ETech 2009: Kunst durch Outsourcing
Der Google-Mitarbeiter Aaron Koblin nutzt Amazons Mechanical Turk, um mit Hilfe von Tausenden von Mitarbeitern aus der ganzen Welt Kunst zu produzieren. Auf der Emerging-Technology-Konferenz (ETech) stellte er sein neuestes Projekt vor.
Der US-amerikanische Song "Daisy Bell" gilt seit langem als eine Art heimliche Hymne des Computerzeitalters. Forscher des Bell Labs wählten "Daisy Bell", als sie 1961 der Welt vorführen wollten, dass Computer dank Sprachsynthese auch singen können. Science-Fiction-Meister Stanley Kubrik ließ sich davon für seinen Klassiker "A Space Odyssey" inspirieren, in dem HAL 9000 ebenfalls "Daisy Bell" intonierte.
Mehr als 40 Jahre später setzte der Künstler und Google-Mitarbeiter Aaron Koblin "Daisy Bell" nun ein bemerkenswertes Denkmal. Koblin zerschnipselte den Song in rund 300 Klangfragmente und bat anschließend 2.000 Freiwillige darum, diese Fragmente nachzusingen. Mit diesen Resultaten schuf er dann eine einzigartige, kollaborative Aufnahme des Songs, die er erstmals am Mittwoch (Ortszeit) auf der ETech in San Diego präsentierte.
Koblins kollektive Song-Aufnahme lässt sich auch im Web anhören.
Sechs Cent pro Gesangseinlage
Der Clou: Koblin nutzte für seine Neuaufnahme Amazons Mechanical Turk - einen Web-Dienst, der Entwickler von Online-Angeboten mit Arbeitssuchenden auf der ganzen Welt verbindet. Die Idee des Dienstes ist, dass Menschen einige Dinge einfach besser leisten können als Maschinen. Start-ups nutzen Turk unter anderem zum Transkribieren von Audioinhalten und zum Klassifizieren von Fotos.
Koblin schrieb für sein Projekt eine Flash-Software, die einen einzelnen Klang des Originalsongs abspielte und Mitwirkenden danach das Aufnehmen einer Nachempfindung erlaubte. Er verriet ihnen jedoch nicht, aus welchem Kontext der Klang stammte. Aufgenommene Klänge wurden mit jeweils sechs US-Cent vergütet.
Man habe Mitwirkende aus mehr als 70 Ländern für das Projekt gewinnen können, berichtete Koblin. Amazon erlaube jedoch keine genaueren Rückschlüsse über die Identität und die Motivationen der einzelnen Teilnehmer. "Sie versuchen, Arbeiter wie Programmanfragen zu behandeln und nicht wie Individuen", so Koblin.
Das Wissen der Masse visualisieren
Der Song ist nicht Koblins erster Versuch, Amazons Mechanical Turk für ein Kunstprojekt zu nutzen. In der Vergangenheit suchte er über die Plattform unter anderem nach Mitwirkenden, die für ihn 10.000 Schafe zeichneten. Jede Schafzeichnung belohnte er mit 2 US-Cent.
Tausende von Turk-Arbeitern ließen sich von dieser geringen Entlohnung nicht abschrecken. Manch einer habe sogar bis zu 64 Minuten an seinem Schaf gearbeitet. Nur ein einziger Turk-Arbeiter schrieb: "Was soll das? Warum macht ihr das?" "Das war eine vollkommen berechtigte Frage", so Koblin im Rückblick.
Koblin nutzte das Mechanical-Turk-Angebot zudem, um 10.000 kleine Fragmente eines 100-Dollar-Scheins Stück für Stück nachzeichnen zu lassen. "Das Projekt visualisiert das Wissen der Masse", erklärte Koblin dazu am Mittwoch. "Es gibt viele Abweicher, aber im Großen und Ganzen sieht es doch sehr wie ein 100-Dollar-Schein aus."
Ein Laservideo für Radiohead
Berühmt wurde Koblin im Netz jedoch für ein anderes Projekt. Der Google-Mitarbeiter half im letzten Jahr Radiohead mit der Produktion eines Musikvideos für den Song "House of Cards". Koblin setzte dafür anstelle einer herkömmlichen Kamera auf einen 75.000 Dollar teuren Laser, um Gesichter und andere Oberflächen dreidimensional zu visualisieren.
Besucher der ETech bekamen am Mittwoch vorgeführt, wie der dafür eingesetzte Laser funktioniert. Ein sich um die eigene Achse drehender Kugelkopf feuerte mehr als eine Million Signale pro Umdrehung, um die Konturen des Vortragsraums zu erfassen und auf einer Leinwand wiederzugeben.
Bruce Hall vom Laserhersteller Velodyne wusste zu berichten, dass derartige Laser normalerweise zur Navigation führerloser Fahrzeuge eingesetzt werden. Das Radiohead-Video sei da eine willkommene Abwechslung gewesen, so Koblin, der dazu sagte: "Ich möchte mich bei Aaron dafür bedanken, dass ich in den Augen meiner Kinder plötzlich wichtig bin."
Langweilig und schlecht bezahlt
Koblin selbst will in Zukunft weiter mit Amazons Mechanical Turk experimentieren - auch wenn er immer noch nicht versteht, warum sich so viele Leute daran beteiligen. Er selbst habe einmal testweise ein paar Turk-Aufgaben gelöst, aber ganz schnell wieder aufgegeben. "Es war furchtbar langweilig", erinnert sich Koblin. "Und am Ende hatte ich nur sieben Cent verdient."
(Janko Röttgers)