© Bild: ORF.at, Markus Beckedahl

Politik im sozialen Netz

RE:PUBLICA
04.04.2009

Bei der Berliner Blogger-Konferenz re:publica ist am Freitag das Thema Politik und soziale Medien im Mittelpunkt gestanden. ORF.at sprach mit netzpolitik.org-Blogger und re:publica-Mitveranstalter Markus Beckedahl über die Veränderung der politischen Öffentlichkeit durch Weblogs, Facebook & Co., zivilgesellschaftliche Initiativen im Netz, twitternde Politiker und Politikeransprachen auf YouTube.

Markus Beckedahl ist Mitveranstalter der Social-Media-Konferenz re:publica, die vergangene Woche in Berlin stattfand. Beckedahl ist auch Mitgründer des Berliner Unternehmens newthinking communications, das Organisationen und Unternehmen in Fragestellungen der digitalen Welt berät. Auf seinem Weblog netzpolitik.org setzt er sich kritisch mit netzpolitischen Themen auseinander.

ORF.at: Wie haben soziale Medien wie Weblogs die politische Öffentlichkeit verändert?

Beckedahl: Mit Hilfe dieser Medien kann jeder Teil der Öffentlichkeit werden. Die Öffentlichkeit ist auch nicht mehr lokal gebunden. Früher konnte man eigentlich nur auf lokaler Ebene aktiv werden, konnte sich dort beteiligen. Heute reicht es aus, ein Weblog zu haben, und damit kann man global auf Sendung gehen. Wir haben die Werkzeuge in der Hand, uns mit anderen Menschen zu vernetzen und eine kritische Stimme zu erheben.

ORF.at: Wie beurteilen Sie den Status quo der vernetzten poltischen Öffentlichkeit?

Beckedahl: In Staaten, wo es eine kontrollierte Presse gibt, wo es kaum Möglichkeiten zur Meinungsfreiheit gibt, entfalten diese Werkzeuge massives Demokratiepotenzial. Wenn man sich in Deutschland umschaut, dann hat man eher das Gefühl, dass dieses Potenzial noch von zu wenigen Menschen genutzt wird, um seine kritische Stimme zu erheben, auf Missstände aufmerksam zu machen und sich mit Hilfe dieser Werkzeuge politisch zu engagieren.

Robert Glashüttner war für fm4.ORF.at auf der re:publica. Seine Eindrücke finden Sie hier:

ORF.at: Sie betreiben mit netzpolitik.org ein Blog, das dezidiert politisch ist. Wie definieren Sie das, was Sie machen?

Beckedahl: Netzpoltik.org ist eine Plattform für Offenheit und Freiheit im digitalen Zeitalter, und wir fungieren einerseits als Filter für das Themenfeld Internet und Gesellschaft. Wir verweisen auf andere Sachen, die im Netz passieren. Aber wir nutzen netzpolitik.org auch als Kampagnenplattform, um mit den Möglichkeiten des Internets zu experimentieren und zu schauen, was man mit so gut wie gar keinen Ressourcen außer Internet-Zugang und Webserver politisch erreichen kann.

ORF.at: In der Berichterstattung zu bestimmten Themen oder Ereignissen, etwa der Hausdurchsuchung beim Domain-Inhaber von Wikileaks.de, haben sich Blogs sehr stark von etablierten Medien unterschieden. Sind Blogs auch ein Korrektiv der etablierten Medien?

Beckedahl: Blogs bieten eine tolle Möglichkeit, die vierte Macht im Staat, nämlich die Medien, bei ihrer Rolle zu unterstützen, unsere Demokratie zu kontrollieren. Diese Chance wird leider immer noch zu wenig genutzt. Aber wenn man sich die Medienlandschaft ansieht, die immer mehr von Kürzungen betroffen ist, dann ist eine Art Ergänzung oder Unterstützung durch so etwas wie eine fünfte Macht dringend notwendig.

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ORF.at: Weblogs können dabei aber sehr schnell an ihre Grenzen stoßen - etwa wenn die Betreiber von Institutionen unter Druck gesetzt werden. Das ist Ihnen mit der Deutschen Bahn ja auch passiert. Sie konnten sich letztlich durchsetzen. Aber wäre das auch einem weniger bekannten und exponierten Blogger gelungen?

