.
Die Blumen schalten Funktionen und weitere Level-Ebenen frei: Im ersten Level werden so Windräder aktiviert, später müssen sich die Blütenblätter durch enge Gänge zwängen, um unter Strom stehende Metallobjekte zu deaktivieren. Manche Blumen beschleunigen den Flug der Spielfigur.
Mit dem Blütenblatt müssen andere, unterschiedlich gefärbte Blumen berührt werden, um sie zu öffnen. Jede geöffnete Blume fördert, begleitet von einem charakteristischen Ton, ein weiteres Blütenblatt zutage, das sich dem ersten Blütenblatt anschließt - irgendwann zieht ein bunter Blütenblattschweif seine Bahnen durchs sanft wogende Gras und übers Gelände. Dabei erfreuen nicht nur die Farben das wintergeplagte Auge, auch sonst ist die Grafik ansprechend, und der Blick auf den Horizont erzeugt fast Fernweh.
Aktivierung der Lebensenergie
Der Zauber der Blütenblätter und damit des gesamten Spiels wird spätestens im zweiten Level deutlich, wenn mit dem Öffnen der Blumen vorher farblose Landstriche aktiviert und zum Erblühen gebracht werden. So muss es sich anfühlen, wenn man selbst den Frühling ins Land bringen könnte. Allmächtig. Herzerwärmend. Und sinnlich - wie die ersten Knospen einer Frühlingsblume, der frische Trieb einer tot geglaubten Pflanze oder ein bunter Blumenstrauß nach einem langen, grauen Winter - solange man Grün auch abseits von etwas Schnittlauch auf der Suppe zu schätzen weiß.
Nach sechs Levels ist Schluss
Unterstrichen wird das frühlingshafte Erlebnis von passender, wenn auch nicht Grammy-verdächtiger und meditativ angehauchter Musik, die ebenfalls ganz gezielt mit der Stimmung spielt: Manchmal bedrohlich, meistens einladend, mitunter ist auch nur der Wind als leises Rauschen zu hören.
Leider ist nach sechs Levels bereits Schluss mit dem bunten Frühlingstreiben für 7,99 Euro (PlayStation-Store). Bleibt zu hoffen, dass sich die Entwickler von thatgamecompany nicht wieder so viel Zeit lassen, wie zwischen dem Vorgänger "Flow", der zum Start der PS3 erschien, und "Flower".
Stretching für den "Stricklieselwurm"
Ebenfalls nicht in gängige Game-Klischees passt "Noby Noby Boy", allerdings auf einer ganz anderen Ebene als "Flower". Der Spieler übernimmt dabei die Rolle des wie aus einer Strickliesel entsprungenen und dehnungsfreudigen Wurms "Boy", der sich durch eine comicartige Welt bewegt und mit den Gegenständen darin interagiert. Er kann sie zum Beispiel verschlucken und unter nicht immer salonfähigen Tönen unverdaut am anderen Ende wieder ausstoßen.
Das wesentlichste Ziel ist es, den "Boy" so lange wie möglich zu dehnen. Dafür gibt es Punkte, die dann von allen Spielern des Games an ein extraterrestrisches Wesen namens "Girl" übermittelt werden, damit dieses zu den einzelnen Planeten wachsen kann, da sie davon überzeugt ist, dass so alle Menschen Freunde werden können. Dafür gibt es dann Trophäen, etwa das Weltraumeichhörnchen.
Kein definiertes Ziel
Eigentlich aber gibt es keine große Aufgabe bei "Noby Noby Boy", sagt zumindest das Handbuch: "Es gibt keine festgesetzten Ziele, also entspanne dich und genieße es zu experimentieren." Das ist bei "Noby Noby Boy" grundsätzlich auch ganz lustig, anders als bei "Flower" fehlt dem einen oder anderen aber vielleicht die Motivation, das Spiel längere Zeit zu spielen. Aber nicht alles muss immer einen Sinn haben, und so unterhält die bunte Grafik für 3,99 Euro (PlayStation-Store) den geneigten Spieler wohl eine Zeit lang.
Selbst der Erfinder des Spiels, Keita Takahashi, der auch "Katamari Damacy" entwickelt hatte, konnte das Spiel bisher nicht wirklich erklären - und das offenbar beabsichtigt: "Ich wollte ein Spiel machen, das mit Worten nicht beschreibbar ist", erklärte er Mitte Februar im offiziellen US-PlayStation-Blog. "Ich will, dass die Spieler sagen: 'Ich weiß nicht warum, aber irgendwie ist es interessant. Ich kann nicht aufhören zu spielen.'"
Gaming einmal anders
Beide Spiele, so unterschiedlich sie auch sein mögen, sind Vertreter einer neuen Art von Kunstspielen, die im Gegensatz zu bisherigen Spielen nicht unbedingt ein streng ausgerichtetes Ziel haben, oder auf gänzlich andere Spielelemente als bisher setzen. Sie gehen dabei deutlich weiter als bisherige Vertreter der reduzierten Spielform wie "Ecochrome" und die Art-Style-Reihe auf Nintendos Wii.
"Flower" etwa funktioniert vor allem auf der Vorstellungs- und Erfahrungsebene: Wenn das Gras von braun zu grün wechselt, spürt man, wie darin das Leben Einzug hält und atmet auf - auch wenn die Vorstellung "nur" digital ist. "Noby Noby Boy" wiederum spielt mit den bisherigen Vorgaben für Videospiele. Takahash selbst sagte auf den möglichen Einwand, dass "Noby Noby Boy" kein Spiel ist: "Was ist ein Spiel? Sollte es eine Definition für ein Spiel geben?"
Emotionen abseits des Mainstreams
Jenova Chen, der kreative Kopf hinter "Flower", erklärte in einem Interview mit GamesIndustry.biz, dass er mit seinen Spielen gezielt Emotionen ansprechen will, die aktuelle Blockbuster-Titel vernachlässigen würden. "Die meisten Spiele können dich nicht intellektuell bilden, und die Emotionen, die sie hervorrufen, sind relativ primitiv." Sein Ziel sei es, die Grenzen, was Spiele kommunizieren können, auszuloten. Thatgamecompany beschreibt "Flower" als Videospielversion eines Gedichts.
Angesichts der meisten aktuellen Spieletitel, die nur allzu oft auf recht breit ausgetretenen Gaming-Pfaden lustlos dahinwandeln, bringen "Flower" und "Noby Noby Boy", wenn auch nur im Kleinen, aber immerhin deutlich frischen Wind in die Konsolenszene. Und machen Lust auf mehr.
(futurezone/Nadja Igler)