Forderung: "World of Warcraft" erst ab 18
Neues Ungemach für Gamer: Eine Expertengruppe aus dem deutschen Bundesland Niedersachsen will Online-Spielsucht offiziell als psychische Krankheit anerkannt wissen und fordert, die Altersgrenze für Multiplayer-Games wie "World of Warcraft" auf 18 Jahre anzuheben.
Fast jeder sechste 15-jährige Bursch nutzt täglich länger als 4,5 Stunden PC-Spiele, drei Prozent der männlichen Neuntklässler sind von ihnen abhängig. Das behaupten die Autoren der nach ihren Angaben bisher größten deutschen Jugendstudie zu Computerspielen, die unter der Ägide des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) erarbeitet wurde. Die Experten forderten am Montag Konsequenzen aus den Ergebnissen.
Ziel der Studie war es, Anhaltspunkte für ein neues Diagnoseinstrument zur Erkennung von Computerspielsucht zu erarbeiten. Dieses soll "neben Aufrechterhaltung trotz negativer Konsequenzen und Kontrollverlust auch eine Einengung des Denkens und Handelns" erfassen "und zugleich die Nebenkriterien Toleranzentwicklung und Entzugserscheinungen" berücksichtigen.
Befragt wurden insgesamt 44.610 Schülerinnen und Schüler neunter Klassen im Rahmen einer bundesweiten repräsentativen Erfassung, die vom April 2007 bis Oktober 2008 stattfand. Rund jedem dritten Teilnehmer (n = 15.168) wurde ein Zusatzfragebogen zur Nutzung von Internet und Computerspielen vorgelegt.
Der Ruf nach dem Staat
"Der Staat muss eine neue Alterseinstufung vornehmen", sagte KFN-Direktor Christian Pfeiffer. So müsse die Altersgrenze für das Spiel mit dem größten Suchtpotenzial, "World of Warcraft", von derzeit zwölf auf 18 Jahre angehoben werden.
Unterstützer findet der Kriminologe dabei in der Politik. Die niedersächsische Sozialministerin Mechthild Ross-Luttmann (CDU) will juristisch prüfen lassen, ob eine Änderung der Alterseinstufung umgesetzt werden kann. Ein möglicher Stolperstein dabei: Bisher ist die Suchtgefahr kein Kriterium bei der Prüfung der Spiele durch die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK).
Der Spielzeitbegrenzer
Bei der USK stößt der Vorstoß aus Niedersachsen denn auch auf Kritik. "Man sieht Spielen nicht an, ob sie exzessives Spielverhalten fördern", sagte USK-Geschäftsführer Olaf Wolters der Nachrichtenagentur dpa. Seiner Auffassung nach gibt es ausreichend Kontrollmechanismen, die eine Anhebung der Altersgrenze unnötig machten. So könnten Eltern zum Beispiel mit Spielzeitbegrenzern bereits jetzt ihren Kindern feste Spielzeiten vorgeben.
Allerdings wissen viele Eltern nicht, was in den Kinderzimmern passiert, in die sich der Nachwuchs stundenlang zurückzieht. Nach der KFN-Studie verbringen die von den Autoren als abhängig klassifizierten Spieler weit mehr Zeit vor dem PC, als sie eigentlich wollen, sie isolieren sich sozial, schwänzen die Schule, schlafen schlecht. "12,3 Prozent der Abhängigen haben schon häufig über Selbstmord nachgedacht", berichtete Pfeiffer.
Computerspielsucht als Krankheit
Der Wissenschaftler hofft, "einen Anstoß zu geben, dass Computerspielsucht als Krankheit anerkannt wird". Bisher müssten Abhängige sich unter dem Label Depression behandeln lassen, damit die Krankenkassen zahlen. In einem Forschungsverbund mit der Medizinischen Hochschule Hannover sollen jetzt offene Fragen zur Definition der Computerspielsucht als Krankheit geklärt werden. Beim Online-Rollenspiel "World of Warcraft" tauchten die Jugendlichen in eine fantastische Welt ab, in der sie sich selbst als stark und mächtig erleben. Wer lange spiele, erfahre besondere Belohnungen. Das Spiel sei nicht übermäßig gewalthaltig, sondern vor allem gefährlich, weil es abhängig mache, betonte Pfeiffer.
Das Freizeitbudget
Abgesehen von den Überlegungen zu Computerspielsucht und Altersbegrenzungen bietet die Studie auch einen Einblick in das Freizeitverhalten der Befragten. Bei der Aufschlüsselung des Freizeitbudgets operieren die Autoren der Studie zwar mit absoluten Minutenangaben, diese sind jedoch ohne Angabe von Gründen gewichtet (Seite 16, Fußnote 14). Die Beschäftigungszeiten wurden an Werktagen fünffach gewichtet, an Wochenendtagen zweifach. Die Zwischensumme wurde durch die Anzahl der Wochentage dividiert, heißt es in der Studie.
Das sowie die Möglichkeit zum gleichzeitigen Konsum mehrerer Hinter- und Vordergrundmedien führt dann zur Anzeige von hohen Zahlen im Tagesdurchschnitt. So sollen Burschen durchschnittlich 213 Minuten täglich audiovisuelle Medien wie TV, Video und DVDs konsumieren, 103 Minuten im Internet chatten und 141 Minuten Computerspiele spielen. Alle erfassten Aktivitäten inklusive "Familienunternehmungen" und "Musikmachen" kommen dann bei den männlichen Jugendlichen auf 751 Minuten, also rund zwölfeinhalb Stunden.
Mädchen spielen weniger
Laut Studie ist Computerspielen für die männlichen Befragten nach dem passiven Konsum von AV-Medien die zweitwichtigste Freizeitbeschäftigung. Bei Mädchen kommen die Games erst auf Platz sechs.
Die technische Ausstattung der Schüler ist laut Studie umfangreich. Rund 70 Prozent unter ihnen verfügen über einen eigenen Computer, 45,9 Prozent über eine stationäre Spielekonsole, rund die Hälfte besaß eine tragbare Konsole wie die Nintendo DS oder Sonys PSP. Drei Viertel der Befragten hatten Anschluss ans Internet.
Die männlichen Befragten spielten am liebsten "Counterstrike" (27 Prozent), eine Fußballsimulation aus der FIFA-Serie (16,1 Prozent) oder ein Renngame aus der Serie "Need for Speed" (11,4 Prozent). "World of Warcraft" brachte es auf 9,8 Prozent. Die Mädchen spielten am liebsten "The Sims" (22,6 Prozent), "Singstar" (6,8 Prozent) und "Need for Speed" (4,8 Prozent).
(dpa/futurezone)