Angst vor "Persilschein" für Software-Patente
Ein weiterer Vorstoß des Europäischen Patentamts (EPA) in Sachen Software-Patente lässt den deutschen Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) aufhorchen. Trotz Verbots werden auf europäischer Ebene, dank der Klausel "weiterer technischer Effekt", immer wieder Software-Patente vergeben. Nun soll eine EPA-eigene Instanz die Interpretation von "Technizität" im Zusammenhang von Software-Patenten klären.
Die Präsidentin des EPA, Alison Brimelow, wandte sich mit mehreren Fragen zur "Patentierbarkeit von Computerprogrammen" an die große Beschwerdekammer des EPA. Diese soll nun Uneinigkeiten über die Interpretation des Software-Verbots gemäß des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) klären.
Der FFII sieht darin eine Umgehung der Entscheidung des Europäischen Parlaments, das sich 2005 mit großer Mehrheit gegen eine Richtlinie zur Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" entschieden hatte, und befürchtet, dass von der großen Beschwerdekammer ein "Persilschein" für Software-Patente ausgestellt werden soll.
Innovationen werden gebremst
"Das Europäische Patentamt meint es sehr ernst, das ist das letzte Aufgebot", warnt Georg Jakob, Jurist und Leiter der Abteilungen Urheber- und Patentrecht beim FFI, im Gespräch mit ORF.at. "Uns wurde damals nach der Entscheidung des Europäischen Parlaments 2005 schon vom EPA angedroht, dass sie 'einfach so weitermachen werden'", so Jakob.
Der FFII kritisiert die Patenterteilungsverfahren des EPA als zu zeit- und kostenintensiv. Kernpunkt sei vor allem, dass mit der "Flut von breiten Monopolansprüchen mit ungewisser rechtlicher Gültigkeit die Innovation weltweit belastet wird", heißt es in einem FFII-Aufruf für ein schlankes und demokratisches Europäisches Patentsystem.
Microsoft vs. TomTom
"Ein gutes Beispiel für die negativen Auswirkungen von Software-Patenten ist der Rechtsstreit zwischen Microsoft und TomTom", so Jakob. Microsoft habe den niederländischen Navigationssysteme-Hersteller unter anderem wegen einem Software-Patent geklagt, das es ermöglicht, einen handelsüblichen Computer mit offenen Schnittstellen in einem Auto zu betreiben.
"Hier prügelt ein mehrfach verurteilter Monopolist auf ein innovatives Unternehmen ein", meint Jakob. Mit Patente auf Software bestehe die große Gefahr, dass die Innovationskraft gebremst werde und "damit
automatisch die hoch spezialisierte europäische Software-Industrie durch Unternehmen mit hohem Marktanteil vom Markt gedrängt wird".
Patentbeamte uneinig
Die Europäische Patentorganisation
Das Europäische Patentamt (EPA) wurde mit dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) - einem multilateralen Vertrag zwischen 35 europäischen Ländern - ins Leben gerufen. Das EPA ist ein Organ der Europäischen Patentorganisation (EPO) und ist also keine Behörde der Europäischen Union. Aufgabe der EPA ist es, europäische Patente gemäß dem Übereinkommen der Mitgliedsstaaten zu erteilen.
Die Entscheidung eines Patentprüfers, ob ein Patentanspruch zulässig ist oder nicht, kann beeinsprucht werden. Eine der 25 Beschwerdekammern (erste Instanz) im EPA überprüft danach, ob ein Patent gerechtfertigt ist. Gibt es Zweifel an einem Recht, dann kann sich die Beschwerdekammer an die große Beschwerdekammer (zweite Instanz) wenden, die dann darüber entscheidet.
Die Beschwerdekammern, die Gerichten gleichgestellt und unabhängig sind, sind zwar in die Organisationsstruktur des EPA integriert, jedoch bei ihren Entscheidungen nicht an Weisungen des Amts gebunden, sondern allein dem EPÜ unterworfen, heißt es seitens des EPA.
Wenn Erfindungen beim Österreichischen Patentamt eingereicht werden, so sind - bei einem positiven Entscheid - die Patentansprüche auch nur in Österreich gültig. Besteht der Wunsch, sich eine Erfindung in mehreren europäischen Ländern patentieren zu lassen, so kann das über die EPO in München erfolgen. Diese vergibt kein "europäisches Patent", sondern sichert im Namen des Antragstellers die nationalen Patentansprüche in den gewünschten Ländern.
Streit oder Meinungsunterschiede?
Es komme auch immer wieder zu Streits von Patentbeamten im EPA, die sich in verschiedenen Fraktionen aufsplittern, meint Jakob. "Innerhalb der Patentcommunity gibt es richtige Glaubensrichtungen. Momentan führend ist jene, die glaubt, Innovation gibt es nur durch Patentschutz."