Beckedahl: Wir haben in Deutschland das Problem, dass die Rechtslage kompliziert ist und wir teilweise fehlerhafte Rahmenbedingungen haben. Man benötigt juristisches Vorwissen, um mehr oder weniger unangreifbar zu sein. Ich beschäftige mich mit der Gesetzgebung, aber ich bin trotzdem von der Deutschen Bahn abgemahnt worden. In diese Fallen können Bürger ohne juristisches Wissen natürlich noch viel schneller tappen. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die berücksichtigen, dass auf einmal jeder ein Sender sein und im Netz kommunizieren kann, dass Menschen von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen. Man kriegt sehr schnell Abmahnungen. Das ist ein Problem.

ORF.at: Netzpolitik.org setzt sich mit elektronischen Bürgerrechten auseinander. Die werden heute weitgehend auf europäischer Ebene bestimmt. Sehen Sie so etwas wie eine kritische, vernetzte europäische Öffentlichkeit entstehen?

Beckedahl: Wir brauchen europäische Öffentlichkeiten. Das Problem ist, dass wir bisher so gut wie keine europäischen Öffentlichkeiten haben. Was in Brüssel passiert, passiert fernab der Öffentlichkeit. In deutschen Medien wird beispielsweise relativ wenig darüber berichtet. Wir haben das Problem der Sprachbarrieren. Es ist immer noch relativ schwierig, sich mit Menschen aus allen EU-Mitgliedsstaaten zu vernetzen und einen Dialog zu starten, um gemeinsam zu definieren, wie wir uns als europäische Bürger gemeinsam eine europäische Politik vorstellen. Das sind Herausforderungen, vor denen Europa derzeit steht. Wie gehen wir mit dieser Sprachenvielfalt um? Wie schaffen wir es gemeinsam, kritische Öffentlichkeit zu bilden?

ORF.at: Auf europäischer Ebene haben wir zuletzt im Zusammenhang mit dem Telekompaket und der Schutzfristverlängerung eine Reihe von zivilgesellschaftlichen vernetzten Kampagnen gesehen. Welche Erfolgsaussichten haben solche Initiativen?

Beckedahl: Ich sehe riesige Chancen für zivilgesellschaftliche Initiativen durch das Internet. Man kann sich sehr schnell ad hoc vernetzen, man ist orts- und zeitunabhängig, das ist enorm wichtig. Man muss sich nicht erst einmal treffen, man kann das im Netz tun. Man kann Wikis und Weblogs nutzen und Menschen in politische Kampagnen einbinden, die vorher vielleicht nicht aktiv waren. In Deutschland gibt es das Beispiel des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, der diese Art von Open-Source-Kampagne erfolgreich geschafft hat. Der Vorläufer dieses Ansatzes war etwa die Kampagne gegen Software-Patente in Europa, wo zum ersten Mal Nerds und Geeks ihre Werkzeuge eingesetzt haben, um sich politisch zu vernetzen. Das können Beispiele für alle möglichen zivilgesellschaftlichen Initiativen sein.

ORF.at: Gerade auf europäischer Ebene findet sehr viel Lobbying der Industrie statt. Da steht auch sehr viel Geld dahinter. Können sich zivilgesellschaftliche Initiativen da überhaupt durchsetzen?

Beckedahl: Auf jeden Fall. Wir sind die Bürger, wir wählen die Politiker. Wir haben eine Macht. Es nutzen aber noch zu wenige Leute die Chance, mit Politikern in Kontakt zu treten und ihre Meinung zu artikulieren. Ich glaube, dass jeder einzelne Bürger, der in Brüssel einen Abgeordneten kontaktiert, mindestens genauso stark ist wie zehn Lobbyisten, die teuer bezahlt werden. Die meisten Politiker sehen das als authentischer an. Sie können auch die Lobbyisten einschätzen und wissen, dass die nur Partikularinteressen vertreten. Insofern kann ich nur jedem Bürger dazu raten, sich an der Demokratie zu beteiligen. Demokratie lebt vom Mitmachen. Wenn es Missstände gibt, kontaktiert eure Abgeordneten und artikuliert diese Missstände.

