Überwachung: Europa überholt die USA
Bei ihrem Antrittsbesuch am Wochenende in Europa hatte die neue US-Heimatschutzministerin Janet Napolitano mit den Überwachungsforderungen der Innenminister europäischer Staaten zu tun. Erstmals seit Ende 2001 sind die Positionen aus Europa radikaler als jene der USA.
Napolitano hatte dieselbe Botschaft mit, die Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton in anderen Missionen kurz davor an anderen Orten der Welt geäußert hatten.
Wichtig sei die "enge Zusammenarbeit mit den Verbündeten", und überdies sei man besonders gewillt, den Alliierten zuzuhören, sagte Napolitano einer ausgesuchten Runde von Innenministern in Europa am Samstag.
Ein Anlass
Weil es gerade einen aktuellen Anlass dafür gab, war sich der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble mit den Kollegen aus Polen, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien einig, dass die Gründe für die Jugendgewalt auszuloten seien. Vor allem zu untersuchen: die Rolle der Kommunikation per Internet.
Es ist ein- und dasselbe Manöver, das Innenminister aus einzelnen Staaten der Union bei jedem spektulären Kriminalfall seit einer Dekade vollführen. Der (auswechselbare) Tenor: Es gab da einen Internet-Anschluss und außerdem hat der Bursch ja "Counter Strike" gespielt.
Handfeuerwaffen
Nicht thematisiert wurde hingegen - zumindest findet sich nirgendwo ein Hinweis darauf -, warum ein offenbar psychisch gestörter Minderjähriger so gut mit echten Handfeuerwaffen umgehen konnte.
Und: welche Rolle dabei wohl eine Pistole mit einem halben Dutzend Magazinen im Nachtkästchen eines deutschen Haushalts im Dunstkreis deutscher Schützenvereine spielte.
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"Informell, hochrangig"
Schäuble und einige EU-Kollegen - Innenministerin Maria Fekter war laut Protokoll nicht dabei - haben etwas vor. Und dazu brauchen sie Unterstützung von Alliierten. Die war in den vergangenen Jahren stets von den USA vorab garantiert.
In den nächsten Wochen kommt der Bericht einer "informellen hochrangigen beratenden Gruppe zur Zukunft der europäischen Innenpolitik" in den EU-Ministerrat. Das Papier dieser "Zukunftsgruppe" trägt den Titel "Freiheit, Sicherheit, Schutz der Privatsphäre - Europäische Innenpolitik in einer offenen Welt".
Die "Zukunftsgruppe"
Sehr schön, nur leider sind in allen Ratsdokumenten, die das Wort "Sicherheit" im Titel tragen, mit Sicherheit "Datenbankvernetzung und Überwachung" drin. Im Fall des Dokuments der "Zukunftsgruppe" sind vor allem diese Ingredienzien enthalten.
Dieses Dokument ist als "nichtöffentlich" eingestuft.
Die "Empfehlungen" der "Zukunftsgruppe" zeigen deutliche Hinweise darauf, dass verstärkt auf Überwachungsmaßnahmen gesetzt wird, von denen die Öffentlichkeit und die Betroffenen wenig bis niemals etwas erfahren sollen.
Finanztransaktionen
Das gilt insbesondere für "systematische Überwachung von Finanztransaktionen" ebenso wie für den Zugriff auf Daten der internationalen Zentrale für Bankdatenaustausch, SWIFT.
Dazu soll von den EU- Datenbanksystemen EURODAC bis SIS alles an Daten in EU-Staaten vernetzt werden, was es überhaupt zu vernetzen gibt - inklusive wechselseitiger Online-Zugriffe der Behörden auf dieses Konvolut von Daten.
Zugriffsprinzip
Grundlage ist das Prinzip, dass Polizeikräfte auf Daten Zugriff haben müssen, sofern diese Daten verfügbar sind. Um die 50 verschiedene Sorten von Datensätzen wurden von der "Zukunftsgruppe" als eventuell geeignet identifiziert. DNA, Fingerabdrücke, Ballistik, Fahrzeugregister, Telefonverkehrsdaten (woher auch immer) und Melderegister waren der Anfang.
Zentraler Punkt dabei ist, dass diese Zugriffe zwischen EU-Staaten autonom passieren sollen (Absatz 134).
Die Rechtssysteme
Der Umstand, dass diese Zugriffe durch ausländische Strafverfolger auf einer anderen Rechtsgrundlage basieren könnten als jener des Betreiberstaats, wird nicht näher erläutert.
Das könnte in Zukunft dazu führen, dass im Zuge der kommenden Vorratsdatenspeicherung gesammelte temporäre IP-Adressen etwa aus Österreich von französischen Behörden abgerufen werden können.
Urheberrecht
In Frankreich ist bekanntlich ein Gesetz auf dem Weg durch die Instanzen, das den automatisierten Zugriff auf diese Daten ermöglichen soll. Grund: Verstöße gegen das Urheberrecht.
Als Draufgabe kommen Videoüberwachung dazu und Einsatz von Drohnen der Polizei.
Diese Themen wurden Napolitano samt hochrangigen US-Beamten am vergangenen Wochenende von ausgewählten europäischen Innenministern dargelegt.
Vom Überholen
Seit dem Jahr 2000 ist das die erste bekanntgewordene Initiative aus Europa, die sämtliche US-"Vorschläge" in puncto Überwachung in den Schatten stellt.
Die Premiere besteht darin, dass die Hardliner aus Europa derlei vorlegen, denn bis jetzt waren ähnliche Anforderungen stets über die G-7-Staaten aus den USA nach Europa gekommen.
Wie in Erfahrung zu bringen war, soll Napolitano binnen Wochenfrist in Wien zu Gast sein.
(futurezone/Erich Moechel)