Colin Stratford, EPA-Patentprüfer im Bereich "computerimplementierte Geschäftsverfahren" meint gegenüber ORF.at, dass er "nicht von einem Streit sprechen würde. Es gibt Meinungsunterschiede, und ein Großteil ist auf Unklarheiten bei der Rechtsauslegung zurückzuführen."
Vorlage soll subtile Aspekte klären
Um eine einheitliche Rechtsanwendung zu sichern, oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, kann sich die Präsidentin direkt an die große Beschwerdekammer richten. Im Oktober 2008 wendete sich Präsidentin Brimelow mit vier Vorlagefragen (G 3/08) zur Patentierbarkeit von Computerprogrammen direkt an die große Beschwerdekammer. Hauptsächlich geht es darum, "Grenzen zwischen Merkmalen, die von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind, und solchen, die zum technischen Charakter des beanspruchten Gegenstands beitragen" zu klären.
- EPO: FAQ zur Vorlage
Die Vorlagefragen sollen nicht die anwendbaren EPÜ-Bestimmungen, die Programme für Datenverarbeitungsanlagen "als solche" nicht als Erfindungen ansehen (Artikel 52 (2) und (3)), infrage stellen, sondern vielmehr Leitlinien dazu entwickeln, wie einige der subtileren Aspekte dieser Ausschlussregel auszulegen sind, heißt es auf der Website der EPA.
Klausel umgeht Verbot
Generell darf laut EPÜ Software nicht "als solche" patentiert werden. Jedoch werde dieses Prinzip vom EPA mit der umstrittenen Interpretation der im Artikel 52 festgelegten Klausel "weiterer technischer Effekt" umgangen. "Sobald Software irgendetwas sinnvolles tut, hat sie 'weiteren technischen Effekt' und ist damit keine Software 'als solche' mehr. Die Klausel heißt in verständlicher Form: Software 'als solche' ist sinnlose Software, hat Software einen Zweck, dann wird sie vom EPA patentiert", erklärt Jakob.
Was ist ein Patent?
"Wenn man von Patent spricht, glaubt man, das ist eine Erfindung. Tatsächlich ist ein Patent wesentlich bürokratischer aufgebaut. Es gibt die Patentschrift, die zumeist sehr umfangreich ist. Der Patentschrift vorangestellt sind die Ansprüche, die jemand hat, wenn ein Patent angemeldet wurde. Die Ansprüche sollen in kurzen knappen Sätzen formuliert sein und beschreiben das, was eigentlich geschützt ist. Ein Patent umfasst zumeist ein Bündel an Patentansprüche, die in der Struktur sehr allgemein formuliert sind." (Georg Jakob)
Eine zum Patent angemeldete Erfindung dürfe also ein Computerprogramm enthalten, aber der Gegenstand der Erfindung müsse "technisch sein" oder einen "technischen Beitrag" liefern. "Das ist eine schwammige Formulierung und muss klarer aufgelöst werden", meint Jakob. Zwar sei es Lobenswert, dass sich die Präsidentin an die große Beschwerdekammer gewendet habe, dennoch umgehe man damit die Politik.
Patentierbare Schweine
"Der Trick mit dem 'technisch' wird auch bei Biopatenten angewendet", kritisiert Jakob. So sei, sobald ein Computer (technischer Aspekt) dafür genutzt werde, auch ein Verfahren zum Maßschneidern von Schweinen patentierbar. "Damit würde ich alle Schweine patentieren lassen können", meint Jakob, auch wenn ein Patent auf Leben eigentlich nicht erlaubt sei.
Verfahrensdauer unbekannt
Bis Ende April gibt es die Möglichkeit, zu der Vorlage eine schriftliche Stellungnahme bei der großen Beschwerdekammer abzugeben. Der FFII werde davon Gebrauch machen, so Jakob, "und klare Grenzen der Patentierbarkeit verlangen. Die Grundaussage: Patentansprüche auf Computerprogramme sind laut EPÜ unzulässig und sollen das auch bleiben."
Jakob hofft, dass es noch ein öffentliches Hearing gibt, bevor die große Beschwerdekammer zu einer Entscheidung kommt. Stratford meint hingegen, "es ist nicht zu erwarten, dass die Öffentlichkeit über das geschehene Maß hinaus die Möglichkeit der Beteiligung erhalten wird". Wende sich eine Beschwerdekammer an die große Beschwerdekammer, dann sind Parteien beteiligt, und eine öffentliche Verhandlung sei üblich, aber nicht bei diesem Verfahren. Es sei auch nicht abzuschätzen, wie lange es dauern werde, bis es zu einer Entscheidung komme.