ORF.at: Wie steht es mit den politischen Parteien selbst aus? Sind die im Web 2.0 angekommen?

Beckedahl: Die politischen Parteien sind noch nicht im Web 2.0 angekommen. Wenn wir "2.0" mit Offenheit, Kollaboration übersetzten, dann sieht man, dass die einzige Form von Kollaboration im Moment so aussieht, dass man einfacher an die Botschaften der Politiker herankommt. Die sind jetzt auf mehrere Kanäle verteilt - etwa YouTube. Die Möglichkeiten der Partizipation sind aber beschränkt. Man kann nicht wirklich mitdiskutieren und mitbestimmen.

ORF.at: Die aktive vernetzte Kommunikation mit den Wählern findet noch nicht statt?

Beckedahl: Wir sind in einer Übergangsphase. Üblicherweise ist es noch eine Einwegkommunikation, obwohl es zunehmend Politiker gibt, die langsam anfangen, das Internet und seine dialogorientierten Möglichkeiten zu verstehen, und diese Werkzeuge auch offen und transparent nutzen.

ORF.at: Im Wahlkampf nutzen Politiker auch gerne soziale Medien, schreiben Blogs und twittern. Ihr Unternehmen newthinking macht dazu auch regelmäßig Studien. Welche Trends registrieren Sie da?

Beckedahl: Der Trend ist ganz klar: Dabei sein ist alles. Jeder halbwegs motivierte Kandidat wird in diesem Wahlkampf ein Facebook-Profil haben, Videos über YouTube ins Netz stellen und vielleicht noch Twitter nutzen. Manche werden sich von der Masse absetzen, indem sie das auch selbst tun und nicht von Mitarbeitern machen lassen.

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ORF.at: YouTube-Videos sind häufig ja auch Ausgangspunkt für Remixe von Internet-Nutzern.

Beckedahl: Ich glaube, Politikeraktivitäten im Netz können spannender und popkultureller werden, wenn sich kreative Menschen hinsetzen und sie verfeinern, indem sie mit ihren Computern herumspielen und Remixe erstellen. Die Aktivitäten deutscher Politiker bei YouTube sind für gewöhnlich ja noch langweiliger als im Fernsehen. Hier könnte ein bisschen mehr Spiel und Spaß lockerere Angebote bringen, die auch junge Menschen ansprechen.

ORF.at: In den USA hat zuletzt Barack Obama diese Möglichkeiten sehr offensiv und erfolgreich eingesetzt. Er hat allerdings auch die Beteiligung der Leute aktiv unterstützt. Wann werden wir solche Kampagnen in Deutschland oder Österreich sehen?

Beckedahl: Ich glaube nicht, dass wir in den nächsten Jahren in Deutschland eine ähnliche Offenheit in Kampagnen sehen werden. Parteien orientieren sich erst einmal in diesen neuen sozialen Räumen. Ich glaube nicht, dass es vor 2013 eine ähnlich Kampagne in Deutschland geben wird.

ORF.at: Woran scheitert das?

Beckedahl: Der Medienwandel wird fortschreiten. Wir haben heute schon die Situation, dass ein Großteil der Bevölkerung Breitband-Internet und Flatrates hat und sich langsam daran gewöhnt, dass das Internet da ist. Die Leute fangen an, diese sozialen Räume im Netz zu bevölkern. Diesen Medienwandel haben die USA schon viel früher gehabt. Gleichzeitig hoffe ich auch, dass wir jüngere Politiker bekommen, die diese Werkzeuge schon in ihr Leben integriert haben. Dann werden wir so eine Öffnung bekommen. Wir werden das aber nicht mit den Politikern schaffen, die mit Einwegkommunikation in Zeitung, Radio und Fernsehen groß geworden sind.

ORF.at: Gehen die sozialen Möglichkeiten des Netzes überhaupt mit traditionellen Parteiapparaten zusammen?

Beckedahl: Wir müssen Politik öffnen und wieder eine Begeisterung für demokratische Prozesse in der Bevölkerung entfachen. In Deutschland gibt es zunehmend Parteienverdrossenheit. Die einzige Chance, die Parteien haben, ist eine Öffnung mit temporären Beteiligungs- und Mitbestimmungsangeboten für junge Menschen.

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(futurezone/Patrick Dax)