Wenn "WoW" die Wirklichkeit ersetzt
Nach dem Amoklauf im deutschen Winnenden wird nicht nur über "Killerspiele", sondern auch über das Suchtpotenzial von Videospielen diskutiert. Der jüngsten Forderung, das Rollenspiel "World of Warcraft" ("WoW") erst ab 18 freizugeben, können heimische Suchtexperten nichts abgewinnen - obwohl das Suchtpotenzial des Spiels groß sei: "Verbote bringen nichts, man muss auch Alternativen anbieten können."
Anfang der Woche hat das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) bei der Vorstellung einer Jugendstudie zu Computerspielen die Forderung aufgestellt, das Multiplayer-Online-Game "WoW" erst ab 18 Jahren freizugeben.
Der Leiter des Instituts, Christian Pfeiffer, war einer der ersten Unterzeichner des Kölner Aufrufs gegen Computergewalt, der Ende letzten Jahres "Killerspiele" als "Landminen für die Seele" bezeichnete und ein absolutes Verbot forderte.
Untermauert wurde diese Forderung mit Ergebnissen aus der Studie, wonach Online-Rollenspiele wie "WoW" die Abhängigkeit von Computerspielen fördern würden. Demnach sind 8,5 Prozent aller männlichen "WoW"-Spieler unter 18 Jahren von Computerspielabhängigkeit betroffen, Nicht-"WoW"-Spieler nur zu 2,7 Prozent.
"Verbote ohne Konsequenzen bringen nichts"
Sowohl der ärztliche Leiter des auf Suchtbehandlung spezialisierten Anton-Proksch-Instituts, einer gemeinnützigen Stiftung in Kalksburg, Michael Musalek, als auch der Koordinator für Internet- und Spielsucht des Instituts, Hubert Poppe, halten von einem derartigen Verbot nichts.
"Der frühzeitige Einstieg in 'WoW' könnte mit einer Altersbeschränkung vielleicht limitiert werden, allerdings kann ich mir schwer vorstellen, wie das kontrolliert werden soll", meint etwa Musalek gegenüber ORF.at. "Zuerst muss man sich Konsequenzen überlegen: Was passiert, wenn jemand die Grenze übertritt. Sonst macht ein Verbot nicht viel Sinn." Ein Verbot könne wenn dann nur eine von vielen weiteren und gleichzeitigen Maßnahmen, wie Aufklärung und Kompetenztraining, sein. Ein reines Verbot bringe - außer dass sich niemand daran hält oder sie umgeht - nicht viel, so Musalek.
Mangelnde Kompetenzen
Tatsache sei aber, dass viele Jugendliche keine Kompetenz im Umgang mit "WoW" hätten und das Spiel erhebliche Gefahren mit sich bringe: "Das heißt zwar nicht, dass jeder ein Problem damit bekommt, aber es verleitet sehr stark zu einem hoch dosierten Gebrauch, und der Spieler wird dazu auch gedrängt, einerseits durch Belohnungssysteme, andererseits durch Pönalen."
Pseudorealität als Gefahrenquelle
Der Spieler steige bei "WoW" zudem in eine Pseudorealität ein, und wenn er nicht gelernt habe, aus dieser wieder auszusteigen, oder die eigene Realität nicht stark genug sei, könne es zu erheblichen Problemen kommen. "Das Spiel ist nicht ungefährlich, und es sollte über die Problematik aufgeklärt werden" - etwa wenn Menschen acht, neun oder mehr Stunden im Spiel und dessen Realität verbringen: "Dort wird es gefährlich, da beginnt es dann, dass man die Kontrolle verliert, dass man sich nicht mehr aussuchen kann, wie lange man spielt und sein Leben darauf zentriert, andere Interessen wegfallen - dann ist man in der Abhängigkeit."
Als Krankheit sei Spielsucht als Impulsstörung schon lange anerkannt und gemeinsam mit der Kaufsucht in eine Gruppe eingeordnet. Derzeit werde darüber diskutiert, der Krankheit eine eigene Kategorie zuzuordnen. Unumstritten sei aber, dass die Spielsucht, wenn sie auftritt, eine sehr schwere Krankheit - gleichzusetzen mit Alkoholsucht - sei, so Musalek.