Patentanträge 2008
Im Jahr 2008 wurden insgesamt 4.670 Patentanträge, die für den Computerbereich klassifiziert wurden, von der EPA bearbeitet. 1.494 (32 Prozent) davon wurden positiv erledigt, die restlichen 68 Prozent wurde entweder abgelehnt oder vom Antragsteller selbst zurückgezogen.
Im Bereich der computerimplementierten Geschäftsverfahren wurden 2008 insgesamt 647 Patentanträge erledigt, sieben Prozent davon positiv. (Quelle: Colin Stratford, EPO)
Problem: Unterschiedliche Rechtsauslegung
Was das Europäische Parlament betrifft, so wisse man, dass "nicht alle gleicher Meinung sind", so Stratford. "Man kann nicht sagen, dass die Mehrheit gegen die Patentierung von Programmen war." So habe es unterschiedliche Meinungen dazu gegeben und die "Kommission hat 2005 gemeint, dass sie keine weitere Initiative starten wird". Eine klare Entscheidung sei jedoch notwendig, um den Prüfern eine Orientierung zu geben.
Wie schwierig die Rechtsauslegung ist, lässt sich auch am Beispiel "computerimplementierte Geschäftsverfahren" gut nachvollziehen. "Geschäftsverfahren 'als solche' sind nicht patentierbar", so Stratford. Auch allein die Tatsache, dass sie computerimplementiert sind, helfe dabei nicht. "Eine Erfindung muss neu sein und eine erfinderische Tätigkeit beinhalten, und es muss eine technische Lösung sein, dann ist eine Patentierung möglich", so Stratford.
"Bizarres Mischgebilde" EPO
Die Fragen an die Große Beschwerdekammer seien die letzte Chance zur Selbstheilung des Patentsystems, indem der derzeitige Kurs korrigiert werde. "Sonst ist das Patensystem nicht überlebensfähig", so Jakob. Jakob sieht zudem in der EPO ein "bizarres Mischgebilde. Zum einen ist es eine Behörde, sie hat durch die Entscheidungsstruktur der Beschwerdekammern auch etwas von einem Gericht. Auf der anderen Seite ist die EPA ein Dienstleister gegenüber seinen Kunden, den Patentanmeldern", so Jakob
Zudem äußert der FFII-Jurist Kritik an der Zusammensetzung der großen Beschwerdekammer. "Sieben Personen entscheiden jetzt über den Fall, darunter befinden sich der EPO-Vizepräsident, einer der Direktoren, mehrere Patentprüfer und nur ein unabhängiger Richter", zählt Jakob auf.
Schlupfloch Software-Patente
"Die Entscheidung der großen Beschwerdekammer wirkt für die EPO und deren untergeordnete Kammern wie ein Gesetz", so Jakob. Die nationale Gesetzgebung müsse sich nicht daran halten.
Johannes Werner, Vorstand der Abteilung für internationale Beziehungen im Österreichischen Patentamt, meint dazu gegenüber ORF.at: "In Österreich wird die Auslegung der EPA im Großen und Ganzen respektiert." Zudem habe "in der Praxis die EPA natürlich einen großen Einfluss auf die nationalen Patentämter".
Ob eine Erfindung technisch sei, "ist nicht völlig enzyklopädisch zu klären", meint Werner. In Europa sei alles, was technisch ist, patentierbar. "Ein Schlupfloch gibt es in Europa, wenn die Software in die technische Erfindung eingebettet ist", so Werner.
15. April Protestaktion geplant
Für den 15. April plant der FFII eine Protestaktion vor dem EPO-Gebäude in München. Gemeinsam mit Biopatentkritikern von No Patents On Seeds wolle man auf die Patentpraxis der EPA aufmerksam machen. "Patente auf Leben und Software sollen mit einem Streich über den Tisch gehen", so Jakob.
So gebe es bereits EPA-Patente auf bestimmte Pflanzen, und aus denen die Ansprüche nur aus mathematischen Formeln bestünden. "Hier gibt es noch einen dritten Verstoß, weil laut Artikel 52 auch mathematische Formeln nicht patentierbar sind", erklärt Jakob. Nähere Details wollte der Jurist nicht nennen, diese werde man bei der Aktion präsentieren.
Keine Gefahr für bereits erteilte Patentansprüche
Unabhängig davon, zu welchem Schluss die große Beschwerdekammer kommt, bereits erteilte Patentansprüche werden nicht erneut geprüft. Nur auf laufende Verfahren und Neuanmeldungen "kann die Meinung der großen Beschwerdekammer Auswirkungen haben", so Stratford.
(futurezone/Claudia Glechner)