Ein bis zwei Prozent sind suchtgefährdet
Poppe hat täglich mit solchen Fällen zu tun. 150 Personen wenden sich derzeit pro Jahr wegen exzessiven Spielens an das Anton-Proksch-Institut, mit einer jährlichen Steigerung von 20 bis 30 Prozent. Nicht bei allen sei das tatsächliche Spielverhalten aber auch problematisch: "Bei rund 60 Prozent aller Fälle muss man was tun." Wie viele Menschen in Österreich in absoluten Zahlen spielsüchtig sind, könne man derzeit nur schätzen, empirische Studien gibt es dazu nicht. Das Institut geht auf Basis ausländischer Studien von ein bis zwei Prozent der Gesamtbevölkerung in Österreich aus.
Faszination Gemeinschaftsgefühl
Poppe ist selbst "WoW"-Spieler, er hat sich aus beruflichen Gründen angemeldet: "Ich wollte wissen, warum es so viele nicht schaffen, selbstständig die Spielzeit zu reduzieren." Mittlerweile könne er die Faszination des Spiels nachvollziehen - und die liege nicht nur im Spiel selbst, sondern vor allem in der Community und der durch die Konzeption des Spiels regen Interaktion der Spieler untereinander. "'WoW' ist das einzige Spiel, dass so viele Komponenten beinhaltet, die suchtgefährdend sein können. Und es hat kein Ende." Die meisten Klienten in der Suchtberatung hätten bereits voll ausgestattete Spielfiguren auf dem höchsten Level und könnten trotzdem nicht aufhören.
Zeit für echtes Leben fehlt
Der größte Faktor ist laut Poppe die mit dem Spiel verbrachte Zeit, die dann für andere Aktivitäten und Erfahrungen im realen Leben fehle. Das sei vor allem in Alter zwischen 14 und 18, dem Haupteinstiegsalter, ein Problem, wenn es um die Weichenstellung fürs weitere Leben geht. Obwohl "WoW"-Spieler zahlreiche Kompetenzen für einen Erfolg im Spiel mit sich bringen müssten, habe er noch niemanden erlebt, der "WoW" und die Matura gleichzeitig geschafft habe.
Eltern bei Alternativen gefragt
Das Nutzungsalter für "WoW" zu beschränken, hält auch Poppe für den falschen Weg: "Wenn 'WoW' erst ab 18 freigegeben wird, würden zahlreiche Familien kriminalisiert werden - und es gibt viele Familien in 'WoW'." Ein Verbot würde das Spiel zudem nur interessanter machen.
Wichtiger sei es vielmehr, welche Alternativen es zum Spiel gebe: "Wenn ich als Elternteil das Gefühl habe, das Spielverhalten meines Kindes passt nicht, bin ich gefordert, ein Alternativprogramm anzubieten. Wenn das Kind das nicht will, muss ich das akzeptieren, und es liegt wieder an mir, die Motivation für eine andere Tätigkeit zu fördern." Man könne von Kindern nicht erwarten, dass sie immer selbstständig, frei und vernünftig mit den Dingen umgehen, so Poppe - die Vernunft komme erst mit dem Alter.
Interesse und Akzeptanz sind wichtig
Ebenfalls wichtig sei bei allem die Akzeptanz und das Interesse der Eltern für das, was ihre Kinder tun: "Selbst wenn die Eltern scheinbar präsent sind, sind viele Kinder, die ich in der Beratung erlebe, sehr allein gelassen." Oft hätten die Eltern keine Ahnung, was in den Kinderzimmern wirklich vorgehe.
So komme es vor, dass Eltern ihr Kind wegen exzessiven Spielens zur Suchtberatung bringen und im Gespräch stelle sich dann heraus, dass das Kind für eine Karriere als Profispieler trainiert. Nicht selten sei das vermeintliche Suchtproblem somit ein Kommunikationsproblem innerhalb der Familien. Dann mit Verboten zu hantieren, sei der völlig falsche Weg, so Poppe: "Wir müssen den Kindern den richtigen Weg vorleben und entsprechend eingreifen, aber nicht bestimmen."
Das Ziel sei ein mündiger Umgang mit dem Medium Computerspiel, wie mit anderen Medien auch: "In unserer Gesellschaft werden Computerspiele oft aus Unkenntnis und damit Angst negativ bewertet. Solange man Kind ist, darf man zudem noch spielen, als Erwachsener ist es nicht mehr o. k.", so Poppe, der den Kindern mehr Medienkompetenz zuspricht als vielen ihrer Eltern. "Wir müssen lernen, damit umzugehen und die Jugendlichen nicht unbegleitet lassen." Seine Aufgabe in der Beratung sei oft, zu zeigen, dass der PC in der Mitte der Familie stehe. "Und dann wird geredet."
(futurezone/Nadja Igler)